Wer die Energiewende will, sollte dreierlei machen: Die erneuerbaren Energien ausbauen, die notwendige Infrastruktur für Stromtransport und Energiespeicher bereit stellen – sowie in großem Stil Energie einsparen.
Aus Zwang entsteht selten Gutes. Und wie anders sollte man den abrupten Politikwechsel der schwarz-gelben Bundesregierung nach der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima bewerten?
Wenige Monate nach dem Ausstieg aus dem Atomausstieg war es gewiss keine nach langer innerer Prüfung gewonnene Überzeugung, die im Frühjahr 2011 zum Salto rückwärts führte, sondern vielmehr die Angst, als starrköpfige Atomfossilien ein Abonnement auf Wahlniederlagen in der Tasche zu haben.
Die Energiewende in Deutschland, gebaut auf Trümmer in einem fernen Land? Egal, mögen nicht nur Zyniker gedacht haben, zumal die Eckpunkte einer nachhaltigen Energieversorgung schon lange bekannt sind. Deutschland will als selbst ernannter Vorreiter beim weltweiten Klimaschutz bis zum Jahr 2020 den Ausstoß an Treibhausgasen um 40 Prozent gegenüber 1990 reduzieren.
Wer das schaffen will, muss drei Dinge tun: die erneuerbaren Energien ausbauen, die notwendige Infrastruktur für Stromtransport und Energiespeicher bereit stellen sowie in großem Stil Energie einsparen. Vor allem mit der energetischen Wohnraummodernisierung lassen sich gewaltige Effekte erzielen – laut Bundeswirtschaftsministerium werden rund 80 Prozent der Energie in Haushalten für Heizung und Warmwasser verbraucht.
Fauler Kompromiss bei der Energieeffizienz
Der aktuelle Entwurf der EU-Energieeffizienz-Richtlinie sieht vor, dass alle EU-Staaten bis 2020 ihren Energieverbrauch um ein Fünftel reduzieren. Diese Vorgabe findet sich auch im Energiekonzept der Bundesregierung wieder, doch um die Umsetzung gab es zuletzt heftigen Streit zwischen dem Wirtschafts- und dem Umweltministerium.
Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) störte sich vor allem an der geplanten Verpflichtung für Energieunternehmen, jährlich mindestens 1,5 Prozent des Energieabsatzes einzusparen und den Kunden entsprechende Angebote zu unterbreiten.
Mittlerweile hat er sich mit Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) geeinigt. Doch ließe der gefundene Kompromiss den EU-Mitgliedsstaaten sehr viel Freiraum für die jeweiligen Sparmaßnahmen, und das hat beim Umweltschutz noch selten funktioniert. Im Dauerkonflikt zwischen Rösler und Röttgen sehen Experten wie der ehemalige Umweltminister Klaus Töpfer (CDU) ohnehin ein Problem bei der Umsetzung der Energiewende.
Auch die energetische Sanierung von Häusern steht auf dünnem Eis. Nachdem der Bund derzeit wegen rapide gesunkener Preise – acht Euro statt der erwarteten 17 Euro pro Tonne CO2 – deutlich weniger Geld durch den Verkauf von Kohlendioxid-Emissionsrechten einnimmt als geplant, klafft bei den vorgesehenen Fördergeldern eine Lücke von rund 600 Millionen Euro. Die soll nun durch Umschichtungen im Energie- und Klimafonds geschlossen werden – Energiepolitik nach Kassenlage.
Die Renaissance der Braunkohle im Jahr 2011 ist auch eine Folge des nicht funktionierenden Emissionshandels. Der schmutzigste aller Energieträger erhöhte seinen Anteil an der gesamten Stromerzeugung auf knapp 25 Prozent (2010: 23,2 Prozent/Quelle: AG Energiebilanzen, Jahresbericht 2011).
Somit wurden gegenüber dem Vorjahr gut sieben Millionen Tonnen mehr CO2 aus Braunkohlekraftwerken in die Atmosphäre gejagt. Wenn der Emissionshandel künftig ein wirksames Klimaschutzinstrument sein soll, muss die Zahl der zwischen 2005 und 2007 großzügig ausgegebenen Emissionsrechte spürbar verknappt werden.
Langsames Wachstum von erneuerbaren Energien
2011 trugen die erneuerbaren Energien 20 Prozent zur Stromerzeugung in Deutschland bei und lagen damit auf Platz zwei, noch vor der Steinkohle (18,6 Prozent) und der Kernenergie (17,6 Prozent). Auf Windenergie entfielen 7,6 Prozent, auf Biomasse 6,1 Prozent sowie auf Photovoltaik und Wasserkraft jeweils gut drei Prozent.
Am gesamten Endenergieverbrauch (Strom, Wärme und Kraftstoffe) betrug der Anteil erneuerbarer Energien 12,2 Prozent (Quelle: Daten des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zur Entwicklung der erneuerbaren Energien in Deutschland im Jahr 2011 auf der Grundlage der Angaben der Arbeitsgruppe Erneuerbare Energien-Statistik (AGEE-Stat.).
Die Bundesregierung will den Anteil regenerativ erzeugten Stroms bis 2020 auf 35 Prozent steigern. Ob dieses Ziel erreicht wird, darf aus mehreren Gründen getrost bezweifelt werden.
So scheint bei Biomasse der Scheitelpunkt erreicht. Aktuell werden rund 19 Prozent der gesamten deutschen Ackerfläche für den Anbau nachwachsender Rohstoffe genutzt. Vielerorts bestimmen monotone Maiswüsten das Landschaftsbild. Diese ruinöse Form der Landnutzung ist das Gegenteil von nachhaltig und steht nicht nur bei Naturschützern zurecht in der Kritik.
Die intensiven Debatten um die Kürzung der Solarförderung mögen erstaunen angesichts der schlappen drei Prozent, die diese Form der Stromerzeugung derzeit zur Gesamtproduktion beiträgt. Langfristig billigen Experten der Solarenergie einen Anteil von maximal zehn Prozent am deutschen Energiemix zu.
Eine wichtige Rolle spielen Photovoltaik und Solarthermie – die Erzeugung von Wärme durch Sonnenenergie – vor allem im privaten Bereich. Wer Solarmodule auf seinem Dach oder an Gebäudefassaden installiert, spart nicht nur langfristig hohe Energiekosten, sondern steht einer umfassenden Energiewende auch grundsätzlich positiv gegenüber.
Bislang bekamen Betreiber von Solaranlagen im Durchschnitt 27 Cent für jede produzierte Kilowattstunde. Die Kosten von insgesamt acht Milliarden Euro im Jahr 2011 trugen die Verbraucher, 3,59 Cent pro verbrauchte Kilowattstunde. Die Senkung der Fördersätze fällt geringer aus als von der heimischen Solarlobby befürchtet, die dennoch weiter in Untergangsfantasien schwelgt.
Dabei hat der rasante Preisverfall auf dem Weltmarkt auch sein Gutes, betont Dr. Frank Musiol, der als Leiter der vom Bundesumweltministerium eingesetzten Arbeitsgruppe Erneuerbare Energien-Statistik das Monitoring des Ausbaus der Erneuerbaren in Deutschland verantwortet: „Die Kritiker der Solarenergie können sich künftig nicht mehr auf zu hohe Kosten berufen.“
Schon heute werden durch Windanlagen in Deutschland jährlich 30 Millionen Tonnen Kohlendioxid eingespart. Windräder sind kostengünstig und leistungsstark, verschandeln aber in den Augen vieler Menschen die Landschaft. Anwohner beklagen sich über Lärmbelastung oder störende flackernde Schatten. Naturschützern gelten diese Anlagen als regelrechte Schredder, die für enorme Verluste bei Vögeln und auch Fledermäusen sorgen. Eine Alternative zu Neuanlagen ist das so genannte „Repowering“, bei dem wenige große, leistungsstarke Anlagen viele kleinere ersetzen.
Großer technischer und finanzieller Aufwand bei Offshore-Windanlagen
Enormes Potenzial bieten Offshore-Anlagen in Nord- und Ostsee. Um das Weltnaturerbe Wattenmeer nicht zu gefährden, den gleichmäßigeren Wind zu nutzen und Touristen bei der kontemplativen Betrachtung des Meereshorizontes nicht zu stören, werden deutsche Offshore-Windparks in deutlich größerem Abstand von der Küstenlinie geplant als etwa vor der dänischen Küste.
Das wiederum ist mit hohem technischen Aufwand und enormen Kosten verbunden, die Investitionsvolumina liegen für einen Park wie Borkum II mit 80 Anlagen und 400 Megawatt Leistung bei über 1,5 Milliarden Euro.
Die Energie muss nicht nur möglichst regenerativ erzeugt, sondern auch verteilt werden. Zwar streiten die Experten über die von der Deutschen Energie Agentur (dena) prognostizierten zusätzlichen 3.600 Kilometer Hochspannungsleitungen bis zum Jahr 2020, „doch ohne den Ausbau von Stromnetzen und Speichertechnologie werden wir schon bald an erste Grenzen stoßen“, so Musiol.
Schon heute sind gut zwei Dutzend „vordringliche Leitungsbauvorhaben“ per Bundesgesetz festgelegt – und fast überall regt sich Protest gegen Naturfrevel, vermeintliche Gesundheitsrisiken und die Entwertung der Grundstücke. Alleine in Brandenburg gibt über 30 Bürgerinitiativen.
Gegen eine 200 Kilometer lange 380 Kilovolt-Neubaustrecke mit bis zu 100 Meter hohen Strommasten zwischen Halle und Schweinfurt, die für 250 Millionen Euro entlang einer 70 Meter breiten Trasse auch durch den Thüringer Wald gebaut werden soll, haben sich über 2.500 Menschen in der Interessengemeinschaft Achtung Hochspannung zusammengeschlossen.
Stromerzeugung und Stromverbrauch
Wenn an der Nordsee eine steife Brise weht und in Bayern die Sonne vom Himmel lacht, droht das Stromnetz an der Überlast zu kollabieren. Grauer Himmel und allseitige Flaute dagegen erfreuen höchstens die Atom- und Kohlelobby, die immer schon vor Versorgungsengpässen gewarnt hat. Die Kunst besteht also darin, Stromerzeugung und -verbrauch jederzeit in Einklang miteinander zu bringen.
Diese Aufgabe werden auf absehbare Zeit Pumpspeicherkraftwerke übernehmen. Dabei wird Wasser mit überschüssigem Strom nach oben in einen Speichersee gepumpt. Bei Bedarf wird das Wasser wieder abgelassen, dieses treibt eine Turbine an, so dass wieder Strom entsteht. Je größer die Höhendifferenz und das Volumen der Speicherbecken ist, desto mehr Energie kann gespeichert werden.
Ein bewährtes System mit hohem Wirkungsgrad. Allerdings bedeuten auch Pumpspeicher erhebliche Eingriffe in Natur und Landschaft, Neubauvorhaben stoßen vor Ort auf erheblichen Widerstand. Derzeit im Brennpunkt stehen geplante Neuanlagen in Baden-Württemberg. In Atdorf sollen Bergkuppen und idyllische Täler für einen neuen Ober- und Untersee weichen, streng geschützte Moore sowie seltene Vogelarten wie der Steinschmätzer sind durch das Projekt bedroht.
Es gibt keine Alternative zu erneuerbaren Energien
Die Energiewende – ein fragiles Gebilde, verfangen im Gestrüpp von widerstreitenden Partikularinteressen und unzureichender Finanzierung? Eine Lösung, die alle Kritiker zufrieden stellt, wird es nicht geben. Angesichts des globalen Klimawandels fehlt allerdings jede Alternative zum Ausbau der Erneuerbaren und zu mehr Ressourceneffizienz.
Die künftige Unabhängigkeit von fossilen und gefährlichen Energieträgern wie Kohle und Atom ist alle Mühen und ein hohes Maß an Kompromissbereitschaft wert. Und letztlich wird die Energiewende zeigen, wie zukunftsfähig wir sein wollen.