Was passiert eigentlich in uns und mit uns, wenn wir Farben sehen? Warum ist die Ampel rot und wie kommt es, dass Asiaten auf Beerdigungen weiß tragen? evidero-Experte und Farb-Psychologe Harald Braem kennt die Antworten.
Farben sind, einfach gesagt, Licht mit unterschiedlichen Frequenzbereichen. Wir nehmen das Licht durch unsere Augen auf.
Unsere Netzhaut im Auge besitzt zwei Arten von Sinnes-Zellen, nämlich Zapfen und Stäbchen. Die Zapfen unterscheiden zwischen hell und dunkel und die Stäbchen nehmen unterschiedliche Farben wahr. Jetzt hängt es von drei Dingen ab, wie wir Farben wahrnehmen und interpretieren. Auch wenn wir moderne und fortschrittliche Menschen sind, so funktioniert unser Gehirn – was Farben angeht (und auch noch bei anderen Dingen) – nach archaischen Urzeit-Mechanismen.
Wir wirken Farben auf das Gehirn?
Unser Stammhirn ordnet Farben unterschiedlichen Bereichen zu. Diese Einteilung erfolgt nach plus und minus und ist erstmal neutral und noch nicht bewertet. Plus-Farben sind warme Farben wie etwa rot oder gelb. Sehen wir rotes Licht, wird es über unsere linke Gehirnhälfte eingefangen. Hier liegt der Symphatikus, der ein Teil des vegetativen Nervensystems ist. Über ihn werden die meisten Organe gesteuert. Sehen wir rotes Licht, veranlasst der Symphatikus, dass Adrenalin ausgeschüttet wird. Wir werden wacher und aufmerksamer. Aus diesem Grund wird rot als Warnfarbe genutzt.
Minus-Farben hingegen, wie zum Beispiel blau, werden von der rechten Gehirnhälfte eingefangen. Hier liegt der Para-Symphatikus, der ebenfalls einen Teil des vegetativen Nervenzentrums bildet. Über ihn werden die meisten inneren Organe gesteuert. Hier passiert gar nicht so viel mit uns, der Bereich ist sehr passiv und wird daher auch als Ruhenerv bezeichnet.
Die Farbe Grün wird ebenfalls von der rechten Gehirnhälfte eingefangen und hat beruhigende Wirkung auf uns. Wenn die Welt grün ist, dann blühen die Pflanzen, Tiere grasen und Obst und Gemüse werden geerntet. Eine grüne Natur bedeutet Nahrung, deshalb ist grün auch die Farbe der Hoffnung.
- Rot: Adrenalin und Aufmerksamkeit. Daher Einsatz bei Warnschildern und in der Werbung
- Blau: Passivität und Ruhe. Von blauen Tellern isst man angeblich weniger
- Grün: Entspannung und Ruhe. Beruhigende Wirkung, Farbe der Hoffnung
- Schwarz & Weiß: Schwarz lässt Gegenstände schwerer wirken, Weiß hingegen leichter
Kulturelle Unterschiede in der Farbbedeutung
Außer den archaischen Urzeit-Mechanismen bestimmen kulturelle Prägungen, wie wir Farben wahrnehmen und interpretieren. Wir haben unsere biochemische Reaktion auf Rot genutzt und sie in unseren Alltag eingebaut. Deswegen sind Warnschilder im Straßenverkehr rot. Und auch rote Ampeln sorgen dafür, dass wir sofort wachsam sind und schnell reagieren.
Das wird besonders in der Werbung genutzt, denn rote Preisschilder im Supermarkt suggerieren uns “Stopp! Bleiben Sie stehen! Hier gibt es ein Angebot” und schon sind wir eingefangen. Das funktioniert überall auf der Welt.
Es gibt aber auch kulturelle Unterschiede. Nicht jede Farbe funktioniert auf die gleiche Weise. So tragen Asiaten bei einer Beerdigung nur weiß, da dies die Farbe für Wiedergeburt ist. Sie trauern nicht auf die gleiche Weise wie wir, denn sie begleiten den Verstorbenen in ein neues Leben. Die archaische Prägung ist aber in allen Kulturen gleich. Ob für Chinesen oder Araber, rot bleibt eine Signal-Farbe. Und in allen Kulturen gibt es eine Angst vor der Dunkelheit.
Unsere Psyche beeinflusst, wie wir Farben wahrnehmen
Wie wir Farben wahrnehmen und interpretieren, hängt noch von einem wichtigen Aspekt ab – unserer Psyche. Wir können Farben nie ganz losgelöst von ihrer Umwelt wahrnehmen. So spielt es eine enorme Rolle, was wir mit Farben verbinden und in welchem Kontext wir sie wahrnehmen. Da unsere Sinne gleichzeitig aktiv sind, können wir nicht schmecken ohne zu riechen oder sehen ohne zu hören. Unsere Sinneseindrücke beeinflussen sich gegenseitig.
Wir sehen eine Farbe und fühlen dabei ein Gewicht. Schwarz kommt uns viel schwerer vor als beispielsweise weiß. Das nutzt die Lebensmittelindustrie ganz gezielt. So meinen wir, dass in einer schwarzen Verpackung mehr drin ist als in einer weißen. Wenn man bei einer Weinprobe das Licht verändert, so sagen Tester, dass der Wein anders schmeckt.
Farben sind also nie neutral und unabhängig von ihrem Kontext wahrzunehmen. Wenn man sich dessen bewusst ist, kann man sie bewusst einsetzen. Vielleicht achten Sie das nächste mal im Supermarkt darauf, ob Sie auch glauben, dass in einer schwarzen Packung mehr drin ist oder versuchen Sie, an einem roten Sonderangebotsschild einfach vorüber zu gehen! Sie werden sich wundern, wie schwer es Ihnen fällt, Ihr archaisches Stammhirn auszutricksen!
Aufgezeichnet von Tanja Korsten