Neben den digitalen Netzwerken und anonymen Chats entwickelt sich auch eine Bewegung des analogen Socializing. Völlig außerhalb der digitalen Welt können sich Menschen kennenlernen, Beziehungen entwickeln und neue Freundschaften entstehen. Erzähl-mahl! ist Social Dining, eine ungezwungene Gelegenheit zu mehr zwischenmenschlicher Nähe. Von Barbara Zevnik und Katrin Frische.
Schnelllebigkeit und eine unpersönliche Atmosphäre kommen mit der Digitalisierung
Dank der sozialen Medien wird mehr kommuniziert denn je. Alte Freundschaften werden aufgefrischt, indem man sich über soziale Netzwerke wiederfindet. Dank dieser Netzwerke sowie Social Plattformen oder der vielen Partnerbörsen entstehen neue Beziehungen.
Das ist die eine Seite der Wahrheit. Die andere ist, dass unsere schnelllebige Zeit immer weniger Zeit für echte Begegnung und Nähe lässt. Die Zeit, in der man sich mit der Familie oder mit Freunden um einen Tisch setzt und seine Geschichten miteinander teilt, ist in unseren Breitengraden passé. Sogar in der Kleinfamilie kommt es immer seltener vor, dass man sich Zeit für eine gesellige Runde um den Esstisch lässt.
Social Dining unterstützt echte Begegnungen von Menschen
Seit Sommer letzten Jahres gibt es mit “Erzähl-mahl” eine neue Möglichkeit für persönliche Begegnungen. Es ist eine Art des Social Dining, bei dem es darum geht, Menschen, die sich vorher in der Regel nicht kannten, bei einem feinen Dinner in Begegnung miteinander zu bringen. Das gemeinsame Essen (und Trinken) bietet einen schönen Rahmen, um sich dem Gegenüber zu öffnen. Dabei ist es den Veranstalterinnen Barbara Zevnik und Katrin Frische wichtig, bei allen tiefgehenden Fragen ein ansprechendes, geselliges Ambiente zu schaffen, fernab der teilweise eher tristen Atmosphöre von Stuhlkreisen und Selbsterfahrungsgruppen.
Die Basis der Zusammenkunft ist eine Art Spiel: Zu jedem Gang gibt es eine Gesprächskarte: Auf den nett gestalteten Gesprächskärtchen stehen zum Beispiel Fragen wie:
- “Wofür bist du dankbar”?
- “Was für eine wegweisende Entscheidung hast du in deinem Leben getroffen?“,
- “Warum tust du das, was du tust?“
Diese kleinen sogenannten „Think abouts“ sollen dabei helfen, seine Geschichte zu erzählen.
Geschichten anderen zu erzählen hilft, sein eigenes Leben besser zu verstehen
Zu jedem Gang bekommt man einen neuen Gesprächspartner, den man in der Regel vorher nicht kannte. Mit ihm teilt man ein Stück seiner eigenen Geschichte. Dabei hat man oft genug wahre „Aha-Effekte“. Ein schöner Effekt des Teilens dieser Fragen ist, dass man dem roten Faden des eigenen Lebens ein Stück weit auf die Spur kommt. Wann hast du dir etwa zuletzt die Frage gestellt, warum du das tust, was du tust? Das Erzählen hilft hier, sich Klarheit über verschiedene Dinge des Lebens zu verschaffen.
Außerdem ist es interessant zu hören, welche Erfahrungen und Lebensentwürfe andere Menschen haben. Diese erfährt man, indem man seinem Gegenüber aufmerksam zuhört. Beim Erzähl-mahl! spielt das Erzählen eine ebenso große Rolle wie das Zuhören. Derjenige, der erzählt, hat die gesamte Aufmerksamkeit für sich, ohne dabei durch Zwischenfragen unterbrochen zu werden.
Er erzählt seine Geschichte. Diese Aufmerksamkeit, die nicht durch Rückfragen und Abschweifungen unterbrochen wird, ist ein echtes Geschenk für den Erzähler. Und ein schönes Übungsfeld für die Alltagskommunikation.
In uns Menschen steckt die Sehnsucht nach echter Verbundenheit
“Diese Art des Social Dining wird meist gut angenommen. Offensichtlich spüren die Menschen eine große Sehnsucht nach Verbundenheit und fühlen sich in dem Ambiente von Leichtigkeit und Tiefgang wohl“, sagt Barbara Zevnik, eine der beiden Gründerinnen vom Erzähl-mahl!.
Nach München, wo es seit August 2015 bereits vier Events gab, wird es das Erzähl-mahl! nun auch in verschiedenen anderen Städten Deutschlands geben, darunter Hamburg, Berlin, Mannheim und Wolfsburg.