Ob nun eine klassische Handarbeit wie Häkeln, kreatives Schaffen wie Töpfern oder das Werken mit Holz und Stein. Woher kommt das Bedürfnis eigentlich, etwas mit den eigenen Händen zu machen? evidero-Autorin Sabrina Gundert im Interview mit der Trendforscherin und Diplom-Psychologin Ines Imdahl über Ursprung, Trends und Anerkennung.
Wieso liegt DIY im Trend?
Waren Basteln, Häkeln und Stricken lange Zeit verpönt, so erfährt das Kreativsein heute sein Comeback. Worin sehen Sie die Gründe hierfür?
In unserem Arbeits-Alltag haben wir oft die Kontrolle über unsere Tätigkeiten verloren. Will heißen: Wir rennen unseren Mails, Telefonaten und unseren Kalendern hinterher und können kaum noch eine Tätigkeit ungestört zu Ende bringen. Der selbstgestrickte Pullover gibt das Gefühl, ein Werk von Anfang bis zum Ende selbst zu fertigen — und gibt uns das Gefühl zurück aus dem Hamsterrad unserer Zeit auszuscheren.
Was bedeutet das Selbermachen — ob Nähen, Töpfern oder Handwerkern — für die Kreativen? Schaffen von Individualität, Entspannung, Geld sparen oder ist etwas ganz anderes die treibende Kraft dahinter?
Die treibende Kraft ist weniger neugewonnene Kreativität als vielmehr der zunehmende Stressfaktor. Paradoxerweise kann man gerade durch das Selbermachen entspannen.
Was auf den ersten Blick wie noch mehr Arbeit aussieht, ist eine Flucht aus den üblichen Arbeitsprozessen. Konzentration auf ein Werk statt Perfektionierung von Multitasking. Diese Konzentration hat etwas Meditatives. Dass man sich nebenbei als besonders individuell ausweisen kann, ist ein angenehmer Nebeneffekt.
Geld wird manchmal auch gespart, aber nur die wenigsten können Produkte günstiger als in der industriellen Produktion herstellen.
Mit den eigenen Händen arbeiten macht zufrieden
Lässt sich der Wunsch, etwas selbst zu erschaffen, mit den eigenen Händen zu arbeiten, auch in anderen Lebensbereichen wiederfinden — Thema Urban Gardening zum Beispiel?
Der Wunsch wieder etwas von Anfang bis Ende herzustellen, findet sich in vielen Bereichen. Gardening mag im städtischen Bereich neu sein. Sieht man genauer hin, hat die Bevölkerung auf dem Land das Gärtnern schon Jahrzehnte als Entspannungstechnik entdeckt.
Ebenso dazu gehört das Schrauben an Motorrädern oder die Restauration von Oldtimern. Weil dies aber nicht neu ist, wird leicht übersehen, dass ‚Werkeln‘ ohne Zeitdruck den Menschen als Entspannungsmethode schon lange bekannt ist.
Was denken Sie, gibt es auf Käuferseite ein Bedürfnis in der Gesellschaft, weg von der Massenware und wieder hin zum individuellen Produkt, bei dem ich weiß, wer es gefertigt hat?
Die Suche nach dem Besonderen, nach etwas, das nicht jeder hat, ist auch jenseits von purem Luxus ein Grundbedürfnis der Menschen. Wir streben immer nach Individuellem und Außergewöhnlichem. Darüber hinaus zeigt sich derzeit ein großer Trend hin zu regionalen Produkten — in der Fertigung, aber auch im Anbau.
Menschen möchten tatsächlich wieder wissen, wo ihr Produkt herkommt. Beide Aspekte kombiniert, steigern derzeit durchaus die Attraktivität von guten selbstgefertigten Angeboten.
Wie ist es auf der Seite der Kreativen, wo kommen all die kreativen Menschen mit den vielen, unterschiedlichsten Ideen in den vergangenen Jahren her? Haben die ersten Pioniere andere Kreative mitgezogen oder haben manche vielleicht lange Zeit nur für sich zu Hause gebastelt und es hat erst Online-Marktplätze wie DaWanda gebraucht, damit diese Menschen sich auch zeigen konnten?
Die Menschen sind in den letzten Jahren nicht kreativer geworden als sie früher waren. Sie haben nur ein größeres Bedürfnis, ihr Potential in Umlauf zu bringen. Das ist auf der einen Seite Handgefertigtes — aber es zeigt sich auch in Communities wie Facebook, wo ebenfalls viele kreative Sprüche, Materialien und Bilder zusammengestellt werden.
Darüber hinaus hat sich das Bedürfnis verstärkt, die eigenen Produktionen auch zu zeigen und zu teilen. Wir sind stärker denn je auf Feedback der Gemeinschaft angewiesen. Uns ist es wichtig, was andere über unsere Werke denken und das kann sich in „Likes“ aber auch Verkäufen auf Portalen wie DaWanda zeigen.
In welche Richtung wird sich die Kreativbranche weiter bewegen? Gibt es bestimmte Trends, die sich ausmachen lassen?
Ausgemacht wurde der neue Do-It-Yourself-Trend ja vor allem an den — wieder — strickenden Frauen, zunächst in den USA, dann auch hierzulande. Auch wenn sich derzeit viele andere Bereiche beobachten lassen, wie Einkochen, Gardening, oder Heimwerken, steht die selbsthergestellte Kleidung immer noch im Zentrum der Aufmerksamkeit.
Das liegt daran, dass sie uns im wahrsten Sinne des Wortes besonders nah kommt und manchmal wie eine zweite Haut ist. Wenn sie dann ‚wie auf den Leib‘ geschnitten ist, lassen sich das Bedürfnis nach Entspannung und Individualisierung gleichzeitig befriedigen.
Wie sind die Aussichten? Hat der Kreativboom schon seinen Höhepunkt erreicht oder wird die Branche in den kommenden Jahren weiteren Zuwachs erfahren?
Der Kreativboom kann sich leicht in neuen Druck und Stress auswachsen: Wenn die Weihnachtsgeschenke selbst gemacht sein müssen, werden sie kaum noch der Entspannung dienen, sondern Teil unseres Stressalltags werden. Dann spätestens wird der Trend wieder abebben. Auch für Menschen, die von ihren selbstgemachten Produkten leben möchten, ist der Anspruch hoch. Nicht jeder selbstgehäkelte Topflappen lässt sich über DaWanda verkaufen. Hier ist neben der Idee durchaus echtes Können gefragt.
Die Fragen stellte: Sabrina Gundert