Ich habe nichts zu verbergen! Also ist es ja auch egal, wenn irgendjemand meine digitalen Daten sammelt und sie sich ansieht. Oder doch nicht? Denn häufig werden solche Datensammlungen dazu verwendet, maßgeschneiderte Werbung zu versenden. Inwiefern das zum Problem werden kann erklärt evidero-Bloggerin Annette Coumont.
Neulich fand in Köln wieder die dmexco, eine Fachmesse für digitales Marketing, statt. Als Kombination aus größter Expo und Conference der gesamten Digitalwirtschaft steht die Messe im Zentrum einer voranschreitenden Digitalisierung, die schon jetzt nahezu alle Bereiche der Wertschöpfung erfasst und damit für die gesamte globale Wirtschaft ungebremst an Bedeutung gewinnt. Auf der diesjährigen Messe zog sich der Umgang mit dem Thema „digitale Daten“ durch alle Conference Beiträge und Seminare. Parallel lässt ein neues Fachbuch mit dem griffigen Namen „Data Unser“ der Unternehmensberater Björn Bloching, Lars Luck und Thomas Range uns ahnen, wer die Rechte auf unsere Daten beansprucht und wohin die Konsum-Reise in der digitalen Zukunft geht.
Wir laufen weg, die Werbung läuft uns hinterher
Mit der digitalen Entwicklung steht die gesamte Marketing-Branche vor neuen Herausforderungen. Die Wirksamkeit der klassischen Werbetools, wie TV-Spots, Anzeigen oder selbst Online-Werbung lässt aufgrund des digitalen Wandels deutlich nach. Tag für Tag prasseln rund 3.000 Werbebotschaften auf die Verbraucher nieder. Schon lange ist die zunehmende Werbe-Reaktanz der Verbraucher für die werbungtreibende Wirtschaft ein lästiges Thema: Kaum jemand, der nicht bei TV-Werbung zappt oder das Zimmer verlässt, der lästige Ad-Commercials im Internet einfach wegklickt. Wir Konsumenten laufen vor der Werbung einfach weg. Mit den Möglichkeiten des digitalen Marketings allerdings läuft uns die Werbung bald hinterher — und zwar jedem Einzelnen von uns.
Personalisierte Echtzeit-Angebote verführen uns zum Konsum
Dies wird möglich durch die digitalen Spuren, die wir überall hinterlassen, wo wir digitale Technik zur Kommunikation, Unterhaltung oder zum Konsum nutzen. Die größte Herausforderung des zukünftigen Marketings ist daher die Daten-Kombination und deren qualitative Auswertung zu Benutzerprofilen. Und der größte Traum eines jeden Werbers ist es, jeden einzelnen potenziellen Kunden so gut wie möglich kennenzulernen, um ihn zielgenau mit Werbung treffen zu können. Dahinter steckt die Annahme, dass wir auf uns persönlich zugeschnittene und bedarfsgerechte Werbung besser akzeptieren, wenn wir einen konkreten Nutzen davon haben. Die finale Vision des Marketings ist daher „Realtime“-Werbung. Hierbei wird uns Werbung in Echtzeit, also in genau dem Augenblick präsentiert, in der wir die Angebote auch nutzen können. Zum Beispiel, wenn Schüler nach Schulschluss Werbung für McDonalds Menüs auf ihrem Smartphone empfangen, genauso wie auch alle all ihre (Facebook-)Freunde. Oder wenn wir nach dem Theaterbesuch direkt digitale Restaurantvorschläge nebst Taxiangebot bekommen.
„Was Du kaufst, bestimmen die anderen“ (Martin Lindstrom)
Bei den für die Werbung interessanten Daten handelt es sich auch nicht nur um demographische und sozioökonomische (wie Name, Adresse, Geschlecht, etc.), sondern auch um psychographische Daten (wie Vorlieben, Wünsche, Einstellungen, etc.).
Je mehr wir von uns auf den verschiedenen Plattformen preisgeben und je besser diese Daten sozusagen hinter unserem Rücken kombiniert werden, desto treffsicherer wird das so gewonnene Kundenprofil.
Die Nutzer von Partnerbörsen müssen bis zu 100 persönliche Fragen beantworten, um ihr Profil für die Partnersuche zu erstellen. Werden diese Daten dann mit Informationen der Online-Shoppinganbieter, den sozialen Daten bei Facebook und denen kostenfreier Apps verbunden, erhalten die Werbungtreibenden für jeden Konsumenten ein interessantes und recht komplexes Kundenprofil. Die Werber kennen uns dann vielleicht sogar besser, als wir uns selber. Denn wer denkt schon planend und aktiv über seinen nächsten Konsumschritt nach? Wem ist schon bewusst, welche Wünsche und Bedürfnisse ihn in bestimmen Augenblicken des Tages beeinflussen? Der Durchschnitts-Konsument gewiss nicht, aber die Marketingexperten. Indem sie unsere Daten effektiv überwachen und unsere persönlichsten Wünsche und Vorlieben kennenlernen, planen sie sogar den Konsum für uns. Ganz in diesem Sinne ist auch der Titel „Brandwashed – Was Du kaufst, bestimmen die Anderen“. Das aufschlussreiche Buch stammt von dem Marketing-Experten Martin Lindstrom. Er appelliert darin an den mündigen Verbraucher, der sich vor den perfiden Methoden der Werbewirtschaft schützen lernen kann.
Denn sie wissen ja, was sie tun?
Warum aber machen wir das alles mit? Stört uns die Daten-Sammelwut hinter unserem Rücken denn nicht? Erinnert sie uns nicht an gewisse staatliche Überwachungsmethoden? Scheinbar stört es kaum jemanden. Denn meist höre ich: „Ich habe nichts zu verbergen“, „Ich kann dafür Angebote kostenfrei nutzen“, oder „Ist doch besser Werbung zu bekommen, die mir nutzt“. Die Welle digitaler Transformation schlägt in Form attraktiver Angebote und aufregender Neuigkeiten über uns zusammen. Nahezu niemand kann sich der Faszination der technischen Neuerungen in unserem Alltag entziehen. Das Leben im 24/7 Format, sozialen Netzwerken und kostenfreien Apps, die uns das Leben erleichtern, ist zu aufregend und zu involvierend, um sich mit Fragen nach den ungewissen Folgen von Datenmissbrauch zu beschäftigen. Im freudigen Galopp rennen wir wie Lemminge in die Fänge der Konsum-Kontrolleure, als würde uns im digitalen Raum das Paradies erwarten. „Die Konsumenten geben ja freiwillig Ihre Daten“ frohlocken die Marketingtreibenden im globalen Konsens. Und: „Sie wissen ja, worauf Sie sich einlassen“. Aber wissen wir das wirklich?