Was sind die Ursachen für Alzheimer? Weder das Alter noch die Gene sind ursächlich für eine Alzheimer Erkrankung, sondern ein Defizit in verschiedenen Lebensbereichen, das sich meistens erst im Alter bemerkbar macht. Welche Lebensbereiche das sind und was wir heute dagegen tun können, um später dagegen geschützt zu sein, erklärt uns der Molekulargenetiker, Arzt und Buchautor Dr. Michael Nehls, im Interview. Seine Botschaft: Alzheimer ist vermeidbar und im Frühstadium sogar noch umkehrbar, wenn wir die Ursachen kennen und unseren Lebensstil entsprechend ausrichten.
Herr Dr. Nehls, warum forschen Sie an Alzheimer? Was macht die Krankheit so besonders?
Zum einen die Dramatik der Krankheit, schließlich löscht Alzheimer die Erinnerung an unser Leben aus – und das zu Lebzeiten und bei immer mehr Menschen. Zum anderen die vermeintliche Unabwendbarkeit der Selbstzerstörung. Letztendlich aber auch, was unser Umgang mit dieser Bedrohung über uns aussagt.
Schließlich ist die Lösung des Alzheimer- Problems längst keine primär wissenschaftliche Herausforderung mehr, sondern vielmehr eine gesellschaftlich-kulturelle: Sowohl eine wirksame Vorbeugung als auch eine erfolgreiche Therapie wären heute schon möglich. Es fehlt nur an Aufklärung!
Haben Sie deshalb gerade Ihr drittes Buch zu diesem Thema geschrieben?
Definitiv. Ich suche ständig neue Wege, um möglichst viele Menschen zu erreichen. In meinen ersten beiden Büchern lieferte ich die wissenschaftliche Erklärung dafür, weshalb nicht nur Vorbeugung, sondern sogar eine effektive Therapie möglich sind.
Doch viele Leser wünschten sich ein Buch ohne viel wissenschaftlichen Ballast. Mein neues Buch “Die Formel gegen Alzheimer” ist nun ein reines Praxishandbuch – ohne unwissenschaftlich zu sein. Es ist leicht und schnell zu lesen, wodurch es leicht und schnell aufklärt und möglichst vielen Menschen Hilfe bieten kann.
Es gibt immer mehr Alzheimer-Patienten. Woran liegt das?
Es gibt immer mehr Bevölkerungsgruppen, die ungesund leben. Da diese Menschen dennoch mithilfe moderner Medikamente und Therapien relativ alt werden können, erleben auch immer mehr den Ausbruch der Alzheimer-Krankheit.
Es gibt aber auch den umgekehrten Trend, und der macht zugleich Hoffnung. Denn interessanterweise sinkt das Risiko, an Alzheimer zu erkranken, bei denjenigen, die bewusst einen natürlicheren Lebensweg für sich wählen. Das zeigen Studien weltweit und ist nicht überraschend, sondern steht völlig im Einklang mit meiner Erklärung für die Entstehung von Alzheimer: Gravierende Mängel in unsere modernen Lebensweise kann unser Gehirn langfristig nicht mehr ausgleichen, es baut ab und die Demenz droht.
In wie weit spielen die Gene eine Rolle?
Glücklicherweise so gut wie keine. Inzwischen zeigen mehrere wegweisende Studien, dass Träger der häufigsten genetischen Anlage, die vermeintlich Alzheimer verursachen soll, durch eine menschengerechte Lebensweise – wie ich sie in “Die Formel gegen Alzheimer” aufzeige, sogar besonders geschützt sind.
Das vermeintliche Alzheimer-Gen bedroht unsere geistige Gesundheit nur dann, wenn man ungesund lebt. Leben wir jedoch im Einklang mit unserer Natur, schützt es unser Gehirn sogar vor Alzheimer. Unter solch artgerechteren Lebensbedingungen sorgt diese Genvariante für eine vergleichsweise höhere geistige Leistungsfähigkeit gegenüber denjenigen, die sie nicht haben.
Sie sagen „Alzheimer einfach verstehen”, ” Alzheimer einfach vermeiden” und “Alzheimer einfach therapieren“ – ist das denn wirklich alles so einfach?
Eine gesunde Lebensweise schützt laut Studien vor Alzheimer. Jeder bekannte Risikofaktor ist letztendlich ein Mangel in unserer Lebensweise, den man leicht ändern könnte.
Die verbreitete Meinung, die bisher fälschlicherweise davon ausging, dass hauptsächlich das Lebensalter und oder irgendwelche Gene für Alzheimer verantwortlich sein sollen, ist erfreulicherweise im Begriff, sich zu ändern. Allerdings geschieht das viel zu langsam, weil dieser Irrtum über lange Zeit tief in unser kollektives Gedächtnis gepflanzt wurde. Bis er ausgemerzt sein wird und wir beginnen, die Ursachen zu beheben, bleibt uns Alzheimer als gesellschaftliches Problem erhalten. Denn solange man glaubt, dass man selbst keine Verantwortung hat, wird man sich auch nicht informieren und schon gar nicht etwas ändern, wo Änderungen notwendig wären.
Das ist für mich das Unglaubliche bei dieser Krankheit, angesichts all des unbeschreiblichen Leids, das an sich leicht abwendbar wäre. Zum Beispiel wäre es so einfach, beim Kochen auf ein ungesundes Öl zu verzichten und es durch ein gesundes zu ersetzen. Oder dafür zu sorgen, dass das Gehirn sämtliche (!) Nährstoffe erhält, die es zum lebenslangen Funktionieren benötigt. Oder einfach das Smartphone aus dem Schlafzimmer zu verbannen, damit das Gehirn nachts nicht bei der Regeneration beeinträchtigt wird.
Ich hoffe, Die Formel gegen Alzheimer wird zu diesem neuen Verständnis beitragen.
Bei einer Demenz baut die Leistung des Gehirns spürbar ab und Betroffene verlieren dadurch ihre Eigenständigkeit. Alzheimer ist eine Form von Demenz, allerdings die häufigste. Zunächst ist nur das emotionale Gedächtnis (der Hippocampus) betroffen, im weiteren Verlauf wird auch das restliche Gehirn in Mitleidenschaft gezogen. Inzwischen gibt es über eine Million Alzheimer-Patienten in Deutschland, und weit über 50 Millionen weltweit – Tendenz steigend.
Worauf beruht ihre Zuversicht, dass solche vorbeugenden Maßnahmen tatsächlich greifen?
In der Evolution des Menschen war Lebenserfahrung nicht nur wichtig für das eigene Überleben, sondern auch für das Überleben nachfolgender Generationen. Der Erfahrungsschatz eines Menschen ist in der Regel jedoch umso größer, je älter er wird. Deshalb hat es die Natur so eingerichtet, dass wir einerseits sehr alt werden können und andererseits unsere Erinnerungszentrale für Lebenserfahrung (der Hippocampus) bis ins höchste Alter jung bleibt und immer weiterwachsen kann.
Werden die natürlichen Vorgänge wie Verjüngung und Wachstum unseres Gehirns durch Mängel in unserer modernen Lebensweise verhindert, droht Alzheimer. Wie viele andere Zivilisationskrankheiten auch, ist deshalb auch Alzheimer vermeidbar und der Krankheitsprozess – früh genug erkannt, also bevor schon ernste Schäden entstanden sind – noch umkehrbar.
Das ist vielleicht sogar der stärkste Beweis dafür, dass die Maßnahmen, die letztendlich nichts anderes sind als eine artgerechte Lebensweise, auch vorbeugend wirken! Wir müssen nur wieder artgemäß leben, und das ist eigentlich ganz einfach. Dazu gehört eine vitalstoffreiche Ernährung, körperliche und soziale Aktivitäten, Sinn im Leben und nicht zuletzt ausreichend Tiefschlaf.
Zur Person: Privatdozent Dr. med. Michael Nehls wurde 1962 in Freiburg geboren. Der Arzt und Molekulargenetiker forschte an renommierten Instituten. Er war Leiter der Genomforschung einer US-Firma und Vorstandsvorsitzender eines Münchner Biotechnologie-Unternehmens. Einige seiner wissenschaftlichen Entdeckungen veröffentlichte er mit zwei Nobelpreisträgern, eine weitere wurde neulich vom renommierten US-amerikanischen Fachverband für Immunologie als Säule der immunologischen Forschung geehrt. Als selbstständiger medizinischer Wissenschaftstheoretiker publizierte er eine umfassende Erklärung der Alzheimer-Krankheit. Für seine bahnbrechenden Erkenntnisse zur Alzheimer-Entstehung, Prävention und Therapie wurde Dr. Nehls 2015 mit dem Hanse-Preis für Psychiatrie ausgezeichnet. Durch sein systembiologisches Therapieverfahren erlangten inzwischen die ersten Alzheimer-Patienten ihr Gedächtnis wieder.
Was bedeutet artgerecht, wenn es um Menschen geht?
Die wichtigste Entwicklungsphase hin zum modernen Menschen fand in einer Zeit statt, in der unsere Vorfahren als Fischer und Sammler lebten. In dieser Zeit entwickelte unser Gehirn die größte Kapazität und Leistungsfähigkeit. Als Fischer und Sammler begann der Mensch die soziale Eroberung der Erde. Die damalige Lebensweise herrschte über mehrere Hunderttausend Jahre vor und prägte uns und damit unser Erbgut. Wir müssen allerdings nicht zurück in die Steinzeit, um artgerecht zu leben.
Die Formel gegen Alzheimer zeigt uns, auf welche Lebensbereiche es ankommt. Danach können wir im Prinzip einfach die Lebensweise nachleben, auf die unser Gehirn optimiert wurde: Dazu gehört täglich etwas körperliche Aktivität, soziale Aufgaben bis ins höchste Alter (Ruhestand gab es damals noch nicht und nicht mehr aktiv zu sein ist auch heute nicht gesund), sowie eine hirngesunde, vitalstoffreiche Ernährung.
Nun ist es leider nicht mehr möglich ist, täglich Fisch zu essen – die Meere sind leider überfischt und immer mehr mit Giftstoffen belastet. Mein Buch liefert gesunde, einfache Alternativen für die lebenswichtigen Inhaltsstoffe, die unser Gehirn benötigt.
Vielen Dank für das Interview, Herr Dr. Nehls!