Frauen leiden doppelt so viel an Depressionen wie Männer. Medikamente scheinen oft der einzige Ausweg aus dem unerträglichen Leiden vieler Menschen. Die auf Frauengesundheit spezialisierte amerikanische Ärztin, Psychiaterin und Neurologin Kelly Brogan stellt das radikal infrage. Eine Heilung ist auch ohne Psychopharmaka möglich. Das Schlüsselwort heißt: gesunder Lebensstil. In den USA stürmte ihr Buch bereits die New York Times Bestseller Liste. Nun ist es in Deutsch erschienen. evidero-Redakteurin Jutta Echterhoff hat es gelesen und die wichtigsten Thesen zusammengefasst.
Kelly Brogan stellt zum ersten Mal den Körper in den Mittelpunkt, wenn es um die Heilung von Depressionen geht. Denn diese, so Brogan, gehen nicht vom Kopf aus, sondern von Entzündungen im Darm, erhöhtem Blutzucker oder anderen, auch hormonell bedingten Störungen im Körper. Diese haben Einflüsse auf das Gehirn und die Stimmung, die meisten davon ausgelöst durch einen ungesunden Lebensstil, falsche Ernährung oder Umweltgifte.
Frauen sind häufiger betroffen als Männer
Mit Hilfe neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse sowie Erfahrungen aus ihrer Praxis in New York stellt Kelly Brogan ein ganzheitliches Konzept vor, wie Betroffene sich ohne Medikamente von einer Depression befreien. Ihr Augenmerk liegt dabei auf Frauen. Der Grund: Frauen werden – zumindest in den USA – doppelt so häufig Antidepressiva verordnet wie Männern. Hinzu kommt, dass Frauen im klinischen Sinne anfälliger für Verhaltenssymptome durch die für Depressionen verantwortlichen Entzündungsprozesse im Körper sind als Männer.
Psychopharmaka verschlechtern die Selbstheilungskräfte
Brogan geht in ihrem Buch mit der Schulmedizin und der Pharmaindustrie hart ins Gericht. So weist sie darauf hin, dass nicht thematisiert wird, wie Antidepressiva den Selbstheilungskräften des Körpers unwiderruflich schaden und sogar den Verlauf mentaler Erkrankungen verschlechtern. „Das schmutzige kleine Geheimnis ist die Tatsache, dass Antidepressiva zu den Wirkstoffen gehören, von denen man am schwersten loskommt, schlimmer noch als Alkohol und Opitate.“
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Im ersten Teil ihres Buches geht Brogan auf die Entstehung von Depressionen ein. Aus der Sicht einer Neurologin und Psychiaterin (und nicht Psychotherapeutin) stellt sie die Funktionen des Körpers und das Zusammenspiel von Darm und Gehirn in Bezug zur Entstehung von Depressionen. Frühere traumatische Erlebnisse (zum Beispiel aus der Kindheit) oder die Rolle des Unterbewusstseins, sind nicht Gegenstand ihrer wissenschaftlichen Untersuchungen.
Vielmehr thematisiert sie den Einfluss des Lebensstils, insbesondere der Ernährung, auf Depressionen. Sie spricht von „Lebensstilmedizin“, die einen enormen Einfluss auf die Stimmungslage hat, und die – das ist die gute Nachricht – erheblich verbessert werden kann, wenn der Lebensstil drastisch geändert wird. Auf Medikamente kann sogar ganz verzichtet werden, wenn Betroffene ihr Leben grundlegend ändern. Was heißt das konkret?
Die Rolle des Darms, Blutzuckers und hormoneller Störungen
Nach Meinung von Brogan sind Depressionen keine Krankheit, sondern ein Symptom, das auf ein Ungleichgewicht im Körper und nicht auf ein chemisches Ungleichgewicht im Gehirn zurückzuführen ist. Das Ungleichgewicht kommt zustande durch Störungen im Immunsystem und in den Entzündungsbahnen: Insbesondere Entzündungen im Darm, einem erhöhtem Blutzucker und hormonellen Störungen. Diese Faktoren stehen nicht nur im Zusammenhang mit Depressionen, sondern auch mit anderen degenerativen Nervenerkrankungen wie Parkinson, Demenz oder Alzheimer.
Hohe Entzündungswerte im Blut begünstigen Depressionen
Kelly Brogan berichtet ausführlich von Studien, die eine Verbindung zwischen funktioneller Darmstörung und dem Gehirn nachweisen: Hohe Entzündungswerte im Blut stehen demnach in Relation zu der Schwere einer Depression (wie auch Herzleiden, Arthritis, multiple Sklerose, Diabetes und Krebs). Diese hohen Entzündungswerte gehen auf die typische Ernährungsweise der westlichen Welt zurück, allen voran Zucker und ungesunde Fette. „Im Gegensatz zur landläufigen Meinung ist ein hoher Blutzuckerspiegel der einflussreichste Risikofaktor bei einer Depression“, schreibt Kelly Brogan im ersten Kapitel.
Die Darmflora und das Immunsystem spielen verrückt
Diese schlechte Ernährung schädigt vor allem die Darmflora und damit das gesamte Immunsystem. Vereinfacht formuliert: der Darm beeinflusst das Immun- und Nervensystem und damit die Chemie im Gehirn. Als Folge können mentale Erkrankungen wie Depressionen entstehen. Ausführlich und für den Laien verständlich leitet Kelly Brogan ihre Theorie auf Basis neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse her. Dabei spielen noch viele weitere Faktoren eine Rolle, zum Beispiel Hormone oder Darmbakterien.
Erklärt wird das komplexe chemische System unseres Körpers und seine Auswirkung auf Depressionen und chronische Erkrankungen.
Neben der Ernährung tragen aber auch noch weitere Lebensbereiche zur Heilung von Depressionen bei. Genannt werden Umweltgifte im Haushalt, Stress, Schlafstörungen und fehlende körperliche Bewegung. Auch sie haben großen Einfluss auf das Immunsystem, Stoffwechsel und den Seelenfrieden.
Lebenstilmedizin ist die Lösung bei mentalen Erkrankungen
Im zweiten Teil ihres Buches rückt Kelly Brogan die Umstellung des Lebensstil in den Fokus. Es gilt, die Selbstheilungsmechanismen des Körpers zu aktivieren, um die mentale Gesundheit zu verbessern. Eine grundlegende Veränderung der Lebensweise unterstützt die Selbstheilungsmechanismen des Körpers und ist in der Lage, die Depression zu überwinden: Ernährungsumstellung (mehr gesunde Fette und weniger Zucker, Milchprodukte und Gluten); natürliche Nahrungsergänzungsmittel wie B-Vitamine und Probiotika, die nicht nur rezeptfrei, sondern auch in bestimmten Lebensmitteln vorhanden sind; weitmögliche Verringerung oder Vermeidung von Toxinen, die biologische Prozesse beeinträchtigen, ausreichend Schlaf und körperliche Bewegung und Verhaltenstechniken, die darauf abzielen, Entspannungsreaktionen zu fördern.
Woche für Woche den Lebensstil umstellen
Sie empfiehlt, drei einfache Gewohnheiten ins Leben zu integrieren: Meditation, Schlaf und Bewegung. Ein umfangreiches 30 Tage Selbsthilfeprogramm im zweiten Teil des Buches hilft Betroffenen, ihr Leben langsam umzukrempeln. Ausführliche praktische Tipps und Rezepte unterstützen dabei. Jede Woche steht ein anderer Lebensbereich im Mittelpunkt.
1. Woche: Entgiftung des Körpers und Ernährungsumstellung
2. Woche: Entgiftung des Haushalts
3. Woche: Einführung einer Meditationspraxis
4. Woche: Bewegung und Schlaf
Kelly Brogan hat in ihrer eigenen Praxis viele depressive Frauen bei der Umstellung begleitet und schon nach kurzer Zeit, Besserungen festgestellt. Typische Symptome wie Müdigkeit, Ängste, Unkonzentriertheit und Traurigkeit wichen mit der Zeit einer neuen Lebensfreude. Die größte Hürde für ihre Patientinnen, so die Ärztin, ist das Überwinden des übermächtigen Glaubens an die Schulmedizin und den Glauben an in die Selbstheilungskräfte des eigenen Körpers zurückzugewinnen.
Depression ist eine Chance
Ermutigende Worte findet Kelly Brogan am Ende ihre Buches. Sie sieht eine Depression auch als eine Chance an: “Sie führt uns vor Augen, dass wir innehalten und herausfinden sollten, was unser Ungleichgewicht verursacht haben könnte, statt die Symptome zu verschleiern, zu unterdrücken oder umzulenken. Sie bietet uns die Möglichkeit, ein neues Kapitel der Geschichte aufzuschlagen, einen radikalen Wandel in die Wege zu leiten und Ja zu einer anders gearteten Lebenserfahrung zu sagen.”
FAZIT: Vertrauen in die Selbstheilungskräfte des Körpers
Wir bei evidero sind davon überzeugt, dass ein gesunder und bewusster Lebensstil zu einem erfüllteren und glücklicheren Leben führt. Darüber schreiben wir und unsere Experten täglich. Das Buch von Kelly Brogan untermauert unsere Mission. Es ist nicht nur hilfreich für depressive Menschen, sondern gibt auch allen anderen spannende Einblicke in das Zusammenspiel von Lebensstil und Gesundheit. Das Buch macht Betroffenen Mut, ihr Leiden zu überwinden. In Punkto Depressionen muss angemerkt werden, dass es neben der psychiatrischen („medizinischen“) Perspektive auch noch den psychoanalytischen („tiefenpsychologischen“) Ansatz gibt. Es wäre spannend zu erfahren, was Psychologen über das Buch denken.
Weitere Informationen:
- www.kellybroganmd.com