Vor einigen Wochen hat evidero im Themenschwerpunkt „Essen“ über die Kriterien nachhaltiger Ernährung berichtet. Die einzelnen Dimensionen lauten: gesund, sozial, ökologisch, wirtschaftlich. So definiert es auch Dr. oec. troph. Karl von Koerber, wichtigste Kapazität auf dem Gebiet der Ernährungsökologie. In der Umsetzung lauten die Empfehlungen für eine nachhaltige Ernährung vor allem: regional, biologisch, saisonal und möglichst unverarbeitet.
Das ist in der Nachhaltigkeitsdiskussion mehr oder weniger Konsens, obwohl es zahlreiche offene Fragen – auch unter dem Aspekt der Welternährung – gibt: In der Gentechnik-Diskussion zum Beispiel hat sich bis heute kein eindeutiges Stimmungsbild herauskristallisiert: Ist die Agro-Gentechnik nicht nachhaltig, weil die ökologischen und möglicherweise auch die gesundheitlichen Folgen auf lange Sicht nicht unter Kontrolle gehalten werden können? Und weil Gentech-Konzerne die Bauern abhängig machen? Oder kann sie nicht doch in der Hinsicht nachhaltig sein, dass sie möglicherweise hilft, die Bevölkerung in der Dritten Welt vor Mangelerkrankungen zu bewahren? (Ich tendiere zu Ersterem).
Den einzelnen Konsumenten freilich plagen solche Fragen nur sehr sporadisch. Vielmehr ist er neben seiner Gesundheit vor allem an einem interessiert: Er sucht „Entlastung“, wie es die sozial-ökologische Forschung nennt. Das bedeutet konkret vor allem: Zeitersparnis. Und das sowohl bei Einkauf, Zubereitung oder Verzehr von Mahlzeiten, als auch beim Aufwand, der notwendig ist, um vertrauenswürdige Informationen zu bekommen.
Vom Dosen-Eintopf und der Tütensuppe über den (Dinkel-)Burger, das Tofusteak oder die Chicken-Nuggets bis hin zu Pastasoße, Gemüsetortellini, Fertigpizza oder Tiefkühllasagne gibt es seit vielen Jahren alles in Bioqualität. Und zunehmend in ausgefeilteren Varianten und größerer Auswahl. Dies macht immer wieder aufs Neue die BioFach deutlich, die Öko-Weltleitmesse, die dieser Tage in Nürnberg fast alles ausstellt, das nicht bei drei im Lidl-Regal liegt. Die BioFach ist zum Schlaraffenland der Convenience-Produkte geworden, wie die Fertiggerichte im Fachjargon heißen. Es gibt Ravioli oder Couscous mit Gemüse im Glas, Nudelsalat in der Plastikschale oder Kürbissuppe im Tetrapak.
Muss das sein? Liest man die Leitsätze der Ernährungsökologie, dann liest man: „Denn bei den meisten Verfahren der Lebensmittelverarbeitung werden wertvolle Inhaltsstoffe vermindert, zerstört oder abgetrennt, d. h. die Nährstoffdichte (z. B. mg Vitamin B 1/ 1000 kJ) wird herabgesetzt und die Energiedichte (z. B. 1000 kJ/ 100 ml) häufig erhöht“. Zweifellos sind Fertiggerichte zu stark verarbeitet, enthalten isolierte Inhaltsstoffe, viel Salz, Fett und häufig Zucker.
Eine freundliche Dame an einem BioFach-Messestand erläuterte mir, dass ihr Unternehmen alles herstelle, was sich die Kunden wünschten. Ob Bio oder konventionell, ob Konserve oder Kühlware, ob vorgekocht oder fertig gebacken. Das ist nicht die alternative nachhaltige Wirtschaft, die wir uns wünschen. Sie erhöht allein den Absatz von ökologisch angebauten landwirtschaftlichen Produkten. Aber es gibt natürlich auch zahlreiche Unternehmen, die konsequent hochwertige ökologische Ware verarbeiten, dabei auf schonende Verarbeitung und gesunde Rezepturen achten und mit einer kräftigen Prise „Spirit“ würzen. Die Deutschen sind in dieser Disziplin allerdings nicht unbedingt Weltklasse.
Dennoch zeigt sich hier wieder einmal, dass bio keinesfalls mit öko gleichzusetzen ist. Soll heißen: Auch mit Rohstoffen aus Bio-Landwirtschaft kann man durchaus schlechte Produkte herstellen. Schlecht für die Umwelt, weil sie etwa Palmöl beinhalten, welches meist auf Plantagen angebaut wird, denen Regenwald weichen musste; schlecht für das Klima, weil etwa für Herstellung, Transport und Lagerung von Tiefkühlprodukten sehr viel Energie eingesetzt wird; schlecht für die Gesundheit, weil hier wie im konventionellen Bereich zu viel Fett, Zucker und Salz eingesetzt wird.
Was in den Produkten drin ist, ist für den Konsumenten häufig schwierig zu erkennen. Immer wieder hört man Menschen – nennen wir sie vereinfachend Altökos -, die im Bioladen schimpfen, dass man auch hier nun die Zutatenlisten der Produkte lesen müsse. Das war im Reformhaus des alten Typs sicherlich anders, aber wer, der nicht krank oder von Unverträglichkeiten geplagt wird, wünscht sich diese Zeiten zurück?
Convenience kann man nämlich auch anders sehen: Spart es denn zum Beispiel keine Energie, wenn nicht jeder Single sein Süppchen allein kocht, sondern auf vorgefertigte Ware zurückgreift? Ist es denn nicht von Vorteil, wenn die Menschen im Bioladen das gleiche in Bioqualität erhalten, das sie so gerne mögen? Etwa Doseneintöpfe, Tiefkühlpizza, Fertigsaucen oder panierte Schnitzel? Ich finde schon. Auch das Problem, dass unseren Kindern häufig das Pulverkartoffelpüree besser schmeckt als das aus frischen Kartoffeln, dass Milchreis aus dem Kühlregal dem frisch zubereiteten vorgezogen wird, oder dass der Sahnepudding als Nachtisch mehr Freunde hat als der Apfel, ist in der Tat bedauerlich, aber auch kein Drama.
Ablehnen würde ich Fertiggerichte vor allem dann, wenn sie von multinationalen Konzernen angeboten werden, die Rohstoffe billigst einkaufen und in teure Waren verwandeln. Hier verdienen sicherlich die Falschen. Ohne faire Bedingungen in Landwirtschaft und Handel wird jedes Produkt zu Problem. Auf der Biofach scheinen alle Unternehmen unheimlich sympatisch und ungefährlich. Zwar ist auch hier das meiste Marketing und Verpackung, und teure Messestände halten die ganz kleinen schon von vorneherein fern. Aber unterm Strich dürfen diejenigen ruhig an meinem Appetit verdienen, die mir das aufwändige Seitan-Herstellen, Kidneybohnen-Einkochen oder Pastamachen abnehmen. Wunderbar geschmeckt hat übrigens auch wieder das vegetarische Fleisch in allerlei Variationen.