Die Scheidungsrate liegt in Deutschland bei ca 41 Prozent. Sie ist zwar seit 2005 (52 Prozent!) rückläufig, aber dies mag an der geringeren Anteil der Eheschließungen liegen. Denn immer mehr Paare leben in eheähnlicher Gemeinschaft, seitdem die Rechte denen von Paaren in der Ehe nahezu gleichgestellt sind. Fakt bleibt: Paare trennen sich schneller, sobald Konflikte auftreten. Katharina Middendorf und Ralf Sturm plädieren in ihrem Buch “Bereit für die Liebe” für eine Wende vom schnellen Ende. Sie gehen sogar noch einen Schritt weiter: Sie zeigen uns, dass die Zeit für die echte Liebe zwischen zwei Menschen meist dann erst beginnt.
Das Autorenpaar Katharina Middendorf und Ralf Sturm sind beruflich und privat ein Paar. Sie bilden über nivata® gemeinsam Yogalehrer aus und bieten systemische Therapie, Paar- und Sexualtherapie sowie Yogatherapie an.
Als Gegenpol zu der heraufbeschworenen Beziehungsunfähigkeit positionieren sich die Autoren mit ihrem Buch “Bereit für die Liebe” entgegen dem allgemeinen Mainstream als Motivatoren zum Dranbleiben: Wir scheinen in unserer Beziehung festzustecken, aber wir kommen da gestärkt wieder raus!
Von der Yogaphilosophie inspiriert plädieren Katharina Middendorf und Ralf Sturm für die Liebe als echte Chance zur Entwicklung der eigenen Persönlichkeit und des gemeinsam ‘ein Paar Sein’.
Liebe Frau Middendorf, jeder, der von einer starken Beziehungskrise betroffen ist und den Titel Ihres Buches liest, denkt doch womöglich erstmal: Was soll denn am Ende da jetzt noch anfangen? Denn leider hat sich ja irgendwie in unserer Gesellschaft das Bewusstsein durchgesetzt, dass wir nicht für die Monogamie in einer Partnerschaft geschaffen sind. Mit welchen Argumenten können Sie dem entgegenwirken?
Was da, am vermeintlichen Ende, anfangen kann, ist echte Intimität. Genau gesagt: selbstvalidierte Intimität. Ob sich eine Beziehungskrise in einem großen „Knall“ entlädt oder in einem schleichenden Desinteresse offenbart: man steht vor einer scheinbaren Sackgasse.
Nach einer stürmischen Verliebtheitsphase folgt oft die „Ernüchterung“. Ob man sich dann in eine Affäre oder eine neue Partnerschaft begibt: in beiden Fällen wird das Ende des Anfangs betrauert und man versucht, genau diese Gefühle wieder herzustellen. Das ist unseres Erachtens der Beginn eines ermüdenden, frustrierenden Ablaufs, der entweder zu ständigen Wiederholungen in neuen Beziehungen oder in langjährigen Partnerschaften zu Resignation führt.
In beiden Fällen wird bei dem mühsamen Versuch etwas herzustellen, was nicht herzustellen ist, nicht bedacht, dass es auch einen anderen Verlauf geben kann, der für Lust an und auf die Beziehung sorgt. Das ist selbstvalidierte Intimität.
Man kann sich das wie eine Brücke vorstellen, die man zu Beginn der Partnerschaft betritt und bislang nur bis zur Mitte gegangen ist. Ein Konflikt kann einem zeigen, dass es an der Zeit ist weiterzugehen und Gebiete zu durchqueren, die unbekannt sind, vielleicht sogar Angst machen.
Selbstvalidierte Intimität besteht darin, sich selbst und dem anderen gegenüber „aufzumachen“ und sich ohne Masken zu zeigen. Da, wo es schmerzhaft oder zäh wird, hinzugucken und wach zu bleiben, ohne dabei die Verbindung zum anderen zu verlieren. Das ist nicht nur ein Weg einer intimen Paarbegegnung, sondern auch ein Weg der Selbsterfahrung. Sich dem anderen zuzumuten, ohne dabei die Verantwortung in seine Hände zu legen.
Und sich selbst zu vergeben, ohne zu resignieren. Den eigenen Standpunkt in Verbindung zum anderen entwickeln und halten, da wo er zu halten ist und da aufzugeben, wo der andere es braucht.
Das hört sich nach Arbeit an. Es kann aber dadurch tatsächlich auch eine ganz neue erotische Ebene eröffnet werden, deren Verfallsdatum nicht abläuft. Statt einer Einigung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner bekommt so jeder das, was er sich wirklich wünscht. Ich persönlich habe noch niemanden getroffen, der es schafft, diese Wachheit auf mehrere Partnerschaften gleichzeitig zu verteilen.
Dass Beziehungen immer früher beendet werden, unterstützt unserer Meinung nach die These, dass viele an diesen kritischen Punkt kommen, aber gerade wenn es Ernst wird, lieber wieder woanders bei Null beginnen, um sich selbst und dem anderen nicht allzu nah zu kommen. Denn selbstvalidierte Intimität ist oft unbequem. Aber sie lohnt sich.
Ihre psychologische Argumentation ist stark an die Yogaphilosophie angelehnt. Im Yogasutra des Weisen Patanjali wird in den Yamas (ethische Regeln im Umgang mit sich selbst und anderen) “Brahmacharya” genannt, wonach wir sexuelles Fehlverhalten vermeiden sollten. In diesem Sinne kann doch auch die Ehe oder die Partnerschaft als eine Form von Askese angesehen werden?
Die Yogasutras von Patanjali sind kurze Aphorismen, die der Interpretation bedürfen, die ganze Bücher füllt. Ich sehe „Brahmacharya“ als das Haushalten mit sexueller Energie, und von Energie im Allgemeinen.
Die Yamas sind ein Teil des Yogaweges, den Patanjali vorschlägt, um aus dem Leid herauszukommen. In unserer Anlehnung an Patanjali beziehen wir uns auf den Ursprung von Leid und Unzufriedenheit. So könnte „Brahmacharya“ in unserem Ansatz als „auf sich und einander kanalisierte Energie“ interpretiert werden. Und das wäre der Entwicklung des Selbst in der langfristigen Beziehung demnach sehr positiv zuträglich.
“In unseren Augen ist Liebe das, was unsere Welt zusammenhält.” Katharina Middendorf, Ralf Sturm
Sie schlagen vor, dass wir uns im Paargefüge gegenseitig jeweils wie Gott/Göttin und/oder wie Lehrer/Lehrerin betrachten sollten. Könnten Sie die Entlehnung dieser ungewohnten und bildhaften Begriffe aus der indischen Mythologie in ihrer Bedeutung für die moderne Paarbeziehung erläutern?
Im Grunde geht es bei diesem Bild darum, dass man sich auch mal „was sagen lässt“ und den anderen den Experten über sich selbst sein lässt. Wenn wir uns sicher sind, unseren Partner zu kennen, dann ist es nicht weit hergeholt, dass auch er uns gut kennt.
Den anderen dann seinen Lehrer oder seine Lehrerin sein zu lassen, wirft zunächst vielleicht Widerstände auf. Doch wenn man dieses erste Unbehagen beiseite lässt und sich vergegenwärtigt, dass man sich gerade selbst entschieden hat, den anderen führen zu lassen, kann sich das in etwas Schönes und vor allem Wechselseitiges verwandeln.
Diese Übung ist übrigens besonders im Streit sehr schwer, obwohl genau in solchen Momenten der Partner in vielen Punkten um einiges besser über uns Bescheid weiß als wir selbst. Denn er kennt unsere blinden Flecken. Und wir können oft mehr lernen als uns zunächst lieb scheint. Doch dann kann ein „Du hast recht“ für sehr viel Nähe sorgen. Auch wenn es einem anfänglich schwer über die Lippen geht.
Um das Leid innerhalb von Beziehungen zu erklären, orientieren Sie sich an den Begriff der Kleshas (=leidvolle Emotionen) aus der Yogaphilosophie. Sie nennen diese der Thematik angepasst und nachvollziehbar “Denkfehler”. Welches sind typische Denkfehler in kriselnden Beziehungen?
In kriselnden Beziehungen ist sicher der letzte Denkfehler „Das hat doch keinen Sinn“ der entscheidende. Was diesem allerdings voraus geht, ist das, was wir die Dynamik der Denkfehler, bzw. die Denkfehler-Spirale nennen. Diese startet an dem Punkt, wo einer der Partner anfängt zu glauben, dass er der Experte über die gesamte Beziehung ist und sich eine Meinung bildet, warum was wie ist.
Verstärkt sich dieses Wissen bzw. Nichtwissen so sehr, dass man sich damit identifiziert und zu einem Teil dieser konstruierten Wahrnehmung wird, wird es brenzlig. Denn nun steht nicht mehr nur die eigene Meinung auf dem Spiel, sondern das gesamte „Ich“. Um dieses zu verteidigen werden einerseits Forderungen gestellt und andererseits Wünsche des Partner abgelehnt. Wenn es sich wie Selbstaufgabe anfühlt, dem Partner entgegenzukommen, ist das der ultimative Beziehungsdolchstoß: „Das hat keinen Sinn mehr“, sagt man sich dann, obwohl es gerade hier spannend wird.
Inwiefern spielt die eigene achtsame Haltung zu uns selbst, zu unserem Leben, zu unserem Partner, die wesentliche Rolle für das Gelingen der Liebe?
Achtsamkeit bleibt wirkungslos, wenn sie sich hinter Konzepten versteckt. In der Liebe wird das eigene Wissen um Achtsamkeit auf die Probe gestellt. Denn plötzlich wird alles ganz komplex. Und vor lauter Achtsamkeit kann man dabei ganz vergessen zu leben und zu lieben.
Aus Angst etwas falsch zu machen versäumt man zu tun, was hilft. Wir können einem lebendigen Gefüge wie der Partnerschaft kein steriles Achtsamkeitskonzept überstülpen. Vielmehr ist es ein Gebiet des Probierens und der Reife, die einen zu einem achtsamen Menschen machen kann. Wir denken, dass es im Grunde auch das ist, was Buddha gemeint haben könnte.
Frauen scheinen mehr auf echte, sichere und liebevolle Bindungen angewiesen zu sein – vor allem wenn sie Kindern ein langfristiges stabiles Umfeld bieten wollen. Gibt es typisch weibliche Denkfehler?
Bei der Beantwortung dieser Frage ist es wichtig zwischen Mann/Frau und weiblich/männlich zu unterscheiden. Auf der Mann/Frau Ebene würde ich sagen, dass beide Geschlechter auf echte, sichere und liebevolle Bindungen angewiesen sind.
Weibliche und männliche Eigenschaften wie sie die Yogaphilosophie benennt, sind hingegen Konzepte, die auf genau dieser Unterscheidung beruhen. Die Denkfehler sind zunächst nicht geschlechterspezifisch.
In der Yogapsychologie sind unsere Persönlichkeiten in sieben Bereiche unterteilt, die durch die sieben Chakren (Energiezentren), ihre Entsprechung finden. Sie sprechen in ihrem Buch in diesem Zusammenhang von den sieben “Spielfeldern”, denen die Elemente zugeordnet sind: Gibt es typisch weibliche Spielfelder/Elemente in der Paarverbindung?
Hier gilt im Grunde das Gleiche wie bei den Denkfehlern: es gibt für uns keine geschlechterspezifische Mischung – auch wenn viele gerne sagen, dass Frauen intuitiver sind als Männer.
Was aber sehr wohl der Fall ist, dass die Chakren oder auch Persönlichkeitsanteile im Menschen unterschiedliche Ausprägungen haben. So könnte man sagen, dass sich das Weibliche und das Männliche im Chakra selbst anders darstellt.
Hierzu müsste man dann aber ein weitere Konzept der Yogapsychologie hinzuziehen, nämlich das von Ida und Pingala und Shiva und Shakti. Ein Beispiel hierfür wäre zum Beispiel das Sakralchakra, das für Sinnlichkeit steht, aber auch in seinen Schattenseiten für Scham und Sucht.
Das Weibliche, was das Introvertierte ist, würde mehr zur Scham tendieren, während das Männliche, das das Extrovertierte darstellt, mehr zur Sucht neigen würde. Die Sinnlichkeit des Weiblichen wäre allumfassend, kreativ und weich. Während die männliche Sinnlichkeit sich fokussiert und konzentriert darstellt. Ganz wichtig ist allerdings hierbei, dass weder das Weibliche bedeutet, dass es sich dabei um eine Frau handeln, noch dass es sich beim Männlichen um einen Mann handeln muss.
Liegt die Vermutung nahe, dass Frauen, die häufig mehr Zugang zu sich selbst haben und demnach auch die große Mehrheit unter den Yogis bilden, mehr für den Erhalt einer Paarbeziehung tun können?
Das würde von Anfang an eine Schieflage kreieren, die schwer wieder aufzufangen wäre. Denn das würde bedeuten, dass die Frau „weiter“ ist als der Mann. Oder der Yogatreibende weiter als der Nicht-Yogi. Man könnte ja auch davon ausgehen, dass meistens zwei Menschen zusammen sind, die gleich weit sind. Allein schon, dass man davon ausgeht, kreiert ein Feld auf Augenhöhe, das für eine intime Paarbeziehung von großer Bedeutung ist.
Man könnte tatsächlich vermuten, dass Yogis einen leichteren Zugang zum Führen einer gelungenen Paarbeziehung haben, doch erleben wir auch immer wieder genau das Gegenteil. Yogis, die sich trennen, weil die Beziehung angeblich nicht mit der eigenen Entwicklung mitwächst, weil der Partner nicht offen genug ist oder weil Partnerschaft vielleicht doch auf dem meditativen Weg gar nicht mehr so wichtig ist (solange bis ein neuer Partner auftaucht, der die gleichen Interessen teilt, mit dem es dann aber auf anderen Ebenen in die Hose geht.)
Yoga kann sehr gut helfen, sich besser kennenzulernen und weicher zu werden, es kann aber genauso sehr hart machen und dazu führen, dass man sich als das Maß aller Dinge sieht. In unserer Praxis machen oft die Männer den ersten Schritt und bitten um ein Paargespräch.
Gibt es unterstützende Übungen aus dem Bereich Yoga und Meditation, die wir für unsere eigene Veränderung und Wahrnehmung nutzen können? Können Sie uns ein Beispiel geben?
In unserem Buch haben wir im Anhang einige Übungen zusammengestellt. Diese können eingesetzt werden, um unsere Wahrnehmung zu schulen. Doch selbst hier gilt das Gleiche wie bei der Achtsamkeit. Auf dem Kissen oder der Matte ein Meister zu sein, heißt noch lange nicht, dass man seine Beziehungen glücklich gestalten kann.
Deshalb ist unser Tipp, die Freude am Experiment nicht zu verlieren. Am Wagnis das Unbekannte in sich anzuschauen. Und das Unbekannte im Partner. In Yoga und Meditation kann man etwas Grundlegendes lernen, wenn man dazu bereit ist, nämlich dass man nichts festhalten oder aufrechterhalten kann und dass man das Beständigste was wir erleben können im Leben und in der Liebe in der Offenheit findet, mit der man Veränderung zulässt. Das kann man beim Kopfstand ebenso lernen wir in der Stille-Meditation.
Was passiert, wenn ein Partner die Bemühungen zu echter anhaltender Liebe nicht teilen möchte?
Es kommen viele Paare zu uns, bei denen zumindest einer behauptet, dass der andere diese Bemühungen nicht teilt. Dann gilt es erst mal zu schauen, was ist damit gemeint? Und ist der andere tatsächlich nicht „bereit“ oder einfach nur „anders“?
Was klingt wie der Streit um das Förmchen auf dem Kinderspielplatz, ist die Arbeit, die man in einer Beziehung von Zeit zu Zeit zu tun hat. Meistens kommt es in den Sitzungen an den Punkt, dass beide es wollen nur etwas anderes unter „echter, anhaltender Liebe“ verstehen. Und dann müssen beide Partner gucken, ob sie das, was der andere sich vorstellt, interessant finden oder nicht.
Ich kann mir aber vorstellen, dass Ihre Frage auch in die Richtung zielt, wie lange man Geduld haben soll. Und hier können wir nur sagen, dass die Zeit, in der man enttäuscht ist, aber nichts unternimmt, was der Partner versteht, nicht zur „Wartezeit“ zählt. Erst wenn man wirklich geklärt und hörbar ausgesprochen hat, was gewünscht ist – und das verstanden wurde – kann die innere Sanduhr beginnen zu laufen und man kann beobachten, ob sich die Dinge verändern oder nicht.
Wann ist es Zeit, sich wirklich zu trennen?
Wenn einer der Partner nicht mehr möchte, wäre jetzt die einfachste Antwort, und so komisch das klingt, auch diese Paare kommen in die Therapie. Ich würde sagen, dass grundsätzlich, wenn die Bereitschaft da ist, keine Trennung des Paares erfolgen muss.
Sehr wohl kann es aber sein, dass man sich von einem unhaltbaren Zustand trennen muss, solange dieser besteht. Was „unhaltbar“ ist, muss dann wieder jeder für sich entscheiden. Was die Erfahrung gezeigt hat ist, dass die Beziehungen schwer aufrecht zu erhalten sind, wo die Beziehung auf einem Muster aufgebaut ist, wo der eine den anderen komplett machen soll. Wo von vornherein die Idee des fehlenden Puzzlestücks regiert hat. Hier steht dann, wenn das Paar bereit ist, Beziehungs- und Einzelarbeit an, die als Resultat nicht unbedingt das Fortbestehen der Beziehung bedeuten muss. Aber selbst das kann gut ausgehen.
Kennen Sie den deutschen Improvisationsfilm “Wellness für Paare”, der kürzlich bei der ARD ausgestrahlt wurde? Es geht um sieben Paare mit unterschiedlichsten Konflikten, die ein Therapiewochenende in einem Hotel verbringen….
Da haben wir geschmunzelt. Generell sind unsere Intensiv-Tage auf einer ähnlichen Idee gewachsen. Therapie statt Candle-Light Dinner, bei dem sowieso in einer krieselnden Beziehung nur die Fetzen fliegen. Wir hoffen allerdings, dass wir ein bisschen weniger klischeehafte Therapeuten sind…
Vielen Dank für das Interview!