Die Armutsgefährdungsquote von Ein-Eltern-Familien liegt aktuell bei etwa 33 Prozent, verglichen mit der gesamten Bevölkerung ist dieser Wert sehr hoch. Im Durchschnitt liegt sie in Deutschland bei 16,7 Prozent. Sprich, ein Drittel der Ein-Eltern-Familie ist armutsgefährdet. Wie kann das sein?
Vor weniger als 60 Jahren war es unvorstellbar, alleinerziehend zu werden. Für viele Frauen war es kaum möglich, eine Wohnung zu finden, Arbeit aufzunehmen oder ohne Unterstützung durch Familie und Freunde die Erziehung der Kinder zu stemmen. Das ist heute anders.
Heute gibt es Kinderbetreuungsplätze, deutlich mehr staatliche Unterstützung und vor allem eine höhere Akzeptanz in der Gesellschaft. Dennoch hat sich die Armutsgefährdung nicht reduziert. Und neben finanziellen Sorgen leiden viele Alleinerziehende unter dem Gefühl, sämtlichen Aufgaben nicht gerecht zu werden. Die Kinder bekommen nicht ausreichend Aufmerksamkeit, der Job kann nicht zur vollen Zufriedenheit ausgeführt werden und es bleibt kaum Zeit für Freunde und Freizeit.
Der häufigste Grund, alleinerziehend zu werden, ist noch immer Trennung oder Scheidung. In vielen Fällen teilen sich die Erziehungsberechtigten die Erziehung, trotzdem lebt aktuell jedes fünfte Kind in einer Ein-Eltern-Familie.
Familienpolitische Maßnahmen: das steht Alleinerziehenden zu
Natürlich haben Ein-Eltern-Familien Anspruch auf Elterngeld, Unterhaltsvorschuss, steuerlichen Entlastungsbetrag und weitere Maßnahmen. Doch greifen diese Unterstützungsmaßnahmen häufig nicht, wie sich das manch einer wünschen würde.
Nehmen wir beispielsweise das Elterngeld. Das Elterngeld wird zwölf beziehungsweise 14 Monate lang ausgezahlt, das heißt, Eltern haben Anspruch auf Elterngeld, solange ihr Kind im Säuglingsalter ist. Allerdings werden Eltern viel häufiger erst nach dem Kleinkindalter ihrer Kinder alleinerziehend.
Eine der größten Herausforderungen für Alleinerziehende ist es, trotz Betreuung der Kinder berufstätig zu sein. Mit einer Teilzeitstelle verdienen sie kaum genug, mit einer Vollzeitstelle bleibt nicht genug Zeit für die Kinder. Wenn sie zu der Zeit, in der sie alleinerziehend werden, arbeitslos sind, ist es besonders schwierig, eine neue Stelle zu finden.
Um berufstätig zu sein, sind (nicht nur) Alleinerziehende auf Kinderbetreuungsplätze angewiesen. Inzwischen haben Eltern sogar einen rechtlichen Anspruch auf einen Betreuungsplatz für jedes Kind ab einem Jahr. Trotzdem haben viele Kinder unfreiwillig keinen Betreuungsplatz. Bevorzugt bei der Vergabe der Plätze werden außerdem berufstätige Eltern, Alleinerziehende haben es also auch bei der Suche nach Kita-Plätzen schwerer.
Das Betreuungsangebot für Kinder reicht nicht aus
Unter anderem liegt das daran, dass es zu wenig Kinderbetreuungsplätze gibt. Fast 300.000 Plätze fehlen laut dem Institut der Deutschen Wirtschaft. Außerdem fehlen Gelder und Personal. Der Job ist einfach nicht attraktiv genug – schlecht bezahlt, kaum gewürdigt und extrem belastend.
Ein weiteres Problem stellen die Öffnungszeiten von Kindertagesstätten dar. Die meisten Kitas öffnen morgens und schließen am frühen Abend. Häufig werden die Öffnungszeiten so angepasst, dass Eltern es schaffen, pünktlich um acht Uhr bei der Arbeit zu sein. Was aber ist mit den Eltern, die keinen 9-to-5-Job haben? Die etwa in Schichtarbeit arbeiten? Und dazu zählen nicht nur Angestellte, die nachts arbeiten. Auch Mütter und Väter, die ihre Arbeit um 06:30 Uhr beginnen oder 20:00 Uhr beenden, haben Schwierigkeiten, Arbeit und Familie unter einen Hut zu bringen. Und flexible Arbeitszeiten gibt es immer mehr.
24-Stunden-Kitas als Entlastung für Alleinerziehende in Schichtarbeit
Um genau diese Menschen zu unterstützen, gibt es (bisher wenige) 24-Stunden-Kitas, welche sogar vom Bund unterstützt werden. Problem: sie werden kaum genutzt.
Der Grund dafür ist wahrscheinlich die fehlende Akzeptanz in der Gesellschaft. Kinder würden ein Trauma davon tragen, heißt es beispielsweise. Das Betreuungsmodell ist umstritten. Wie wirkt sich die Betreuung über Nacht auf das Kind aus? Wer sein Kind trotzdem zu ungewohnten Zeiten betreuen lässt, setzt sich öffentlichen Vorwürfen aus.
Im Übrigen meint die 24-Stunden-Kita natürlich keine 24 Stunden Betreuung am Stück. Der Name bezieht sich lediglich auf die Öffnungszeiten. Womöglich schafft auch der Name eine falsche Vorstellung.
Was können wir also tun? Mutter oder Vater holen ihr Kind erst kurz vor knapp um 18:00 Uhr aus der Kita ab? Kein Grund zu urteilen. Zeit mit dem Kind kann man morgens, mittags, abends verbringen. Das Stigma, das an vielen berufstätigen Eltern haftet, sollte sich gerade in Zeiten, in denen sich die Arbeitswelt so drastisch verändert, ebenfalls ändern beziehungsweise auflösen.
Die Arbeitswelt ist für Alleinerziehende nicht familienfreundlich
Nun könnte man damit argumentieren, dass wir uns den familienunfreundlichen Arbeitsbedingungen nicht anpassen sollte, sondern dagegen ankämpfen. Belastende Arbeitszeiten einfach boykottieren? Ein Luxus, den sich gerade armutsgefährdete Alleinerziehende kaum leisten können oder wollen.
Politisches Engagement: Alleinerziehende unterstützen
Wir können uns also mit unserem Urteil zurückhalten und uns außerdem für die Unterstützung von Alleinerziehenden einsetzen. Wir können politisch aktiv werden, indem wir wählen, an Petitionen oder Demonstrationen teilnehmen, aber auch offen über Stigmata sprechen und das Thema öffentlicher machen. Auf der Seite des VAMV (Verband allein erziehender Mütter und Väter Bundesverband e.V.) werden aktuelle Kampagnen und andere politische Aktionen übersichtlich dargestellt.
Das Projekt ergänzende Kinderbetreuung, ins Leben gerufen durch den VAMV NRW, soll Alleinerziehende in Schichtarbeit unterstützen, die sich zusätzliche Betreuung für ihre Kinder (beispielsweise bezahlte Babysitter) nicht leisten können. 40 Ehrenamtliche aus Essen helfen rund um die Uhr, um die berufstätigen Alleinerziehenden zu entlasten (Entlohnung: elf Euro durch die Stadtkasse). Bislang gibt es dieses Projekt nur in Essen, doch ein Ausbau dieses Projektes wäre wünschenswert.
Aktiv werden: wie kann das Armutsrisiko von Alleinerziehenden gesenkt werden?
Was muss sich ändern? Alleinerziehende brauchen mehr Betreuungsplätze für ihre Kinder, finanzielle Unterstützung in prekären Zeiten und insgesamt mehr Akzeptanz – vor allem in der Arbeitswelt. Das bedeutet mehr staatlich unterstützte Betreuungsangebote oder im Zweifel auch Ehrenamtliche, ein Umdenken vieler Menschen, um Vorurteile gegenüber berufstätigen Eltern zu reduzieren und mehr Rücksicht der Arbeitgeber.
Weitere Informationen: Der Familienreport des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend