Am Anfang fühlt es sich noch merkwürdig an. Du hast schon seit Stunden kein Wort gesprochen. Hast nur stumm aus dem Fenster geschaut und deinen Blick über die vorbeiziehende Landschaft schweifen lassen. Hast deine Gedanken mit niemandem geteilt und bist vollkommen in deiner eigenen Welt versunken. Selbst wenn du das Schweigen brechen wolltest, würde dich niemand verstehen. Denn wenn du dich zu deinem Sitznachbarn umdrehst, blickst du nicht in das vertraute Gesicht deines Kumpels oder deiner besten Freundin, sondern in die tiefschwarzen Augen eines Fremden. Augen, die auch nach intensivem Zurückstarren ihren Blick nicht von dir abwenden.
Alleine reisen: Die Angst vor der Einsamkeit überwinden
Alleine zu verreisen ist für manche die ideale Form des Reisens; und für andere wiederum die reinste Horrorvorstellung.
Die Angst davor, sich unterwegs alleine zu fühlen, keinen Anschluss zu finden und seine Erlebnisse mit niemandem teilen zu können hält viele von einer Solo-Reise ab. Doch selbst wenn das Alleine Reisen sicher nicht für jeden das richtige und in manchen Fällen auch nur ein fauler Kompromiss ist, bringt es auch einige Vorteile mit sich. Einige dieser Vorteile habe ich im Folgenden für dich aufgelistet.
1. Du verbringst Quality Time mit dir selbst
Ein bekanntes Zitat des Dalai Lamas lautet: Verbringe jeden Tag einige Zeit mit dir selbst. In unserer von beruflichen und sozialen Verpflichtungen vollgepackten Welt ist es allerdings manchmal gar nicht so leicht, sich diese Zeit auch einzuräumen. Viel zu sehr sind wir damit beschäftigt, hier noch einen Termin reinzuquetschen und es allen recht zu machen – allen, außer uns selbst.
Denn unsere eigenen Wünsche und Bedürfnisse bleiben im Alltag oft auf der Strecke. Auf einer Solo Reise kannst du dir ganz bewusst Zeit für dich selbst nehmen und den Alltag nach deinen Vorstellungen gestalten. So findest du im Urlaub allein endlich einmal Zeit, in Ruhe ein Buch zu lesen, deine Yogapraxis zu vertiefen oder auf einem ausgedehnten Spaziergang Kraft zu tanken – ganz ohne äußere Störfaktoren.
2. Du wirst dir selbst dein bester Freund
Nirgendwo sonst lernst du so viel über deine wahre Natur, wirst du mit so vielen unerwarteten Situationen konfrontiert und stößt du so oft an deine Grenzen wie auf Reisen. Vor allem auf einer Solo-Reise wirst du ziemlich schnell herausfinden, wo diese Grenzen liegen. Denn wenn du inmitten von Fremden plötzlich die einzige Person bist, auf die du dich verlassen kannst, lernst du deine Gesellschaft plötzlich ganz anders wertzuschätzen.
Es wird natürlich auch immer wieder Momente geben, in denen du dich langweilst oder dir selber einfach total auf die Nerven gehst. Aber im Großen und Ganzen wirst du merken, dass es verdammt toll ist, jemanden dabei zu haben, der dich so gut kennt und dich so gut versteht: Dich selbst.
3. Du lernst die Stille zu schätzen
Wir sind tagtäglich von so vielen Reizen umgeben, dass wir eines gar nicht mehr kennen: Stille. Tritt sie dann doch einmal ein, etwa im Aufzug oder beim ersten Date, empfinden wir sie als unangenehm und wollen sie so schnell wie möglich überwinden.
Dabei kann Stille etwas unheimlich Erhabenes sein. Sie gibt uns die Möglichkeit, unsere Aufmerksamkeit nach innen zu lenken und der inneren Stimme zu lauschen. Das Schöne am Alleine Reisen ist, dass du die Stille und das Schweigen voll ausleben kannst.
Wenn du Lust hast, einfach mal den ganzen Tag mit niemandem ein Wort zu wechseln, hast du auf einer Solo-Reise eher die Gelegenheit dazu als im Urlaub mit deiner besten Freundin. Und wenn dir dann wieder nach Gesellschaft zumute ist, kannst du eben doch mal das Bier mit der Gruppe Backpacker trinken, die immer so freundlich herüberlächelt.
4. Du reist ohne Kompromisse
Auf Reisen findest du endlich einmal Zeit für die wichtigen Dinge des Lebens und kannst deinen Alltag nach Lust und Laune gestalten. Wenn du allein unterwegs bist, musst du auf niemanden Rücksicht nehmen. Das bedeutet, dass du deine Vorstellungen von der perfekten Reise voll und ganz ausleben kannst: Du hast Lust auf Action? Dann breche im Morgengrauen auf und besteige den nächsten Vulkan oder schnapp dir ein paar Wellen im noch leeren Line up, ohne dass dein Reisepartner wegen des frühen Aufstehens den ganzen Tag schlechte Laune verbreitet.
Oder hast du doch mehr Lust auf einen faulen Lesetag am Strand? Dann schmeiße deine ursprünglichen Pläne über den Haufen, ohne ein schlechtes Gewissen gegenüber deinem Kumpel haben zu müssen, der sich schon seit Tagen auf die Mountainbike-Tour gefreut hat. Beim Alleine Reisen bist du der Boss. Das ist doch auch mal ganz nett, oder?
5. Du kannst dich selbst neu erfinden
Ein weiterer Vorteil des Alleine Reisens ist, dass dich niemand kennt. Das mag zunächst einmal befremdlich klingen. Denn wenn dich niemand kennt, kennst du vermutlich auch niemanden. Doch es kann auch etwas unglaublich befreiendes haben, an einem Ort zu sein, an dem du gänzlich unbekannt bist: Auf diese Weise bist du nämlich nicht verpflichtet, die Person zu sein, die du Zuhause bist: Workaholic, Mutter, Couchpotatoe, Partymaus …
Zuhause wirst du von den Menschen, die dich gut kennen, als ganz bestimmter Mensch wahrgenommen. Das ist auch gut so, denn unser soziales Umfeld hilft uns dabei zu definieren, wer wir sind. Doch wie wäre es, sich einfach einmal komplett neu zu erfinden und jemand ganz anderes zu sein?
Auf einer Solo-Reise hast du die Chance, aus alten Mustern auszubrechen und mal etwas ganz Neues auszuprobieren. Niemand wird dich verurteilen oder schief anschauen, denn deine Freunde und Kollegen sind weit weg. Und wenn du mal Lust hast, drei Tage lang im selben angegammelten T-Shirt und mit fettigen Haaren herumzulaufen: Auch egal. Kennt dich ja keiner.
6. Du öffnest dich dem Neuen
Alleine zu verreisen und sich immer wieder an neue Menschen, Umgebungen und Situationen anzupassen zu müssen kann mitunter anstrengend sein. Wenn du dich nicht gerade für sechs Wochen in ein- und derselben Unterkunft eingemietet hast, wirst du dich während der Reise öfters mal an neue Orte und Gesichter gewöhnen müssen.
Das kann beängstigend sein, denn wir Menschen sind Gewohnheitstiere und mögen es, wenn die Dinge überschaubar und berechenbar sind. Wenn du dich jedoch auf die neuen Erfahrungen einlässt, können sie dich auch weiterbringen. Denn indem du deine Koffer immer wieder ein- und an neuen Orten auspackst, dir völlig fremde Menschen zu Freunden machst und dich mutig neuen Herausforderungen stellst, veränderst du ganz nebenbei deine innere Haltung.
Du lernst, dich schneller anzupassen und wirst offener und toleranter gegenüber Neuem – keine schlechte Eigenschaft in unserer schnelllebigen Welt. Und ganz nebenbei wirst du zum Weltenbürger, der sich überall auf der Welt Zuhause fühlt.
7. Alleine reisen macht dich stärker
Alleine reisen erfordert Mut. Denn unterwegs bist du vollkommen auf dich alleine gestellt. Du wirst dich nicht an deinen Kumpel oder deine Mutter wenden können, sobald es brenzlig wird. Du wirst alle Entscheidungen selber treffen und Probleme ganz alleine lösen. Du wirst vielleicht sogar verzweifeln und dir wünschen, eine vertraute Person dabeizuhaben, die alle Probleme aus dem Weg räumt.
Aber wenn das nicht geht, weil du gerade mitten in der Pampa steckst, dein Smartphone den Geist aufgegeben hat, das nächste Internetcafé meilenweit entfernt ist und niemand deine Sprache spricht, dann wirst du es alleine schaffen. Notfalls eben mit Händen und Füßen. Und du wirst daran wachsen, dass du es alleine geschafft hast. Du wirst erkennen, dass du stark und unabhängig bist. Und diese Erkenntnis wirst du mit nach Hause und in deinen Alltag nehmen.
Ende gut, alles gut
Anstatt den Mund aufzumachen, lächelst du die Person an, die dich da so eingehend mustert. Und da entspannen sich auch die Gesichtszüge des Fremden. Die Mundwinkel verziehen sich zu einem Lächeln und entblößen schneeweiße Zähne. Du drehst dich zurück zum Fenster und atmest aus. Die atemberaubende Landschaft zieht am Fenster vorbei, und du weißt, alles ist gut.