Vielleicht kommt dir folgende Situation bekannt vor: Du begegnest einem Menschen, sei es dein Partner, deine Mutter, ein Freund oder ein Arbeitskollege, und es kommt zum Streit. Ihr werdet beide verletzend und aus der anfänglichen Diskussion entwickelt sich ein destruktives Wortgefecht. Es geht nur noch um Recht haben und Macht.
Obwohl dir das irgendwann klar wird, findest du nicht heraus aus dem Gerangel, du kriegst die Kurve einfach nicht. Viel zu tief habt ihr euch in euren Meinungen und Erwartungen festgebissen und keiner ist mehr in der Lage, zu reflektieren, was er sagt, tut oder denkt. Du hast das Gefühl, die Kontrolle über die Situation verloren zu haben.
Mir zum Beispiel passiert das häufig innerhalb der Familie, vor allem in stressigen Phasen. Ich fange an, mein Gegenüber zu manipulieren, stelle Forderungen, will unbedingt Recht haben oder versuche, den anderen in meine enge Vorstellungsschablone zu pressen.
Manchmal geschieht auch das Gegenteil und anstatt meine Meinung zu vertreten, degradiere ich mich selbst zur Marionette des anderen. Im Kontakt mit Autoritätspersonen oder Vorgesetzten etwa versuche ich, um jeden Preis zu gefallen oder es dem anderen Recht zu machen. Ich verlasse meinen Platz der inneren Stabilität und verliere mich in der Situation.
In beiden Fällen passiert das Gleiche: Ich verliere den Kontakt zu mir selbst. In beiden Fällen mache ich mich zum Opfer meiner eigenen Erwartungen und Vorstellungen oder denen eines anderen. Wie kommt das?
Der Zusammenhang von Körper und Geist: Emotionen
Gary Kraftsow, Vertreter der Viniyoga Tradition nach Krishnamacharya (therapeutisches Yoga) erklärt den Zusammenhang von Körper und Geist folgendermaßen:
Wir nehmen Informationen in Form von Reizen über unsere Sinne auf. Was wir hören, sehen, riechen, schmecken und fühlen wird von unserem Großhirn analysiert und über emotionale Zustände verarbeitet. Zum Beispiel ruft der Anblick des Meeres ein anderes Gefühl hervor als die Schreckensbilder der Tagesschau.
In zwischenmenschlichen Begegnung werden Reize unter anderem über Worte und Gesten gesendet. Auf diese reagieren wir ebenfalls mit Emotionen. Mit welcher, hängt von vielen Faktoren ab: von unseren Erfahrungen, Erinnerungen, Prägungen, unserem Selbst- und Weltbild und von unserer momentanen Verfassung. Die in uns produzierten Gefühle bestimmen, wie wir uns verhalten. Und nicht nur das. Unsere Emotionen beeinflussen sämtliche Vorgänge im Körper: Nervensystem, Hormonhaushalt, Organfunktionen.
Fazit: Das, was unsere Sinne absorbieren und wie wir die aufgenommenen Reize verarbeiten, beeinflusst unser Verhalten, unser Wohlbefinden und sogar unsere Gesundheit.
Wer sich schlecht fühlt ist schneller gereizt
Das ist aber nicht der einzige Verbindungsweg, auf dem Körper und Geist zusammenarbeiten. Umgekehrt beeinflusst unser körperlicher Zustand, wie wir uns fühlen, was wir denken und auf welche Weise wir auf Reize reagieren.
Bin ich hungrig, habe ich Schmerzen oder ist mein Hormonhaushalt unausgeglichen, empfinde ich womöglich alles, was mein Gegenüber sagt, als Affront gegen mich.
Plagen mich Ängste und Sorgen, versuche ich womöglich, dem anderen alles Recht zu machen, um mich sicherer zu fühlen. Erlebe ich mich hingegen als gesund und stark, nehme ich die Dinge nicht so schnell persönlich. Mein Geist ist klar und erkennt, dass der andere von seinen Empfindungen und Erfahrungen geleitet wird. Ich lasse mich davon nicht verrückt machen, sondern entscheide, ob ich darauf reagiere oder nicht.
Fazit: Der organische, hormonelle und nervliche Zustand unseres Körpers beeinflusst unser Denken und Fühlen und bestimmt, wie wir auf Informationen aus der Umwelt reagieren.
Durch Yoga innerlich ausgeglichen werden
Die Methoden des Yoga können uns helfen, ein Gleichgewicht in der Körper-Geist- Verbindung herzustellen. Asana, pranayama und Meditation dienen unter anderem dazu, unseren körperlichen Zustand zu verbessern, Emotionen zu regulieren und unsere Wahrnehmung zu klären.
Ein klarer Geist lässt sich nicht von Reizen und daraus resultierenden Gefühlen verwirren. Gleichwohl er sie bemerkt, entscheidet er frei, was zu tun und überhaupt eine Reaktion nötig ist.
Absorbierte Reize sind die Nahrung unseres Geistes. Sie können ihn stärken oder vergiften. Deshalb schulen wir im Yoga unsere Sinne, um bewusst zu entscheiden, was wir über Augen, Nase, Mund, Ohren und Gespür herein lassen und was nicht.
Eine einfache Übung zur Sinnesschulung
Richte deine Aufmerksamkeit auf deine Sehfähigkeit und beantworte dir folgende Frage:
Was sehe ich gerade?
Nimm sämtliche Formen, Farben, Kontraste, Helligkeit und Dunkelheit wahr. Bewerte nichts, sondern beobachte. Bemerke, wenn du wertest.
Richte dann deine Aufmerksamkeit auf deinen Geruchssinn und frage dich:
Was rieche ich gerade?
Bewerte auch hier nichts. Beobachte und bemerke, wenn du bewertest. Richte deine Aufmerksamkeit auf dein Gehör und gehe der Frage nach: Was höre ich gerade?
Nimm alle Geräusche um dich herum wahr. Die lauten und die leisen, die nahen und die fernen. Nimm auch Geräusche in deinem Inneren wahr. Bewerte nichts, sondern höre nur zu. Bemerke, wenn du bewertest.
Nimm am Ende dein Körperempfinden wahr und frage dich:
Was spüre ich gerade?
Nimm die Unterlage wahr, auf der du sitzt oder den Boden, auf dem du stehst. Nimm deine Bewegungen, deine Atmung, dein Gefühl im Bauch wahr. Spüre deine Füße, deine Hände, deinen Kopf, deinen Herzraum. Bewerte nichts, sondern spüre interessiert hin. Bemerke, wenn du bewertest.
Diese Übung kannst du jederzeit, auch während eines Gesprächs, Meetings oder Telefonates ausführen. Keiner merkt es, aber du wirst einen Unterschied wahrnehmen.
Durch Sinneswahrnehmungen in Kontakt zu sich selbst kommen
Du trittst heraus aus dem Gerangel der Egos und stellst Kontakt zu dir her, indem du dich selbst und deine Um- und Mitwelt wahrnimmst. Dadurch wirst du bemerken, ob du dein Gegenüber unbewusst manipulierst oder ob du dich hast manipulieren lassen.
Sobald du eine Schieflage bemerkst, kannst du sie auflösen und wieder auf Augenhöhe mit dem anderen gehen. Du könntest zum Beispiel offen sagen, was du dir gerade wünschst. Dein Gegenüber ist dann frei zu entscheiden, ob er deinen Erwartungen nachkommen möchte oder nicht.
Freilich ist es nicht immer so einfach. Manchmal muss man einfach auseinander gehen, damit jeder wieder zu sich finden kann. Aber auch diese Notwendigkeit erkennen wir nur, wenn wir bei uns sind. Wenn wir Kontakt haben zu unserem Körper, zu unseren Sinnen und zu unserem Herzen.
Wer entspannt ist, kann auch mit anderen entspannter umgehen
Aus eigener Erfahrung weiß ich außerdem:
Je entspannter ich bin, umso weniger schnell gerate ich in Konflikte. Weil mich nichts und niemand so leicht aus der Ruhe bringt, auch nicht meine eigenen Gedanken und Gefühle. Entspannt sein heißt für mich, dass sich mein Körper und mein Geist in einem gelösten Zustand befinden.
Und das ist der Fall, wenn sich kein Muskel unnötig anspannt und kein sorgenvoller Zukunftsgedanke meinen Geist quält. Wenn ich mich selbst auf angenehme Weise selbst spüre.
Agiere ich aus diesem Sein heraus, laufen zwischenmenschliche Begegnungen friedvoller und vor allem offener ab, auch die prekären.
Nun sind wir aber nunmal nicht immer tiefenentspannt, vor allem dann nicht, wenn das Leben seinen Tribut von uns fordert. Wollen wir trotzdem in einer Grundstimmung der Gelöstheit bleiben, müssen wir wissen, wie wir dahin kommen. Und zwar ad hoc, in jeder Situation.
In meinem „Übungsbüchlein Entspannung“ zeige ich ganz einfache Wege, wie man Körper und Geist daran erinnern kann, wie sich der natürliche Zustand „Entspannung“ anfühlt.
Eine entspannte Zeit wünscht euch Alexandra Maria