Angst makes you crazy! Der Spruch, den ich neulich in einem Restaurant am Nebentisch aufgeschnappt habe, ist so einfach wie wahr. Wer ständig Angst hat und Bedrohung fühlt, weil der globale Wärmekollaps, der nächste Terroranschlag, Krankheit und Alter drohen, der kann geradezu verrückt vor Sorgen werden. Das sind auch schon viele. Im Austausch und Gesprächen mit Neurologen, Psychotherapeuten und Meditations- und MBSR-Lehrern konnte ich einiges zum Thema Angst und den Möglichkeiten ihrer Vermeidung herausfinden.
Zeichen der Angst – Panikattacken als Alarmreaktion ohne äußeren Anlass
Es war im Urlaub als am Nachbartisch plötzlich ein Mann mittleren Alters, sportlich, inmitten seiner Familie beim Frühstück mit Händen vor dem Gesicht in sich zusammensank, um in Kleinkindpose kauernd und wimmernd zu verharren. Der Mann schwitzte stark, sein Hemd war nass und er war ruckzuck von seiner Familie und anderen hilfsbereiten Menschen umringt, die sich um ihn sorgten und einen Arzt riefen. Am übernächsten Morgen saß er wieder am Frühstückstisch, etwas betrübt, aber weitestgehend normal.
Es hatte sich im Hotel herumgesprochen, dass der Mann eine Panikattacke erlitten hatte, eine plötzliche und normalerweise nur einige Minuten anhaltende körperliche und psychische Alarmreaktion ohne konkreten äußeren Anlass.
Angst in Ruhesituationen – Angstattacken am Wochenende oder im Urlaub
“Das passiert häufig im Urlaub”, sagte mir meine nette Tischnachbarin und Urlaubsbekanntschaft, die als Neurologin arbeitet. “Wenn die Leute im Urlaub sind, kommen sie zur Ruhe, der Körper hat plötzlich zu viel Zeit und Ruhe, Gefühle und Stress bekommen jetzt endlich ihre Bühne und können sich so richtig austoben.” Sie erzählte mir auch, dass Panikattacken leider meist immer noch medikamentös behandelt werden, um die Leute ruhig zu stellen, damit kein Kreislauf der Angst entstünde. Denn wer einmal eine Panikattacke erleide, den treibe allein die Angst vor der nächsten geradezu in diese hinein.
Die Angst ist harmlos – viele fürchten bei starkem Herzklopfen um ihr Leben
Den wenigsten Menschen, die unter Angst oder gar Panikattacken leiden, ist bewusst, dass sie selbst Auslöser ihrer Attacken sind. Zunächst werden Ängste und Stress im Alltag und Beruf systematisch unterdrückt und verdrängt. Sie werden also nicht bewusst wahrgenommen und sogar geleugnet.
Erst veränderte äußere Umstände, wie zum Beispiel Ruhephasen an Wochenenden oder im Urlaub, bringen das Fass zum Überlaufen: Die Ängste drängen durch konkrete körperliche Reaktionen an die Oberfläche. Meistens gehen Betroffene erst dann zum Arzt, wenn sie vor Herzrasen meinen zu sterben. Ich sage daher als erstes immer: Lass die Angst einfach kommen – sie tut dir doch nichts!
Das hilft meist vielen schon zu der Erkenntnis, dass die Angst selber keine Gefahr für ihr Leib und Leben darstellt und bringt damit eine erste Entlastung. Diesen Tipp fand ich besonders einleuchtend.
Angst macht krank – Depressionen oder chronische Schmerzen durch Achtsamkeit heilen
Dabei kann eigentlich schon eine bewusstere Wahrnehmung der Angst, ihrer Signale und ihrer Ursachen, das Schlimmste verhindern. Denn unterdrückte und unbewusste Ängste sowie angstbasierter Stress führen zu den häufigsten körperlichen Einschränkungen, wie Depressionen oder chronischen Schmerzen, die die Betroffenen meist ein Leben lang begleiten.
Eine Psychotherapeutin und MBSR-Lehrerin (MBSR = mindful stress reduction system) erklärte mir, dass die klinische Forschung bereits nachgewiesen hätte, dass Achtsamkeitstherapie in Form von MBCT oder MBSR Symptome von Angst und Depression effektiv und dauerhaft reduzieren kann. Betroffene, die unter starker Angst litten, sollten sich aber am besten an eine ärztliche zertifizierte Fachkraft wenden, die Achtsamkeitstherapie im Rahmen einer Psychotherapie anwendet, wie zum Beispiel im MBCT (MBCT = mindfulnes based cognitive therapy) Verfahren.
Angst entsteht im Kopf – Achtsamkeit und Meditationsübungen gegen Angststörungen
Aber auch ein begleitender MBSR-Kurs und die Integration von Achtsamkeits- und Meditationsübungen im täglichen Leben führen schon zu erstaunlichen Verbesserungen der Angstsymptomatik. Das erklärt mir die zertifizierte MBSR-Lehrerin so: Die Menschen lernen durch achtsame Wahrnehmung ihre körperlichen und mentalen Symptome schneller zu erkennen, einzuordnen und zu akzeptieren. Damit nehmen sie Druck aus der Angstspirale und die Angst nimmt ab oder hört irgendwann sogar ganz auf.
Am Ende einer erfolgreichen Angsttherapie steht natürlich eine bewusste Veränderung der Lebensumstände und die achtsame Wahrnehmung von schädlichen Lebensmustern, wie zum Beispiel zu viel angstauslösendem Medienkonsum oder zu hohen Erwartungen an sich selbst.
Hilfe bei Angst – Tipps aus der Achtsamkeitstherapie zum Umgang mit Ängsten
Es sind also oft diese ganz normalen alltägliche Dinge, wie zu viel angstauslösender Medienkonsum, zu hohe Erwartungen an uns selbst, oder das Gefühl, einer Situation hilflos ausgeliefert zu sein, die zum Angstproblem werden können. Um Angst überhaupt zu vermeiden, bekam ich noch einige hilfreiche Achtsamkeitstipps, die jeder immer und überall beherzigen kann. Ich habe sie ein wenig geordnet und hier einige wichtige zusammengestellt:
- Mach dir klar, dass nicht die Situation die Angst bestimmt, sondern du selbst, wenn du diese als gefährlich erlebst. Es sind deine Gefühle und Gedanken, die in dieser Situation Angst auslösen!
- Angst selbst ist nicht gefährlich! Lass die Angst einfach kommen, sie tut dir nichts!
- Finde heraus, mit welchen gedanklichen Worten oder Mustern du die Angst verursachst. Zum Beispiel: “Wenn ich dieses mache, dann passiert mir jenes…” oder “Die Welt bricht um mich herum zusammen, ich kann nichts ändern”. Versuche diese Gedankensätze bewusst wahrzunehmen und nicht zu unterdrücken. Stattdessen könnte selbstberuhigend zu sich gesprochen werden: “Ich empfinde nun Angst, es ist ein Gefühl, das vorübergeht”, oder “Die Angst wird geringer, wenn ich sie zulasse”.
- Konfrontiere dich mit deinen Ängsten und schreibe sie dir sogar auf. Wenn du in die konkrete Situation kommst, übe den Umgang mit der Angst. Sage dir: ich weiss, dass ich in dieser Situation Angst empfinde. Es werden körperliche Symptome auftauchen. Aber die Gefühle von Angst und die Symptome sind Resultate meiner Gedanken und werden wieder vorübergehen. Ich kann in der Situation bleiben, bis ich ruhiger werde.
- Achtung: Diese Konfrontation mit der Angst gelingt nur, wenn wir nicht aus der Konfrontation flüchten. Das würde die Angst eher noch verstärken. Daher ist eine Konfrontation mit starken Ängsten auch besser in einer richtigen Psychotherapie aufgehoben als im Selbstversuch!
- Übe dich in Achtsamkeit und Meditation. Nimm die Angst bewusst wahr und lerne, die Angst auszuhalten. Der Körper wird sich dabei zunehmend entspannen. Du lernst, trotz Angst entspannt zu bleiben und verlernst typische Angstreaktionsmuster. Ein entspannter Körper und eine regelmäßige Atmung suggerieren dir Entspannung. Für Angst ist da kein Platz mehr!
MBSR und MBCT – Zwei wissenschaftlich fundierte Methoden zur Achtsamkeitstherapie
Achtsamkeit ist nicht umsonst ein Trend, der zunehmend unser Privat- und Arbeitsleben bestimmt. Die Welt erscheint komplexer, die Digitalisierung zwingt uns zur Schnelligkeit, wir wissen immer mehr in immer kürzerer Zeit und können es mental nicht mehr richtig verarbeiten. Wir sind überfordert.
Wer bisher noch keinen Zugang zu Yoga oder Meditation gefunden hat und diesen ursprünglich fernöstlichen Weisheitsmethoden noch immer kritisch entgegensteht, der findet womöglich in der MBSR- oder MBCT-Methode eine gute Möglichkeit, auf wissenschaftlich fundierter Basis seine Ängste und Stress behandeln zu können. Die Methoden sind klinisch erprobt und viele Ärzte und Krankenhäuser arbeiten bereits erfolgreich damit. Die Krankenkassen erkennen diese meist als abrechnungsfähig an.
In unserem Blog “OMlinemagazin” stellt evidero Autorin Annette Coumont Themen und Trends rund um Achtsamkeit, Yoga und ein bewusstes Leben vor. Wir zeigen euch, wie Achtsamkeit im Alltag, in der Familie, im Job, bei der Ernährung, in der Therapie oder beim Konsum konkret aussehen kann.
Tipps zum Nachlesen und Stöbern:
- Hofmann SG, Sawyer AT, Witt AA & Oh D (2010). The effect of mindfulness-based therapy on anxiety and depression: A meta-analytic review. Journal of Consulting and Clinical Psychology, 78:169-183.
- Europäisches Zentrum für Achtsamkeit: Paul Grossmann
- Deutschlandfunk: Ängste wegmeditieren