Achtsamkeit ist die Kunst, einfach nur da zu sein. Wann in Ihrem Alltag gibt es diesen Zustand: Wach zu sein, Energie zu haben, und doch nichts zu tun, nichts zu planen, nichts zu entscheiden, nicht einmal zielorientiert über etwas nachzudenken, kein Problem zu lösen? Diplom Psychologin Sara Schneider schildert uns, wie wir diesen Zustand erreichen können.
In der Regel nutzen wir unsere wache Zeit, um absichtsvoll und effizient zu sein, um etwas zu erreichen. Dagegen bedeutet achtsam sein: Wach zu sein, bewusst und dabei ohne Absicht, offen, experimentierfreudig. Unabhängig davon, was wir gerade wahrnehmen: Egal, ob es angenehm oder unangenehm ist, was wir denken, fühlen, sehen, hören riechen, schmecken oder spüren. Diese Haltung ist ungewohnt und erfordert Übung, aber sie kann uns zu mehr Zufriedenheit, Gelassenheit oder Lebensfreude führen. Wir können uns dann in vielen Momenten entscheiden, diese Haltung einzunehmen, immer dann, wenn wir eine momentane Situation nicht verändern wollen oder können.
Distanzierung von Gefühlen durch Achtsamkeit
Eine achtsame Haltung kann helfen, sich von schwierigen Emotionen oder Gedanken nicht überfluten zu lassen, nicht von ihnen weggetragen zu werden, sondern in der Gegenwart zu bleiben, offen und bereit, Veränderung geschehen zu lassen. Das bedeutet, sich bewusst zu werden, dass man Gedanken und Gefühle hat, dass man sich mit seinem Gedanken oder Gefühl aber nicht identifiziert. Insofern kann man von einer gewissen Distanzierung durch Achtsamkeit sprechen.
Der tiefere Sinn der Achtsamkeitspraxis liegt jedoch nicht in einer Distanzierung von dem gegenwärtigen Geschehen, sondern eher darin, mit dieser Haltung freie Kapazitäten zu schaffen, um stärker und bewusster in Kontakt zu gehen – mit sich, aber auch mit der Umwelt und den Mitmenschen. Gerade dieser relationale Aspekt von Achtsamkeit, das Bewusstmachen und Spüren unserer vielfältigen Verbundenheiten, kommt bei der aktuellen Diskussion um Achtsamkeit häufig zu kurz.
Achtsamkeit gegen Grübeln
Achtsamkeitsübung: Gedanken beobachten / zählen / Lücken wahrnehmen
Beobachten Sie Ihre Gedanken, als ob sie Wolken am Himmel wären: Lassen Sie sie kommen und gehen. Sie werden zum Beobachter Ihrer eigenen Gedanken. Eventuell kann es Ihnen helfen, die Gedanken zu zählen (so dass Sie sich weniger mit ihren Inhalten beschäftigen). Sie können auch bewusst auf Lücken zwischen Ihren Gedanken achten.
Achtsamkeitsübung: Gefühle und die momentane Situation beschreiben
Sie erleben ein Gefühl, zum Beispiel Wut oder Traurigkeit. Beschreiben Sie sich dieses Gefühl möglichst genau mit Worten: Wo im Körper ist es wahrnehmbar? Ist es eher hart oder weich, hell oder dunkel, spitz oder rund, groß oder klein? Wodurch wurde es ausgelöst?
Nun beschreiben Sie sich die Situation, in der Sie dieses Gefühl im Moment erleben: Wo sind Sie? Wer ist mit Ihnen? Was genau umgibt Sie? Indem Sie sich selbst eine möglichst präzise Situationsbeschreibung liefern, können Sie das Gefühl umfassender einordnen und Sie bemerken, dass das Gefühl ein kleiner Teil einer Situation ist, die noch viel mehr enthält. Sie weiten sozusagen Ihre Achtsamkeit aus auf mehrere Aspekte der Gegenwart.
Bewusste Wahrnehmung der Umgebung durch Achtsamkeit
1. In Kontakt mit der Umwelt kommen
Nehmen Sie bewusst wahr, wie Sie über die Augen, die Ohren, die Luft, die Sie ein- und ausatmen, über die Haut (Temperatur, Luftbewegungen, Feuchtigkeit) und über die Schwerkraft mit Ihrer Umgebung verbunden sind. Sie sind Teil des Raumes, in dem Sie sich befinden, oder Teil des Ortes, an dem Sie sich im Freien aufhalten. Durch viele Ihrer Gewohnheiten, Interessen und durch Ihre Sprache sind Sie verbunden mit der sozialen Gruppe, in der Sie leben (Familie, Kollegen, Freunde, die Bewohner Ihres Hauses, Bekannte aus dem Sportverein, die Menschen in Ihrer Stadt, etc.).
2. In Kontakt mit anderen Menschen kommen
Sie hören einem Menschen zu: Wie geht es ihm vermutlich gerade? Wie geht es mir gerade? Wie ist die Atmosphäre zwischen uns? Verstehe ich wirklich, was er sagen will? Bin ich schon bei meiner Antwort? Lasse ich ihm die Zeit, die er braucht? Lasse ich mir die Zeit, die ich brauche, um ihn zu verstehen? Wenn nicht, fragen Sie nach, teilen Sie mit, was Sie bisher verstanden haben, ermuntern Sie ihn, sich auszudrücken.