Grapefruit, Joghurt, Lakritze & Co. können schuld daran sein, wenn Medikamente nicht so wirken, wie sie sollten. Manche dieser Wechselwirkungen lassen sich vermeiden, wenn man die Beipackzettel aufmerksam liest.
Christiane Brunner* leidet unter einem Infekt: Ihre Nasennebenhöhlen sind vereitert, das Mittelohr entzündet, die Augen tränen und eine hartnäckige Bronchitis sorgt für schlaflose Nächte. Da die Symptome andauern, lässt sie sich ein Antibiotikum verschreiben.
Und weil sie kürzlich gehört hat, dass Antibiotika die Darmflora schwächen, isst sie über den Tag verteilt mehrere Joghurts, einen auch immer direkt nach der Tablette. Das Mittel schlägt allerdings diesmal, anders als in den letzten Wintern, nicht an. Ratlos sucht sie noch einmal ihren Hausarzt auf.
„Wenn ein Medikament nicht wie gewohnt wirkt, kann das auch an der Ernährung liegen“, erklärt Uwe Fuhr, Professor für Pharmakologie an der Uniklinik Köln. Im Fall von Christiane Brunner war gerade der gesunde Joghurt schuld.
Der Grund: Das Calcium aus Milchprodukten trifft im Darm auf das Antibiotikum. Beide bilden einen Komplex, der nicht mehr durch die Darmwand hindurchpasst und nicht ins Blut aufgenommen wird. Das Medikament wird auf diese Weise ausgebremst und kann seine Aufgabe nicht mehr erfüllen. Auch verschiedene Obst- und Gemüsesorten, Lakritze, Alkohol oder Koffein reagieren mit Medikamenten.
Alkohol hat Wechselwirkung mit vielen Medikamenten
An erster Stelle der wechselwirkenden Nahrungsmittel steht Alkohol, denn der verstärkt die Wirkung vieler Medikamente, die in der Leber abgebaut werden. Alkohol hemmt Enzyme, die die meisten Medikamente abbauen – und verlängert damit deren Wirkungsdauer. Das kann bis zur Vergiftung führen, da auch die Nebenwirkungen des Mittels den Körper länger belasten.
Das HIV-Medikament Abacavir beispielsweise zirkuliert rund 40 Prozent länger im Körper, wenn gleichzeitig einer über den Durst getrunken wird. Außerdem wirkt Alkohol ähnlich wie manche Medikamente. Schon ein Gläschen Wein erweitert die Blutgefäße und senkt damit den Blutdruck. Nimmt man nun gleichzeitig Medikamente gegen Bluthochdruck ein, kann die zusätzliche Blutdrucksenkung durch den Alkohol geradewegs in den Kreislaufkollaps führen.
Alkohol dämpft auch das zentrale Nervensystem und greift damit an denselben Punkten ein wie Schlaf- und Beruhigungsmittel. Auch ihre Wirkung kann sich unberechenbar verstärken.
Man weiß heute, dass das auf ganz unterschiedliche Weise geschieht: Bestimmte Inhaltsstoffe aus Lebensmitteln setzen an denselben Punkten an wie Medikamente und verstärken so deren Wirkung. Andere verhindern, dass Arzneiwirkstoffe zügig abgebaut werden. Die bleiben dann länger als erwünscht im Körper, was stärkere Haupt- und Nebenwirkungen zur Folge hat. Trifft ein Medikament in der Nahrung dagegen auf einen Gegenspieler, wird seine Wirkung abgeschwächt.
Wechselwirkungen erschweren Therapien
Im Patienten-Alltag hat das unterschiedliche Folgen. “In der Regel machen die Wechselwirkungen eine Therapie schwerer vorhersehbar und steuerbar. Und im Einzelfall sind sie sogar entscheidend für schwere Nebenwirkungen oder für Therapieversagen“, berichtet Uwe Fuhr. Solche Wechselwirkungen sind oft unangenehm, manchmal aber auch gefährlich: Herzrasen, Schlafstörungen, Kreislaufprobleme oder Blutgerinnsel können die Folge sein.
Zwar sind Pharmafirmen verpflichtet, alle bekannten Wechselwirkungen auch mit Nahrungsmitteln aufzulisten und kommen dem auch nach. Oft lesen Patienten die Informationen aber nicht gründlich genug. „Auch eine Aufklärung durch die verschreibenden Ärzte findet nicht in jedem Fall statt. Die Kenntnisse und das Bewusstsein für Wechselwirkungen zwischen Arzneistoffen und Nahrungsbestandteilen sind nicht immer präsent“, gibt Wolfgang Kämmerer, Direktor der Apotheke der Horst-Schmidt-Kliniken in Wiesbaden, zu bedenken.
Wo gravierende Probleme möglich sind, wissen die Patienten in der Regel Bescheid. Allen Übrigen empfehlen Experten einen genauen Blick auf die Beipackzettel – und da vor allem auf den richtigen Zeitpunkt der Medikamenten-Einnahme. Häufig werden nämlich Angaben wie „vor dem Essen“ oder „nach den Mahlzeiten“ missverstanden.
Mancher nimmt ein Mittel dann direkt vor oder nach dem Essen. Gemeint ist aber die Einnahme auf leeren Magen, also gut zwei Stunden nach der letzten Mahlzeit und etwa eine Stunde vor der nächsten Hauptmahlzeit. Nur wenn die Einnahme ausdrücklich während des Essens angezeigt ist, sollte ein Medikament direkt vor, während oder nach dem Essen genommen werden.
Grapefruit: Obst mit Nebenwirkungen
Wie viele Medikamente heute mit welchen Lebensmitteln wechselwirken, kann niemand mit Gewissheit sagen. „Solche Wechselwirkungen können im Prinzip jeden Wirkstoff und jeden Nahrungsbestandteil betreffen. Eine umfassende Untersuchung dazu ist wegen der Vielzahl der möglichen Kombinationen nicht möglich“, räumt der Pharmakologe Uwe Fuhr ein.
Während manche Wechselwirkungen wie die mit Alkohol schon länger bekannt sind, nimmt die Forschung andere erst in jüngster Zeit ins Visier. Eher zufällig entdeckte 1989 eine Forschergruppe um den Kanadier David Bailey von der University of Western Ontario Wechselwirkungen mit Grapefruits.
Bei einer Studie, die eigentlich der Wirkung von Alkohol auf der Spur war, sollten Versuchsteilnehmer den Alkohol-Geschmack mit Grapefruitsaft überdecken. Dabei zeigte sich, dass das Medikament, ein Blutdrucksenker, nicht wie berechnet wirkte; seine Konzentration im Blut war plötzlich um das Vierfache erhöht. Etliche Studien in den darauf folgenden Jahren haben gezeigt, dass bestimmte Stoffe in Grapefruits ein Darm-Enzym hemmen, das beim Abbau von Medikamenten eine wichtige Rolle spielt.
Neben Blutdrucksenkern wirken auch Immunsuppressiva für Allergiker oder Organtransplantierte und Epilepsie-Mittel durch Grapefruits stärker. Gut 30 Medikamente haben „Partnerschaftsprobleme“ mit der Pampelmuse.
Essen könnte die Medikamenten-Dosis reduzieren helfen
Theoretisch könnte man solche Wechselwirkungen zwischen Lebensmitteln und Medikamenten auch nutzen, sagt Wolfgang Kämmerer: „Man könnte etwa mit Hilfe von Grapefruitsaft eine Dosisreduktion bei teureren Arzneistoffen erreichen.“
Das ist jedoch in der Praxis bislang therapeutisch nicht nutzbar, weil noch zu wenig vorhergesagt werden kann, wie und in welcher Konzentration einzelne Bestandteile der Grapefruit auf den Medikamentenstoffwechsel wirken. „Schwer kalkulierbar wird die Wirkung außerdem dadurch, dass die einzelnen Substanzen in Grapefruitsaft starken Schwankungen unterliegen“, ergänzt der Pharmazeut.
In den USA, wo viele Patienten teure Medikamente selbst finanzieren müssen, verfolgten Forscher diese Idee weiter. Es wurden sogar eigens Firmen gegründet, um niedrigere Dosen etwa des Medikaments Cyclosporin nach einer Nierentransplantation zu erreichen. „Allerdings ist das Ausmaß des Zusammenspiels von Nahrung und Medikamenten variabel, weshalb eine Therapie nach diesem Prinzip schwerer steuerbar ist. Aus diesem Grund konnte sich das Prinzip bisher nicht durchsetzen“, berichtet Uwe Fuhr von der Kölner Uniklinik.
Der Gedanke, eines Tages durch ein Gläschen Saft möglicherweise etliche Pillen einzusparen, ist verlockend. Hier muss allerdings noch viel mehr geforscht werden, bis man sich die Natur zunutze machen kann.
* Name geändert