Fisch, das lernen wir von Kindesbeinen an, ist gesund. Von überfischten Meeren haben wir zwar gehört, aber so richtig glauben können wir den Unkenrufern nicht: Im Fischladen gibt es immer noch ein reichhaltiges Angebot – und auch bei Nordsee.
Gerade unterwegs und keine Lust auf Pommes und Pizza? Dann muss „Die Alternative“ her, wie sich die Restaurantkette Nordsee gerade wieder großflächig auf den Plakatwänden der Republik präsentiert. Und Fisch, das wissen wir von Kindesbeinen an, ist außerdem noch gesund. Dass die Meere irgendwie überfischt sind, haben wir zwar gehört – aber so richtig glauben können wir den Unkenrufern nicht: Im Fischladen gibt es immer noch ein üppiges Angebot – und auch bei Nordsee.
Weit über 300 Filialen gibt es in Deutschland, über 70 im Ausland, darunter in Dubai, der Türkei und Russland. Seit über 100 Jahren verdient das Unternehmen am Fisch, im vergangenen Jahr machte es 354 Millionen Euro Umsatz. Aber geht die Nordsee auch verantwortungsvoll mit ihrer wichtigsten Einnahmequelle um?
Woher bekommt Nordsee seinen Fisch?
Der überwiegende Teil des Fischs, der auf deutschen Tellern landet, stammt aus Wildfang – auch bei der Nordsee keineswegs nur vom nordöstlichen Rand des Atlantiks. Der Fisch wird noch an Bord auf Eis gelegt und per Kühlwagen in die Filialen geliefert.
Nordsee verweist bei der Verantwortung für eine umweltfreundliche und effiziente Lieferkette auf die Stärken seiner Zulieferer: „[…] Wir [wenden] bei der Auswahl unserer wichtigsten Dienstleister solch wichtige Parameter wie Umweltfreundlichkeit, Nachhaltigkeit und Energie-Effizienz an“, teilt der Leiter Kommunikation bei Nordsee, Michael Scheibe, mit. „Unser Lieferant und Produzent, die Deutsche See GmbH, wurde mit dem Nachhaltigkeitspreis 2010 ausgezeichnet.“
Bis Januar 2012 war die Deutsche See auch für Tiefkühlfisch und andere logistische Leistungen bei Nordsee zuständig, dann musste sie einige Sortimente an HAVI abgeben: Die Vertragspartner waren sich für die Fortsetzung der Geschäftsbeziehung nicht in allen Punkten einig geworden. Insider vermuteten dahinter gestiegene Renditeerwartungen der Investoren.
Und der Transport? Der lange Weg des Fischs
Bei der Belieferung der Auslandsfilialen scheint es viele unnötige Transporte zu geben: „Die Fisch-Produkte in den Filialen von Nordsee International stammen aus unserem Standard-Sortiment.“ erklärt Scheibe. „Ob norwegischer Lachs, Alaska Seelachs, Scholle etc., die Ware ist in Deutschland eingekauft worden und wird als Tiefkühl-Ware versendet, damit die gleichbleibende Qualität garantiert wird. Lediglich das Gemüse, Salat und Beilagen werden vor Ort eingekauft. Saucen und Dressings sind auch immer Nordsee Produkte, sprich aus Deutschland. Vereinzelt werden mal lokale Gerichte oder Saucen zugelassen und als Aktionen gespielt.“
Das Pangasius-Filet aus Asien fährt dann zum Beispiel erst einmal an Dubai vorbei nach Deutschland, um dann wieder zurückgeschickt zu werden – dabei gilt der Persische Golf durchaus noch als fischreich. Dagegen ist der Zug der Lachse ein Kurztrip.
Wann ist Fisch nachhaltig?
Schon heute gilt ein Drittel der weltweiten Fischbestände als überfischt oder bereits zusammengebrochen. Die weiterhin wachsende Nachfrage führt jedoch nicht nur in der EU zu höheren Importquoten, zum Teil unter Verwendung falscher Bezeichnungen wie die Umweltgruppe OCEAN2012 in einem Bericht erklärte.
Gegen den Druck auf die Bestände helfen nur drastische Fangbegrenzungen, die eine Erholung erlauben. Die Meinungen hierüber gehen aber weit auseinander: Einige Wissenschaftler fordern gar einen völligen Fangstopp für die bedrohten Arten. Die Organisation Marine Stewardship Council (MSC) vergibt ein Siegel für nachhaltig gefangenen Fisch, dessen Quoten sich am Bestandsschutz orientieren sollen – sie wird jedoch in einer aktuellen Studie von GEOMAR und der Uni Trier kritisiert: „Nur etwa die Hälfte der MSC-zertifizierten Produkte stammte aus nachweislich gesunden Beständen mit angemessen niedrigem Fischereidruck. […]“, urteilt Mitautor Rainer Froese in einer Pressemitteilung.
Der MSC kontert, die in der Studie angelegten Maßstäbe seien international nicht wissenschaftlicher Konsens, der MSC-Standard basiere „auf […] Definitionen für ‘überfischt’ und ‘Überfischung’ wie sie von der Welternährungsorganisation (FAO) niedergeschrieben sind“.
Die EU-Fischereiminister wiederum beteuerten zuletzt Mitte Juni ein weiteres Mal, den Fisch besser schützen zu wollen, diesmal bis zum Jahr 2020. Dabei hatten sie sich bereits vor zehn Jahren auf dem Umweltgipfel von Johannesburg zu einem „höchstmöglichen Dauerertrag“ – also gerade noch nachhaltig bis zur Schmerzgrenze – bis 2015 verpflichtet. Also besser MSC als gar kein Siegel, sagt auch GEOMAR-Wissenschaftler Froese: „Die Wahrscheinlichkeit, dass Fische aus nachhaltigem Fang stammen, ist mit MSC oder dem Friend of the Sea (FOS)-Siegel drei- bis viermal höher als bei Meeresfrüchten ungeprüfter Anbieter.“
Kein Siegel für nachhaltigen Fang
Und warum sieht der Kunde kein MSC-Siegel bei der Nordsee? „Unsere Grundlage ist ICES [Vorgaben des Internationalen Rats für Meeresforschung, Anm. d. Red.] wobei aber auch die der GFP [Gemeinsame Fischereipolitik der EU] mit beachtet werden. Die Ware von unserem Hauptlieferanten ist zertifiziert, insofern sehen wir nicht die Notwendigkeit eines weiteren Siegels. Es ist uns leider nicht gestattet, Zertifizierungen anderer Unternehmen für unsere Fische in der Kommunikation zu nutzen, da der MSC nicht bereit ist, bei bereits zertifizierten Produkten auch den Verkauf über nicht zusätzlich zertifizierte Händler/Großhändler/Gastronomie zu erlauben“, schreibt der Leiter Kommunikation bei Nordsee, Michael Scheibe.
Gerlinde Geltinger vom MSC klärt jedoch auf: „Es ist richtig, dass sich Gastronomiebetriebe nach MSC-Rückverfolgbarkeitsstandard zertifizieren lassen müssen, aber dann ist die Verwendung des Siegels kein Problem wie zum Beispiel die Ketten McDonald’s oder Maredo zeigen.“ Und sie fügt hinzu, „Das zertifizierte Unternehmen muss dann auch nicht ausschließlich MSC-zertifizierte Produkte verkaufen, es muss allerdings im Prüfverfahren nachweisen können, dass es während der Verarbeitungskette niemals zu einer Vermischung von MSC-zertifiziertem mit nicht-zertifizierten Fisch kommt.“
Fazit: Wo schwimmt die Nordsee?
So richtig glaubwürdig wirkt die Nordsee in ihrem Nachhaltigkeitsbestreben nicht. Als Highlights nennt Kommunikationsmann Scheibe „die Summe von kleinen Maßnahmen, z.B. Installation von energiesparsamen Beleuchtungskonzepten bei Storeumbauten […].“ Das ist bei der gefährdeten Spezies Fisch zu wenig.
Dass vielleicht nicht alle ambitionierten Ziele aus dem Greenpeace-Fischführer von einem Großunternehmen übernommen werden, kann noch nachvollzogen werden – auch wenn es nicht besonders einleuchtet, warum sich eine Restaurantkette nach und nach ihre eigene Geschäftsgrundlage wegfängt. Das MSC-Siegel wäre aber das Minimum an Information und Sicherheit, das dem Verbraucher entgegen gebracht werden sollte.
Bislang kann der Nordseekunde sich nur wünschen, dass gerade seine Fischfrikadelle zufällig aus MSC-zertifiziertem Fang stammt, entscheiden kann er an der Theke nichts. Im Restaurantbereich ist in vielen Fällen nicht einmal die Fischherkunft als Anhaltspunkt zu finden: „[…] Bei unseren Restaurant- und Snackartikeln ist dies gesetzlich so nicht vorgeschrieben. Nordsee hat hier jedoch eine Vorreiterrolle übernommen und kennzeichnet bereits seit einiger Zeit einige Produkte schon freiwillig. Wir planen, dieses System in den nächsten Jahren weiter auszubauen.“ entschuldigt Scheibe diesen Umstand. Kann das überzeugen?