Seit 21 Jahren wird am 05. Mai der Internationale Hebammentag begangen. Dieses Jahr sorgen sich die Geburtshelferinnen um den Nachwuchs in der eigenen Branche. Annette Bonse hat mit Nitya Runte gesprochen, der Vorsitzenden der Initiative „Hebammen für Deutschland e.V.“.
Anlässlich des Internationalen Hebammentags lassen Sie Plakate mit dem Slogan „Ohne Hebammen hängen wir in der Luft“ anbringen. Warum besteht denn Ihrer Meinung nach die Gefahr, dass wir bald zu wenig Hebammen haben könnten?
Da kommen verschiedene Faktoren zusammen: Grundsätzlich war der Hebammenberuf schon immer im Niedriglohnsektor angesiedelt. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass es sich bei unserem Beruf um DEN Frauenberuf schlechthin handelt und die Bezahlung von Frauen ja auch im Gesundheitssektor noch immer weit unter der Bezahlung von Männern liegt. Studien aus dem Jahr 2007 haben errechnet, dass der Durchschnitts-Stundenlohn einer Hebamme schon damals bei lediglich 7,50 Euro netto lag. Hinzu kommen verschiedene politische Änderungen aus den letzten Jahren, die unsere Situation noch weiter eklatant verschlechtert haben.
Um was für Veränderungen handelt es sich dabei?
Bis zum Jahr 2007 war das Gesundheitsministerium dafür verantwortlich mit uns Hebammen die Gebühren zu verhandeln. Schon damals war die Situation schwierig, weil es keinen Verantwortlichen speziell für die Belange von Hebammen gab. Im Jahr 2007 wurden die Verhandlungen mit den Krankenkassen dann in die Selbstverantwortung der Hebammen gegeben. Zuvor hatte die damalige Regierung eine zweistufige Erhöhung unserer Vergütungssätze zugesagt. Von diesen beiden Stufen wurde bis heute nur die erste Stufe von etwa 6,5 Prozent verwirklicht. Die zweite Stufe von 12,5 Prozent ist jedoch nie realisiert worden. Angesichts dessen sind die aktuell angebotenen zwei Prozent Lohnerhöhung ein schlechter Witz – angemessen wären 30 Prozent.
Seit 2010 machen Hebammen durch Proteste und Streiks auf ihre schwierige finanzielle Situation aufmerksam. Einer der Hauptkritikpunkte des Protests sind dabei die hohen Haftpflichtprämien, die freiberufliche Hebammen zahlen müssen. Was hat es damit auf sich?
Diese Haftpflichtprämie betrifft das „Risiko Geburt“. Sie muss von allen freiberuflichen Hebammen gezahlt werden, die als Geburtshelferinnen tätig sind und kommt bei Geburtsschäden zum Einsatz. Diese Prämie wurde in den letzten Jahren massiv angehoben – alleine im Jahr 2010 um über 55 Prozent – und liegt inzwischen bei 3.689 Euro. Diese Kosten können viele meiner Kolleginnen einfach nicht mehr stemmen.
Der Grund für die Anhebung ist übrigens nicht, dass es mehr Schäden bei Geburten gibt, sondern einfach der, dass die medizinischen Möglichkeiten immer besser und somit auch die Behandlungen nach Geburtsschäden immer teurer werden. Aber es kann ja nicht sein, dass wir Hebammen zusammen mit den freiberuflichen Gynäkologen als einziger Berufsstand für diesen medizinischen Fortschritt teuer bezahlen müssen und dadurch sozusagen wegrationalisiert werden. Mir persönlich ist es außerdem während meiner ganzen Berufslaufbahn in 30 Jahren nicht passiert, dass meine Haftpflichtversicherung einspringen musste.
Seit fast zwei Jahren, so heißt es auf der Homepage Ihres Vereins, mussten aufgrund dieser Erhöhungen bereits 15-20 Prozent der Hebammen die Geburtshilfe einstellen. Wo spüren Sie persönlich das im Berufsalltag?
Ich merke es insofern, als dass ich einfach noch mehr arbeiten muss, um halbwegs über die Runden zu kommen. Ich betreue die Frauen schließlich aus großer Überzeugung eins zu eins. Aber um einmal konkrete Zahlen zu nennen: Nach einer in diesen Tagen herausgekommenen Studie des IGES-Instituts verdienen die allermeisten von uns freiberuflich arbeitenden Hebammen um die 24.000 Euro im Jahr.
Nach Abzug der Betriebsausgaben (z.B. Versicherungen, Benzin und Praxismiete), Steuern und Sozialversicherungsbeiträge bleibt davon gerade mal ein Nettolohn von etwa 7,50 Euro übrig. Hinzu kommt dann noch die Tatsache, dass wir für die werdenden Mütter ja in ständiger Rufbereitschaft sind. Es gibt vielleicht drei Wochen im Jahr, an denen ich nicht arbeite. Ansonsten bin ich immer in Rufbereitschaft – auch an Weihnachten oder Silvester, da es ohnehin kaum noch Kolleginnen gibt, die ich mal um Vertretung bitten kann, weil alle die Geburtshilfe aus finanziellen Gründen aufgeben mussten.
Sind denn vor allem die freiberuflichen Hebammen betroffen oder gilt das für den gesamten Berufsstand?
Von der Haftpflichterhöhung sind tatsächlich am stärksten die freiberuflich arbeitenden Hebammen betroffen. Die Vergütung allerdings ist sowohl in den Kliniken als auch außerhalb katastrophal. Außerdem wandeln immer mehr Krankenhäuser ihre Geburtshilfeabteilungen aus Betriebskosten-Gründen in Beleg-Abteilungen um. Sie stellen also nur noch die Räumlichkeiten zur Verfügung und die dort arbeitenden Beleg-Gynäkologen und -hebammen müssen dann selber ihre Haftpflicht zahlen und Abrechnungen mit der Krankenkasse machen.
Wie wirkt sich diese Situation denn auf die werdenden Mütter aus?
Gerade im ländlichen Raum stellen die Schließung von Geburtshäusern, Belegabteilungen und die Abnahme der Anzahl von Hebammen die Frauen vor immer größere Probleme: Durch die wachsenden räumlichen Distanzen bis zur nächsten Geburtshelferin können die werdenden Mütter häufig nicht mehr frei wählen, wie und wo sie entbinden lassen. So sehen sich immer mehr Schwangere gezwungen, weite Anfahrtswege zum nächsten Kreißsaal zurücklegen zu müssen, obwohl sie eigentlich das Geburtshaus oder eine Hausgeburt bevorzugen würden.
Wo liegen denn die Vorteile einer rein hebammengeleiteten Entbindung im Geburtshaus und was spricht eher für eine Hausgeburt?
Die Geburt eines Kindes gehört zu den wichtigsten und prägendsten Erlebnissen im Leben einer Frau. Da ist es besonders wichtig, dass sie sich gut aufgehoben fühlt und eine vertraute Person um sich hat, in deren Gegenwart sie sich völlig fallenlassen kann. In Kliniken wird außerdem viel zu häufig nach finanziellen Gesichtspunkten entschieden.
So werden in vielen Fällen Kaiserschnitte vorgenommen, obwohl dies oft gar nicht nötig wäre: Das hat zum einen rechtliche Gründe (man wird kaum dafür verklagt, dass man einen Kaiserschnitt vornimmt sondern eher, wenn man keinen macht) und zudem ist eine Spontangeburt für Kliniken nicht lukrativ. Inzwischen liegt die Kaiserschnittrate in Deutschland bei knapp 33 Prozent, obwohl die WHO schätzt, dass der Eingriff nur in 10-15 Prozent der Fälle indiziert wäre. Wir von Hebammen für Deutschland setzen uns deswegen dafür ein, dass die Kaiserschnittrate gesenkt und das Recht auf freie Geburtswahl gestärkt wird.
Wie können Außenstehende ihren Verband und Ihre Forderungen unterstützen?
Hebammen werden von Seiten der Bevölkerung sehr geschätzt und erfahren große Unterstützung. Deswegen war die anlässlich des internationalen Hebammentags 2010 gestartete Online-Petition des deutschen Hebammenverbandes auch so erfolgreich; sie wurde inzwischen von über 190.000 Personen unterzeichnet. Im September wird unser Verein „Hebammen für Deutschland e.V.“ zur Kanzlerin geladen und wir werden mit ihr über unser Anliegen sprechen. Auch das haben wir unseren vielen Fürsprechern beim Bürgerdialog und der Zusammenarbeit mit den Hebammen-Verbänden zu verdanken. Trotz der großen Unterstützung hat sich jedoch an unserer schwierigen Situation bislang wenig verändert.
Im Gegenteil; in diesem Jahr kommt abermals eine Erhöhung der Haftpflichtprämie auf uns zu. Gesundheitsminister Daniel Bahr hat zwar heute gegenüber der Süddeutschen Zeitung betont, dass er die Krankenkassen dazu auffordert, unsere Situation bei den Verhandlungen zu berücksichtigen. Aber solche schwammigen Aussagen reichen nicht aus! Wir fordern 30 Prozent Lohnsteigerung und konkrete Ansagen von Seiten der Politik, damit diese Erhöhung auch tatsächlich umgesetzt wird. Deswegen kämpfen wir weiter. Auf unserer Homepage http://www.hebammenfuerdeutschland.de/ können Sie einen Newsletter abonnieren und sich über aktuelle Entwicklungen auf dem Laufenden halten. Dort können Sie auch erfahren, welche Aktionen geplant sind und wie Sie uns durch Spenden oder aktive Mithilfe unterstützen können.
Vielen Dank für das Interview.
Die Fragen stellte: Annette Bonse
Sehenswertes Video “Mother of Many” von Emma Lazenby: