Solarstrom für 8 Cent? Nicht ob, sondern wie – Deutschland ist Spitze beim Energiewende Know-how. Sogar die Vollversorgung mit Erneuerbaren ist machbar. Aber nicht nur die bisherige Technik, auch der jetzige Energiemarkt ist überholt.
Für einen vollständigen Verzicht auf Kohle, Gas, Öl und Atom wird ein intelligenter Mix aus Solaranlagen, Windrädern und Bioenergiekraftwerken gebraucht, angereichert mit Wasserkraft, Meeres- und geothermischen Energiequellen.
Neben neuen Energienetzen braucht es auch neue Speichermöglichkeiten. Experten sind sich sicher: „Wir wissen noch nicht genau, wie es geht, aber wir wissen schon heute, dass es geht.“ Die meisten notwendigen Techniken sind bereits verfügbar oder werden gerade entwickelt. Deutschlands Industrie und Forschung sind dabei weltweit führend.
Solarstrom kostet bald nur noch 8 Cent pro Kilowattstunde
Doch Theorie und Praxis der Energiewende prallen gerade bei der Stromversorgung knallhart aufeinander. Schon ist absehbar: Bald stößt das Wachstum der regenerativen Stromerzeugung an die Grenzen der völlig überholten Strom-Infrastruktur und eines monopolisierten Strommarktes.
Allzu lange haben „die vier Großen“ gehofft, die Erneuerbaren ließen sich durch Ignorieren und politische Einflussnahme ausbremsen. Der Zug ist abgefahren, die technische und ökonomische Entwicklung hat die Dinosaurier offensichtlich überholt. Windstrom ist schon heute mancherorts günstiger als Strom aus neuen Kohlekraftwerken und die Photovoltaik soll laut Expertenmeinung selbst im vermeintlich sonnenarmen Deutschland langfristig sogar den billigsten Strom liefern.
Weltweit, so die Analyse des in Berlin ansässigen Reiner-Lemoine-Instituts, wird die Photovoltaik einschließlich Stromspeicherung innerhalb einer Dekade auf allen Märkten konkurrenzfähig sein. Schon für 2016 kündigt der Chemieriese und Solarsilizium-Hersteller Wacker Solarstrompreise von 8 Cent pro Kilowattstunde an.
Dabei liefert die Sonne den Strom nur am Tag und vor allem mittags, also zu Zeiten, in denen die Betreiber von Kohle- und Gaskraftwerken bislang die höchsten Strompreise erzielten und so ihre Renditen maximierten, weil der Bedarf der Verbraucher zu diesen Zeiten am höchsten ist.
Schon jetzt kappt die Photovoltaik an immer mehr Tagen im Jahr die Mittagsspitze und senkt die Preise an der Strombörse. Schon 2011 begründete der damalige RWE-Vorstandsvorsitzende Jürgen Grossmann so absehbare Gewinneinbrüche. Solarstrom und Strombedarf passen zusammen – wer anderes behauptet, verteidigt nur die bisherigen Geschäftsmodelle der Stromwirtschaft.
Erneuerbare Energie wird günstiger als konventionelle
Langfristig, so die Wissenschaftler des Forschungsverbundes Erneuerbare Energien FVEE, wird die Vollversorgung mit erneuerbaren Energien weniger kosten als die weitere Verwendung fossiler und nuklearer Energiequellen. Die vergleichsweise überschaubaren Mehrkosten in der Übergangsphase von etwa zwanzig Jahren werden anschließend mehrfach wieder eingespart, haben die Forscher errechnet.
Notwendig ist dazu allerdings nicht weniger als eine umfassende Transformation des gesamten Energieversorgungssystems. Der Fokus in Politik und Medien liegt oft vor allem beim Stromnetz, das in Zukunft tatsächlich eine noch zentralere Rolle spielen wird. Denn die in Deutschland aussichtsreichsten erneuerbaren Energiequellen Wind und Sonne liefern vor allem elektrischen Strom. Künftig darf sich die Energiewende jedoch nicht mehr nur darauf beschränken, möglichst viel Elektrizität zu produzieren.
„Dazu gehört vor allem der Umbau und die Erweiterung des deutschen Stromnetzes, und zwar auf allen Spannungsebenen. Es ist veraltet und das gesamte deutsche Netz ist auf die Einspeisung konventionellen Stroms ausgelegt“, sagt der Präsident des Bundesverbandes Windenergie, Hermann Albers. Das Smart Grid der etablierten Netzbetreiber ist jedoch bislang ein Papiertiger: Real dahinter stehen häufig erst einmal nur „intelligente“ Zähler und deren kommunikative Verbindung zum Netzbetreiber.
Was braucht ein smartes Stromnetz?
Ein wirklich smartes Stromnetz braucht grundlegendere Innovationen. Die Struktur der Stromverteilung ist immer noch zentralistisch und hierarchisch gegliedert. Bisher wurde Elektrizität von großen Kraftwerksstandorten über mehrere Netzebenen bis zur einzelnen Steckdose verteilt. Die Erneuerbaren liefern Energie jedoch dezentral und vielfach sogar dort, wo sie auch benötigt wird.
Manchmal wird die Energie aber auch dezentral geerntet und muss dann zu Verbrauchszentren transportiert werden. Hierarchien und Zentralismus sind also von einer differenziert gegliederten Netzstruktur abzulösen. Mal fließt der Strom von oben nach unten, immer öfter aber von unten nach oben. Mal aus dem ländlichen Raum in die Stadt und mal in umgekehrter Richtung. So wird es sicher Netzausbau geben müssen, um Energie zwischen den Regionen auszutauschen.
Hier und da ist aber auch Rückbau angesagt, wenn Kraftwerksstandorte fossiler und nuklearer Anlagen entfallen.
Wasserstoff und Methan speichern grüne Energie
Erheblich minimieren lässt sich der Netzausbau aber vor allem dadurch, dass man die bestehende Infrastruktur leistungsfähiger macht. Intelligente Wechselrichter von Solar- und Windkraftanlagen lassen sich beispielsweise so steuern, dass die Stromnetze mehr Leistung aufnehmen können.
Der Verbrauch von Gewerbe und Industrie, beispielsweise in Kühlhäusern und Aluminiumschmelzen, lässt sich teilweise an das Stromangebot anpassen. Erzeugungsspitzen können im Notfall auch abgeregelt oder gespeichert werden, beispielsweise als Wasserstoff oder Methangas als Kraftstoff für Autos. In Berlin kann man seit kurzem aus Windstrom hergestellten Wasserstoff tanken.
Längst hat also die Erneuerbare-Energien-Branche damit begonnen, der etablierten Energiewirtschaft neben der reinen Strom-Erzeugung auch in der Versorgungswirtschaft das Feld streitig zu machen. Ein Beispiel dafür ist das regenerative Kombikraftwerk, das schon seit 2007 modellhaft mit vernetzten Wind-, Biogas – und Solaranlagen vorführt, wie eine bedarfsgerechte erneuerbare Vollversorgung praktisch funktioniert.
In der aktuellen Projektphase wird untersucht, „welchen Beitrag erneuerbare Energien zur Versorgungsqualität leisten können. Bereits heute verfügen Solar-, Biogas- und Windenergieanlagen über technische Eigenschaften, die zur Netzstabilität beitragen und bei Engpässen das Stromnetz entlasten können.“ Die Wirksamkeit dieses Systems einer regenerativen Vollversorgung testet das „Kombikraftwerk 2“ unter realen Wetterbedingungen.
Neue Netze braucht das Land
Anders als konventionelle Großkraftwerke speisen Windräder und Photovoltaikkraftwerke überall ins Netz ein, auch dort, wo bisher nur entnommen und verbraucht wurde. Weil diese Verbrauchsnetze nicht dafür geschaffen wurden, stoßen deren Kapazitäten immer häufiger an Grenzen. Die Windbranche begegnet dem neuerdings mit eigenen „Einspeisenetzen“, die sich schneller und kostengünstiger umsetzen lassen.
Statt Netzausbau lassen sich aber auch innovative Techniklösungen einsetzen. Dezentrale Photovoltaikkraftwerke können Verbrauchsnetze intelligent regeln und damit die Einspeisemöglichkeiten massiv erhöhen. Die Netzbetreiber haben nicht schlecht gestaunt, als der Solarkraftwerksbauer Belectric das vor wenigen Jahren zum ersten Mal demonstrierte. Außerdem lässt sich Strom damit überregional effizienter transportieren. Mit ihren ausgeklügelten Regelungssystemen zeigt Belectric ganz praktisch, was man unter Smart Grid tatsächlich verstehen könnte.
Konventionelle BackUp Kraftwerke werden unnötig
Bisher wurde immer genau so viel Strom im Netz produziert, dass der Bedarf jederzeit gedeckt werden konnte. Windräder dagegen produzieren wenn Wind weht und Solarzellen wenn die Sonne scheint.
Solange diese nur wenige Prozent der Versorgung übernehmen, lassen sich Kohle- und Gaskraftwerke nachregeln. Doch schon bald wird es immer häufiger mehr Strom im Netz geben, als gerade verbraucht oder über die bestehenden Leitungen von den Windparks zu den Verbrauchszentren transportiert werden kann. Außerdem schwankt die Stromlieferung aus Wind und Sonne so stark, dass sie ohne zusätzliche Technik Kohle, Erdgas und Atomenergie nicht vollständig ablösen können.
In der Übergangsphase braucht es dazu „Backup“-Kapazitäten, also Kraftwerke ,die einspringen, wenn zu wenig Wind weht und die Sonne gleichzeitig nicht ausreichend scheint. Immer häufiger können das in Zukunft dezentrale Kleinkraftwerke sein, wie die „Schwarm-Strom“ Kraftwerke des Ökostromversorgers Lichtblick und das virtuelle Kraftwerk von Vattenfall zeigen.
Vorteil der vernetzten kleinen Anlagen gegenüber den großen ist, dass die Wärme vor Ort genutzt oder gespeichert werden kann, anstatt nutzlos zu verpuffen.
Durch den Winter mit Gas aus Strom
Eine immer größere energiewirtschaftliche Dimension wird die Speicherung von Strom haben. Die bisherigen Kapazitäten in Pumpspeicherwerken sind ein Klacks gegenüber dem, was für eine ganzjährige Rundumversorgung notwendig sein wird.
Technisch gilt der Ausgleich von Schwankungen im Stunden- bis Tagesbereich als weitgehend gelöst. Neben den vorhandenen Pumpspeicherwerken, neuen elektrochemischen Batteriesystemen und der Regelung von Großlasten könnte es preisliche Anreize für Verbraucher geben, Strombedarf in Zeiten üppigen Angebots zu verlagern.
Komplexer wird es, Überschüsse und Mehrbedarf zwischen Wochen und Monaten auszugleichen. Dafür entwickeln die Forscher derzeit das Konzept der „Methanisierung“. Strom aus Wind und Sonne produziert dabei mittels Elektrolyse Wasserstoff, der entweder direkt ins Gasnetz eingespeist werden kann oder auf chemischem Weg ins erdgasgleiche Methan umgewandelt wird.
Der Vorteil: Das Gas lässt sich leichter über längere Zeit speichern und später wieder in Strom verwandeln oder als Kraftstoff in Fahrzeugen nutzen. Gasnetze und –Speicher existieren bereits und die Transportkapazität einer typischen Gasleitung ist zehnmal größer als die einer typischen Stromleitung.
Der Haken: Die Umwandlungsverluste sind enorm. Die Gesamtmenge zu speichernder Energie soll sich aber in so engen Grenzen halten, dass ein Gesamtsystem der rein erneuerbaren Vollversorgung trotzdem wirtschaftlich arbeitet.
Wasserstoffautos als Kleinkraftwerke
Der „GAU“ der regenerativen Vollversorgung sind zwei Wochen trüber Himmel bei gleichzeitiger Windflaute. Dafür Backup-Kraftwerke bereitzuhalten, die nur kurze Zeit im Jahr den vollen Strombedarf decken, wäre unbezahlbar.
Die technische Lösung für diesen Ernstfall könnte so aussehen: Millionen Brennstoffzellen-Elektrofahrzeuge hängen wenige Stunden pro Tag am Netz und wandeln Wasserstoff oder Methangas in Strom um. Autos, die eigentlich zum Fahren angeschafft wurden, werden im Fall des Falles als kleine Kraftwerke genutzt, die ihren Besitzern auch noch Geld bringen.
Viele weitere Beispiele und Ideen für die Lösung technischer Probleme ließen sich anführen. Immer deutlicher wird aber auch, dass technische Probleme nicht die wesentliche Hürde der energiewirtschaftlichen Transformation darstellen.
Die Einspeisung von Wind- und Solarstrom senkt die Verkaufspreise der konventionellen Kraftwerksbetreiber bereits empfindlich. Zeitweilig sogar negative Preise an der Leipziger Strombörse zeigen, dass der – übrigens schon immer künstliche und keineswegs freie – Energiemarkt nicht so recht zum neuen regenerativen Versorgungssystem passen wird.
Werden die konventionellen Energiekonzerne überleben?
Die Bremsmanöver der etablierten Konzerne in Politik und Gesellschaft sind der hilflose und immer weniger erfolgreiche Versuch, Schutzschirme über die längst überholten Geschäftsmodelle zu spannen. Gewinneinbrüche, Verluste und Entlassungen bei RWE und Eon zeigen, wie sehr sich die Dinosaurer mit ihrer Blockadepolitik selbst im Weg stehen. Ob sie die Transformation überleben, wird von Tag zu Tag ungewisser.
Längst haben Stadtwerke, regionale Versorger und neue Akteure begonnen, Geschäftsmodelle für die smarte neue Energiewelt zu entwickeln. Besonders die Verbraucher werden künftig eine viel aktivere Rolle in der Energiewirtschaft spielen müssen: Beispielsweise als Erzeuger von Solarstrom vom Dach, als Geldgeber für Investitionen in dezentrale Kraftwerke und als politisch interessierter Bürger bei der Gestaltung einer neuen, erneuerbaren Energiepolitik.