Eigentlich könnte Stephanie glücklich sein. Sie hat einen gut bezahlten Job in der IT-Branche, wohnt in einer schönen Wohnung, hat einen Freund und einen Freundeskreis. Eigentlich ist alles ziemlich in Ordnung – und doch nicht.
So wie Stephanie geht es vielen Frauen und Männern, die zu mir kommen. Sie fühlen sich irgendwo dazwischen. Das Alte trägt nicht mehr, das Neue ist noch nicht da. Eigentlich, so sagen sie sich, sollten sie doch glücklich sein, weil sie alles haben, was sie sich zum Leben immer gewünscht haben. Und doch gibt es da diese Leere, dieses Knarzen, dieses Gefühl, dass irgendetwas in ihrem Leben unrund läuft.
Wenn bisherige Pläne nicht mehr funktionieren
Es ist ein Gefühl, dass keiner von uns gerne hat. Denn es fühlt sich so an, als hätten wir unser Leben nicht mehr unter Kontrolle. Einstige Pläne funktionieren nicht mehr, was uns jahrelang (vielleicht Jahrzehnte) erfüllt hat, tut es nicht mehr.
Irgendetwas läuft hier schief, doch wir wissen nicht was und schieben es bestenfalls auf das Wetter, die volle Bahn heute Morgen oder den grummeligen Chef. Schlechtestenfalls darauf, dass wir selbst falsch sind, weil wir uns nicht mehr zugehörig und nicht mehr funktionierend fühlen.
Dabei hat dieses Phänomen einen Namen: Schwellenzeit. Zwischenzeit. Die Zeit, in der das Alte nicht mehr da ist (oder nicht mehr funktioniert) und das Neue sich noch nicht gezeigt hat. Jene Zeit, in der wir auf der Schwelle stehen. Wo wir wissen, dass die alten Lösungen nichts mehr nützen und wir zugleich keine Ahnung haben, in welche Richtung unser Weg weitergehen will.
Dazwischenstehen: welchen Weg wirst du wählen?
Diese Zwischenzeiten sind nicht besonders populär in unser Gesellschaft. Denn es scheint klar zu sein, in welche Richtung unser Weg zu gehen hat: immer vorwärts, Richtung Erfolg und nächstem Ziel. Meist fehlt uns das Bewusstsein dafür, dass es so etwas wie Schwellenzeiten überhaupt gibt. Und darüber, welcher Wert in ihnen steckt.
Für mich sind es Zeiten, in denen etwas aufbricht, sich innerlich wandeln und reifen darf, um dann mit neuer Kraft nach außen zu treten. Das ist auch die Krux an den Schwellenzeiten: Sie sind meist nicht äußerlich sichtbar. Niemand außer uns spürt, was in uns vorgeht.
Zeiten der Wandlung
Bei einer Schwangeren, da sehen wir, dass sie sich in solch einer Zeit der Wandlung befindet. Da ist ein Kind in ihr, dass heranreift, Form annimmt und schließlich geboren wird. Zugleich wird die Frau durch diese Wandlung, diesen Geburtsprozess, als Mutter geboren. Auch vom Frühling kennen wir diesen Wandlungsprozess, wenn sich in den Pflanzen – für uns oft unsichtbar – alles bereit macht für einen neuen Zyklus, für einen nächsten Lebensabschnitt.
In jenen Zwischenzeiten sind das Ahnen, das Lauschen und nach innen Gehen groß, wohingegen es im Außen meist wenig gibt, was wir aktiv tun können. Vielleicht fällt es uns gerade deshalb auch so schwer, die Schwellenzeiten als solche zu erkennen und anzunehmen. Weil wir gewohnt sind zu tun und jene Zwischenzeiten uns zwangsweise zum Innehalten bringen.
Die folgenden Punkte können dir einen Anhaltspunkt dafür geben: Es knarzt. Du spürst, dass etwas in deinem Leben unrund läuft. Irgendwie ist da so ein Gefühl des Knarzens, der Unzufriedenheit, davon, dass sich etwas wandeln will. Alte Lösungen funktionieren nicht mehr. Orte, an denen du dich viele Jahre wohlgefühlt hast, Menschen, mit denen du lange Zeit zusammen warst und Tätigkeiten, die dir einmal viel Freude gemacht haben, tun dies nicht mehr. Du fühlst dich dazwischen. Das Alte trägt nicht mehr und das Neue ist noch nicht sichtbar. Du bist irgendwo dazwischen, ohne recht benennen zu können, was eigentlich los ist. Du spürst eine tiefe Sehnsucht. Nach dem Neuen, danach, dass sich etwas kraftvoll wandelt in deinem Leben. Auch, wenn du noch nicht sagen kannst, wohin die Reise gehen soll.
Was will kommen?
Auf meinem eigenen Weg sind sie mir oft begegnet, jene Zwischenzeiten. Da war etwa die Zeit nach der Trennung von meinem Verlobten. Als Hochzeitspläne, bereits rausgesuchte Kleider und Hochzeitsorte plötzlich an Bedeutung verloren hatten. Ebenso wie unsere gemeinsame Wohnung, der damalige Wohnort und unsere Familienpläne.
Damals stand ich gefühlt vor dem Nichts und der großen Frage: Was will kommen? Das Alte, das so fest und solide wirkte, gab es nicht mehr, Neues war noch nicht in Sicht.
Seinerzeit fühlte ich mich oft unglaublich verloren, bodenlos. Was mir half waren klare Rituale, Zeiten, die ich mir mit mir selbst nahm, Wanderungen, die ich in der Natur unternahm und Bücher wie Menschen, von denen ich mich stärkend begleiten ließ – sowohl privat durch Freundinnen als professionell durch Beratungen und Coachings.
Es war eine unglaublich herausfordernde Zeit, die mir sehr gezeigt hat, was mich trägt, wenn alles, an was ich bislang geglaubt hatte, zusammenbricht. Wenn kein Stein mehr auf dem anderen steht und alle Pläne über das, was kommen soll, fehlen.
Innehalten und lauschen: was willst du wirklich?
Was sie mir jedoch auch gezeigt hat, ist, wie wertvoll es ist, in dieser Zeit auszuharren. Zu lauschen, zu warten, keine vorschnellen Entscheidungen zu treffen. Damals ging es für mich vor allem um die Wohnortfrage. Ich wusste, ich wollte nicht im Norden Deutschlands bleiben, wo wir anderthalb Jahre zuvor hingezogen waren. Hier hatte ich keinen Freundeskreis und es fiel mir unglaublich schwer mit meiner Selbständigkeit Fuß zu fassen. Doch wo sollte ich hin? Ich hatte keinen Anhaltspunkt, irgendwie schien alles und nichts möglich.
Ich suchte nach Mehrgenerationenhäusern und Wohngemeinschaften, da mich beides faszinierte. Doch wo ich auch anrief oder hinschrieb – entweder waren sie voll oder wurden gerade gebaut.
Damals schrieb ich auf, wie ich gerne wohnen würde: an einem See, mit Alpensicht, Menschen für einen nährenden Austausch in meiner Nähe, einer Möglichkeit, selbständig tätig zu sein, gutem ÖPNV-Anschluss (da ich ohne Auto unterwegs bin) und Einkaufsmöglichkeiten in der Nähe. Ich dachte dabei an den Chiemgau und den Chiemsee, wo ich mich zuvor auf einer Reise sehr wohlgefühlt hatte.
Anders als gedacht: der Umzug
Doch wieder: Nichts tat sich, nichts entstand. Bis ich einer Teilnehmerin meiner Onlineseminare nebenbei erzählte, dass ich gerade auf der Wohnungssuche war. Sie sagte: „Du, ich hätte da was am Bodensee. Ein Zimmer in einer Frauen-Hausgemeinschaft mit See- und Alpenblick.“ Das Zimmer wurde genau zu dem Zeitpunkt frei, zu dem ich im Norden meinen Teil der Wohnung bereits gekündigt hatte.
Aber ich konnte doch nicht einfach in den Süden ziehen! Über 1.000 Kilometer weg, an einen Ort, den ich erst einmal googeln musste, um überhaupt zu wissen, wo er lag. Doch dann fand ich den Zettel wieder, auf dem ich aufgeschrieben hatte, wie ich gerne wohnen würde. Und ich stellte fest, dass die Beschreibung eins zu eins auf das Angebot vom Bodensee zutraf. Nur dass es eben der Bodensee statt der Chiemsee war.
Vertrauen in den Fluss des Lebens
So fuhr ich zwei Wochen später in den Süden, schaute mir das Zimmer an und zog sechs Wochen später um. Noch heute staune ich, wie sich damals alles gefügt hat, ob privat, mit meiner Selbständigkeit oder dem neuen Wohnort.
In all dieser Zeit hat mich persönlich ein Herzens- und Kraftlied, das vom Vertrauen in den Fluss des Lebens singt, begleitet, dass ich wieder und wieder gesungen habe. Wann immer es mir schlecht ging, wann immer ich Zweifel hatte, sang ich es. Es wurde zu meinem kraftvollen Begleiter und half mich, zurück ins Vertrauen zu finden und auf der Schwelle stehen zu bleiben, solange nötig.
Nichtwissen zulassen: Angst und Unwissenheit gehören zur Suche
Im Rückblick sehe ich, wie wertvoll es war, mir einerseits die Zeit zu nehmen. Mir zu erlauben, in diesem Raum des Nichtwissens zu stehen und genau das zuzugeben. Zuzugeben, dass ich keine Ahnung hatte, wie und wo es weitergehen sollte. Zuzugeben, dass ich Angst hatte, das ich neugierig war und manchmal alleine nicht weiter wusste. Mir Schatzkisten mit Büchern, Texten und Postkarten zu packen, die mich bestärkten. Mit Düften, die mich aus Löchern und Gedankenspiralen holten und wieder im Moment ankommen ließen. Mir Unterstützung und Hilfe zu holen, wenn ich merkte, dass mir der Berg vor mir zu groß wurde und ich mir jemanden an meiner Seite wünschte.
Vor allem auch: mich mit Menschen (Freunden, Frauenkreisen, professionellen Beratern und Coaches) auszutauschen, die um den Wert jener Schwellenzeiten wussten. Die wussten, dass sie existieren, sie selbst kannten und mir immer wieder den Wert gezeigt haben, den ich in solchen Wandlungszeiten finden kann.
Auch, wenn es in den Zwischenzeiten oftmals nicht viel gibt, was wir aktiv tun können, so gibt es doch Dinge, die uns besonders unterstützen in dieser Zeit. Gute Musik. Musik mit Text und Melodie, die dich bestärken, ermutigen, inspirieren. Nach der du dich kraftvoll und verstanden fühlst. Welche Musik gibt es da in deiner Sammlung, die dir jetzt gerade gut tut? Zeit in der Natur. Zieht es dich in den Wald oder an den See? Gibt es einen persönlichen Kraftplatz in deiner Nähe? Wo kannst du in dieser Zeit neue Energie tanken? Zeit für dich. Zum Innehalten, Reflektieren, zur Ruhe kommen, Sortieren, nächste Schritte erahnen. Das Schreiben. Ob drei Seiten am Morgen oder drei am Abend. Das Schreiben kann dir helfen, Klarheit über dein Jetzt zu finden und nächste Schritte sich entwickeln zu lassen.
Wertvolle Ernte: Wie ging es für Stephanie weiter?
So ist es auch Stephanie gegangen. Sie hat sich Unterstützung gesucht und geschaut, was eigentlich gerade los ist in ihrem Leben. Hat gesehen, dass es da den tiefen Wunsch gibt, mit Menschen zu arbeiten und mehrere Monate im Jahr in den Bergen zu leben.
Sie hat ihren Job gekündigt, von ihrem Resturlaub eine dreiwöchige Auszeit genommen, ist auf dem Jakobsweg gepilgert und hat anschließend selbst eine Caochingausbildung gemacht. Vergangenen Sommer war sie außerdem zum ersten Mal für drei Wochen auf einer Alm – ein Ort, an dem sie sich zutiefst zu Hause gefühlt hat und ein Weg, dem sie weiter folgen mag.
Was weggefallen ist, ist ihre Angst vor der nächsten Schwellenzeit. Weil sie gesehen hat, was Wertvolles entstehen kann, gibt sie diesen Zwischenzeiten Raum. Weil sie erkannt hat, dass sie unweigerlich zum Leben dazugehören. Und die Zeiten sind, durch die der größte Wandel in uns und unserem Leben möglich wird.