Die Zahl der Übergewichtigen nimmt in Deutschland stetig zu: 59 Prozent der Männer und 37 Prozent der Frauen sind laut der Deutschen Gesellschaft für Ernährung übergewichtig, obwohl kaum eine Frauenzeitschrift das Thema Diäten auslässt und Bücher über einen gesünderen Lebensstil und langfristige Ernährungsumstellung zum Abnehmen anleiten. Für viele Menschen greifen diese Ansätze zu kurz. Die Ursachen und Auslöser für ein ungesundes Essverhalten liegen meistens woanders.
Essen Sie, wenn Sie gestresst sind, gelangweilt, frustriert oder traurig? Ist Essen für Sie eine Ersatzbefriedigung, eine Belohnung oder nur eine Gewohnheit? Essen Sie mal ganz viel oder nur ganz wenig?
Über diese Fragen machen sich die wenigsten Menschen ernsthaft Gedanken, wenn sie dem unkontrollierten Drang nach Essen nachgeben. Dabei liegt genau hier die Ursache: emotionales Essverhalten, gegen die jegliche Diät nur sehr schwer ankommt. Vielmehr bedarf es einem Erkennen und Verstehen des Auslösers für Stressessen, Essanfällen oder Frustessen. Manchmal liegt sogar eine Essstörung mit Kontrollverlust wie die “Binge Eating Disorder” vor.
Mindful Eating durch Achtsamkeit und dem Programm Eat Right Now
Das auf Achtsamkeit beruhende Trainingsprogramm Eat Right Now (ERN) hilft Betroffenen, ihre Essgewohnheiten klarer zu erkennen und zu verstehen, was sie ursächlich auslöst. Achtsames Essen, auch Mindful Eating genannt, steht im Zentrum der auch als Kurs angebotenen Therapie.
Zunächst geht es in dem zweistufigen Programm nicht primär darum, tatsächlich Gewicht zu verlieren, sondern Klarheit über das Essverhalten zu erlangen. Was sind die Auslöser für ungesundes Essen: Belohnung oder gar Frust?
Die zweite Stufe enthält Achtsamkeitsübungen, die eine Gewichtsreduktion nach sich ziehen kann, da die eigene, zu innerer Weisheit führende Erfahrung andere Fähigkeiten zu Tage bringt als die sogenannte äußere Weisheit. Eine App unterstützt Teilnehmer in dieser zweiten Stufe des Programm, das zurückgeht auf den Neurowissenschaftler und Psychiater Prof. Judson Brewer, Interims Direktor und wissenschaftlicher Leiter am Center of Mindfulness (gegründet von Jon Kabat Zinn).
Wie kann Achtsamkeit zu einem gesunden Essverhalten verhelfen?
Bevor man sich für die Teilnahme an einem Eat Right Now Kurs oder einer Therapie entscheidet, ist es lohnenswert, sich überhaupt erstmal mit dem Thema Achtsamkeit vertraut zu machen. Obwohl Achtsamkeit erfreulicherweise in der modernen Gesellschaft immer mehr Beachtung findet, ist sie in dem Bereich Essverhalten und Binge Eating Disorders noch relativ unbekannt. Das gilt übrigens ebenso für den Bereich der Raucherentwöhnung. Auch hier sind Achtsamkeitsmethoden sehr vielversprechend.
Also was ist überhaupt Achtsamkeit? Kurz erklärt, ist sie eine Qualität des menschlichen Bewusstseins, eine besondere Form von Aufmerksamkeit. Diese führt zu einem klaren Bewusstseinszustand, der es erlaubt, jede innere und äußere Erfahrung im gegenwärtigen Moment vorurteilsfrei zu registrieren und zuzulassen. Das Ziel von Achtsamkeit ist es, mehr gewahr zu sein, mehr mit dem Leben verbunden zu sein, mehr damit verbunden zu sein, was immer auch gerade in unserem Körper und Geist geschieht – mit dem, das ist, jetzt, im gegenwärtigen Augenblick.
Welche Gedanken und Gefühle gehen einer Heißhungerattacke voraus?
Man wird sozusagen zu einem Betrachter seiner Gedanken und Gefühle und erhält einen tieferen Einblick in seine Reaktionsweisen auf das Alltägliche und auf Schwierigkeiten. Indem die Gedanken und Gefühle aus einem gewissen Abstand heraus betrachtet werden, kann klarer erkannt werden, was tatsächlich im Geist abläuft und somit kann eine andere Beziehung zu ihnen entwickelt werden.
Und genau so, kommt man auch dem unkontrolliertem Essverhalten auf die Spur: Welche Gedanken und Gefühle gehen einer Heißhungerattacke voraus? Was spüre ich im Körper, wenn ich zu zuckerhaltigen Lebensmitteln greifen möchte? Es geht nicht darum, zu bewerten, sondern seinen Körper und Geist sowie die Emotionen im jeweiligen Augenblick wahrzunehmen. Gedanken und Gefühle können so leichter benannt werden und auch die Reaktion darauf.
Vielleicht wird man sich so der Absichten, Verhaftungen, Vorlieben, Abneigungen und Unstimmigkeiten bewusst, die sich dahinter verbergen. Auf einer erlebnisorientierten Ebene könnte man sich auch fragen: Was habe ich davon? Ein Völlegefühl, Trägheit, Müdigkeit nach dem Essen oder ein schlechtes Gewissen? Dies führt zu einer Entkopplung von Auslöser und Essverhalten.
Mit Eat Right Now das Belohnungssystem kontrollieren lernen
Was in der Lehre sehr theoretisch klingt, wird in dem Trainingsprogramm Eat Right Now praxisorientiert vermittelt. Denkmuster und Verhaltensweisen, die sich über Jahrzehnte entwickelt haben, sind nicht von heute auf morgen zu verändern. In der Therapie bzw. im Kurs lernen die Teilnehmer ganz konkret, welche Rolle das prähistorische Belohnungssystem spielt und wie sie wieder die Kontrolle über ihr Essverhalten zurückgewinnen können. Dabei führt alleine die Lenkung der Aufmerksamkeit zu tiefgreifenden Veränderungen und bricht alte ungute Muster auf.
Im Laufe des Kurses baut sich der Schwung und die Fertigkeit auf, der Welle des Verlangens ihre Macht zu nehmen. Eine im März 2017 veröffentlichte Studie konnte zeigen, dass die Teilnehmer des Eat Right Now Programms ihr Verlangen (Gier, Schmacht, Sucht) nach Essen besser kontrollieren konnten und sich dadurch langfristig bewusster ernähren und gesünder leben. In vielen Fällen reduzieren sich emotionale Essanfälle auf die Hälfte innerhalb von vier Wochen.