Es gibt viele Gründe, warum Menschen ein unkontrolliertes sexuelles Verlangen haben, süchtig sind nach ständiger Befriedigung oder dem Konsum von Pornographie. Oft sind es individuelle Schicksale, äußere Umstände oder familiäre Hintergründe, die eine Rolle spielen. Ein Merkmal, das viele Hypersexuelle aufweisen, ist jedoch fast immer dasselbe.
Als Therapeutin für Hypersexualität bringe ich meinen Klienten große Wertschätzung entgegen. Denn wer etwas hinter die Fassaden blicken darf wie ich, erkennt ihren Leidensdruck und sieht die Persönlichkeit hinter der Sucht.
Ohne zu bewerten oder zu verurteilen arbeite ich mit ihnen an der Überwindung der Sucht durch unterschiedliche therapeutische Maßnahmen. Dabei stelle ich immer öfter fest, dass vielen meiner Klienten tief im Inneren eine wichtige Fähigkeit fehlt.
Süchtige sind immer auf der Suche nach etwas
Es ist die Fähigkeit, Zugang zu sich selbst zu finden und sich selbst zu fühlen. Viele Süchtige, in meinem Fall Hypersexuelle, haben Schwierigkeiten damit, ihre eigenen Bedürfnisse zu erkennen. Das haben sie schlichtweg nicht gelernt.
Sie wissen nicht, was gut oder schlecht für sie ist. Diese Frage stellen sie sich nicht. Fragen wie: Wie würde es mir gehen, wenn ich dieses oder jenes jetzt tun würde? Täte es mir gut? Was kann ich tun, damit ich mich nicht schlecht fühle, wenn mir dieses oder jenes passiert?
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Dabei haben sie jede Menge Gefühle. Sie leiden ja unter ihrer Sucht und vor allem sind sie in der Lage, die Gefühle anderer, nämlich derer, die sie mit ihrer Sucht belasten, nachzuempfinden. Der Zugang zur Gefühlswelt anderer ist also durchaus vorhanden, es hapert jedoch an dem Zugang zur eigenen Gefühlswelt.
Es scheint mir oft, als wäre dort, „am Eingemachten, da wo der Schmerz und die Freude sitzt“, eine undurchlässige Schutzhülle am Werk. Wo der Zugang fehlt, kann auch kein Bewusstsein darüber entstehen, was gut oder schlecht für eine Person ist.
Dabei sind hypersexuelle Männer und Frauen sensibel, zum Teil auch unsicher. Sie sind unsicher, weil sie ihre eigentlichen Bedürfnisse nicht erkennen und sie folglich auch nicht artikulieren können. Diese Bedürfnisse sind aber vorhanden, auch wenn sie nicht zugänglich sind.
Warum fehlt Sexsüchtigen der Zugang zu sich selbst?
Das Problem, keinen Zugang zu sich selbst zu haben, gibt es nicht nur bei Hypersexuellen, auch andere Menschen haben dieses Problem, daraus resultiert aber nur selten eine Sexsucht. Hier kommen noch andere Faktoren ins Spiel, wie zum Beispiel der persönliche Lebensweg.
Oftmals ist Sexualität ein Thema in der Kindheit oder Jugend eines Süchtigen gewesen. Auf ihre Bedürfnisse, Gefühle und Belange wurde in ihrer Vergangenheit wenig eingegangen, sie wurden sogar ignoriert – folglich fehlt die Fähigkeit des Abgleichs mit dem inneren Ich – eine elementare Fähigkeit, um sich zu spüren, zu kennen und im Gleichgewicht zu leben. Der Wunsch sich zu spüren, kanalisiert sich dann oft in sexuellen Handlungen.
Tagebuch führen als therapeutische Maßnahme
Eine meiner therapeutischen Maßnahmen ist das Führen eines Tagebuchs. Betroffene sollen aufschreiben, was genau einer sexuellen Impulskontrollstörung vorangegangen ist, zum Beispiel eine seelische Verletzung, negative Gedanken, Ängste. Hier tun sich viele Klienten extrem schwer.
Sie können nichts zu Papier bringen, weil ihnen nicht bewusst ist, was genau der Auslöser für ihr sexuelles Verlangen war. Es fehlt an Kontakt zu sich selbst.
„Es geht bei jeder hypersexuellen Handlung darum, den seelischen Schmerz zu bekämpfen und den Selbstwert wiederherzustellen.“ Susanne Behlau
Abbau von Stress durch Pornographie, Onanie oder Sex
Liebe, Anerkennung und Akzeptanz – der Wunsch zugehörig zu sein und innerhalb einer Gruppe eine sinnvolle Aufgabe auszuführen sind tiefe Bedürfnisse eines jeden Menschen. Doch sobald sich negative Gefühle wie Ablehnung, Degradierung oder Missachtung anbahnen (es reicht sogar nur die Angst davor), möchten Süchtige dieses Gefühl schnellstmöglich im Keim ersticken und durch ein positives ersetzen.
Das „erlernte“ Muster ist der Abbau von Stress und negativen Gefühlen durch sexuelle Handlungen. Das kann durch den Konsum von Pornographie, Cybersex, Onanie oder Geschlechtsverkehr geschehen. Bei Süchtigen ist dieser Impuls unkontrolliert.
Durch Achtsamkeit können Sexsüchtige den Zugang zu sich selbst finden
Einen ersten kleinen Schritt, den Hypersexuelle aus der Sucht alleine gehen können (wenn sie beispielsweise noch keinen Therapeuten gefunden haben oder noch nicht bereit zu einer Therapie sind), ist das Einüben des Zugangs zu sich selbst.
Ich habe gute Erfahrungen gemacht mit Achtsamkeitsübungen oder MBSR-Programmen (Mind Based Stress Reduction), die mittlerweile vielerorts angeboten werden. Hier lernen Teilnehmer, negative Gedanken und Stressauslöser bewusst wahrzunehmen. Sie lernen innezuhalten und ihre Aufmerksamkeit auf die Gegenwart (dem Hier und Jetzt) zu richten.
Ein geleitetes Achtsamkeitstraining ist ein erster Schritt, seine Gefühle und Bedürfnisse bewusst wahrzunehmen und Kontakt zu sich selbst zu finden. Er/sie kann zwischen Reiz (stressvoller Gedanke oder visueller Reiz) und Reaktion (sexuelle Handlung) unterscheiden und die Aufmerksamkeit besser auf das, was gerade gegenwärtig ist, richten.
Ein nächstes Ziel wäre es, dem sexuellen Impuls bewusst standhalten zu können und das sexuelle Muster aktiv zu durchbrechen. Bei dieser für hypersexuelle Menschen sehr schweren Aufgabe kann meist nur eine spezifisch an die Eigenheiten der Sexsucht angepasste Therapie helfen.