Wie erlerne ich Entspannung? Welche Prozesse laufen dann in Körper und Geist ab? Wie lange braucht man, bis man Fortschritte verspürt?
- „Ich kann mich nicht entspannen“
- „Ich komme schlecht runter“
- „Pausenlos gehen mir Gedanken durch den Kopf“
- „Ich bin todmüde, kann aber nicht schlafen“
So oder so ähnlich äußern sich viele Kursteilnehmer/-innen, wenn sie am ersten Kursabend ihre Erfahrungen schildern.
Gemeinsam haben alle den Wunsch nach innerer Ruhe und Ausgeglichenheit – das aber am besten sofort.
Dass es etwas Geduld erfordert, seine alltäglichen Angewohnheiten zu verändern und stressige Situationen gelassen zu meistern, verwundert nicht. Wer sich auf ein Entspannungstraining einlässt und regelmäßig erlernte Übungen praktiziert, belohnt sich selbst nach überschaubarer Zeit mit einer spürbaren Verbesserung.
Hilft mir ein Entspannungskurs?
Ein typischer Entspannungskurs umfasst 8 Sitzungen je 90 Minuten.
Zu Beginn des Kurses finden wir gemeinsam heraus, welche „Baustellen“ es zu bearbeiten gilt und wodurch die Lebensqualität beeinträchtigt wird. Viele Menschen gehen erst in einen Kurs, wenn das Nervensystem überreizt ist. Der Körper zeigt Symptome wie Herzrasen, Muskelzucken, Schweißausbrüche oder massive Schlafstörungen.
Wir haben in der Schule noch kein Unterrichtsfach in Achtsamkeit oder Selbstliebe. Die Fähigkeit, aufmerksam mit sich umzugehen, den Anforderungen des Alltags im Verhältnis zur Tagesform zu begegnen, ist nicht selbstverständlich. Jeder Mensch hat hin und wieder schwache Tage oder Phasen. Wir werden aber durch Erziehung und Arbeitsumfeld dazu angehalten, wie Maschinen immer gleich zu funktionieren.
Welche Entspannungsmethoden gibt es?
Ein Entspannungskurs folgt im Kern einer der bewährten Methoden „Progressive Muskelentspannung (PMR) nach Jacobson“ (Halten und Loslassen von Muskeln) oder „Autogenes Training (AT) nach Schultz“ (Autosuggestion von Körperwahrnehmungen).
Seit einigen Jahren werden vermehrt MBSR (Mindfullness-Based Stress Reduction ) Trainings angeboten, die den Begriff der „Achtsamkeit“ allgegenwärtig gemacht haben. Die Methode MBSR arbeitet mit Meditation und bewusster Körperbewegung / –Wahrnehmung.
Ohne hier den spezifischen Verlauf einer der o.g. Methoden beschreiben zu wollen, so gibt es doch Gemeinsamkeiten im Verlauf eines Trainings.
Beobachtungen aus einem Entspannungskurs nach Jacobson (PMR)
Zur Vorbereitung dienen Atemübungen oder ein sogenannter Body Scan, bei dem eine angeleitete Reise durch den Körper stattfindet. Dadurch wird eine Verbindung zum Körper aufgebaut und Gedanken treten in den Hintergrund.
Bequemes Sitzen oder Liegen wird ausprobiert, bis die optimale Haltung für die Übungen gefunden ist.
Erste einfache PR Übungen werden mit der rechten (dominanten) Hand durchgeführt. Dabei wird in festgelegten Zyklen die Hand zur Faust verschlossen, wieder geöffnet und entspannt. Die Methode basiert auf der Erkenntnis, dass psychische Anspannung mit einer erhöhten Muskelanspannung einhergeht und dass umgekehrt ein bewusstes Auflösen der Muskelanspannung den Geist beruhigt.
Den Geist fokussieren
Solche Übungen sind gleichzeitig auch Aufmerksamkeitsübungen, die es erlauben, vom unruhigen Geist eine Auszeit zu nehmen. Dadurch sind wir motiviert, uns auf eine einzige Sache zu konzentrieren.
In unserem Alltag hat sich das Multitasking eingeschlichen, auf dem Schreibtisch oder in der Tasche liegt das Smartphone und der Arbeitsprozess wird immer wieder unterbrochen durch den Kontakt zu den sozialen Medien. Wann kann man noch mehrere Stunden ununterbrochen an einer Sache arbeiten?
Manches haben wir selbst in der Hand, aber die permanente Verfügbarkeit wird in immer mehr Unternehmen vorausgesetzt. Der Arbeitsalltag erstreckt sich bis ins Privatleben hinein.
PMR Übungen verbessern die Körperwahrnehmung
Reine Kopfmenschen nehmen wieder Kontakt zum Rest des Körpers auf und hören auf dessen Signale.
Es ist erstaunlich, dass auch Teilnehmer/-innen schon nach wenigen Sitzungen berichten, dass sie tagsüber gemerkt haben, wie sie auf die Zähne bissen oder sich im Nackenbereich verspannt haben. Das wäre früher unbemerkt geschehen.
Weitere Übungen umfassen auch die andere Körperhälfte und -Bereiche. Im späteren Kursverlauf werden sogar mehrere Muskeln gleichzeitig als Gruppen angespannt und entspannt.
Manchmal offenbaren sich die individuellen Baustellen bei bestimmten Übungen. So wird bei einer Übung mit den Bauchmuskeln spürbar, dass Probleme „auf den Magen schlagen“ oder besonders kopflastige Naturen spüren am Übergang zwischen Kopf und Rumpf im Bereich der Halswirbelsäule starke Anspannungen.
Irgendwann tritt der Prozess der „Generalisierung“ ein, die Übung einer einzelnen Muskelgruppe sorgt im gesamten Körper für Entspannung.
Entspannungsmethoden im Alltag anwenden
Die Teilnehmer leiten sich zunehmend selbst an (mit ihrer inneren Stimme), um unabhängig von äußerer Anleitung zu sein. Übungen werden mit geöffneten Augen durchgeführt, damit sie alltagstauglich zum Beispiel in der U-Bahn oder auf einer Parkbank praktiziert werden können.
Im fortgeschrittenen Stadium werden problematische Situationen aus dem Alltag in die Entspannungssituation überführt. Durch Vorstellung der Situation inklusive aller damit verbundenen Sinneswahrnehmungen im Zustand der tiefen Entspannung wird diese nun ohne Bewertung beobachtet.
Zusammen mit einer Wortformel / Affirmation wie zum Beispiel „Ich bin ruhig und entspannt“ manifestiert sich die Entspannung im Angesicht einer an sich unangenehmen Situation. In der realen Situation erinnert man sich mit Hilfe der Formel an die Entspannung und holt sie sich in die Gegenwart. Teilnehmer können damit zum Beispiel Prüfungen meistern oder ihre Emotionen besser steuern.
Wieso lohnt es sich, Entspannung in der Gruppe zu üben?
Der Austausch in einer Gruppe ist besonders wertvoll, weil jeder Teilnehmer/-in auch für die anderen arbeitet. Jeder kann vom anderen lernen, der durch Gruppenregeln und Verschwiegenheitsgebot abgesicherte und geschützte Rahmen ermöglicht es, offen von seinen Erfahrungen zu berichten. Die Teilnehmer motivieren sich gegenseitig, von ihren Erlebnissen innerhalb und außerhalb des Kurses zu berichten.
Eine Alternative dazu ist die intensivere Betreuung in einem Einzelcoaching. Nicht jeder kann feste Termine in der Woche organisatorisch wahrnehmen. Manchmal kostet es am Anfang zu viel Überwindung, sich in eine Gruppe zu begeben. Letztlich verläuft der Prozess aber sehr ähnlich.
Je länger die eigene Übungspraxis fortdauert, desto tiefer setzen sich die Erfahrungen im Gesamtsystem aus Körper, Geist und Seele fest. Die Zeit für das Erreichen eines entspannten Zustandes sinkt mit zunehmender Erfahrung und Übungspraxis deutlich ab.
Der regelmäßige Besuch eines Kurses bereitet viel Freude und der Austausch mit Gleichgesinnten bereichert ungemein. Wer hat schon einmal in der Woche seine eigene Insel der Entspannung?