Die Rollen der beiden Geschlechter, Frau versus Mann, leiten sich noch heute aus einem jüdisch-christlichen Schöpfungsmythos ab. Danach wurde Eva aus der Rippe von Adam geschnitzt und ihm als seine Gespielin beigegeben. Damit wurde die Frauenrolle auf die gefügige Eva festgeschrieben und hat bis heute in unseren patriarchalischen Strukturen überdauert. Dr. Phil. Anna Gamma, Psychologin und autorisierte Zen-Meisterin, geht in ihrem Buch “Schön, Wild und Weise” alten mythischen Schöpfungsquellen auf den Grund und zeichnet ein ganz anderes Frauenbild: Das einer archetypischen Heldin, frei, schön, wild und weise, das allen Frauen zur Entfaltung zur Verfügung steht.
Die Festlegung des weiblichen Rollenbildes im Patriarchat – Ewig dienende Eva
Im Patriarchat entwickelte sich die Sprache über Gott ausschließlich in der männlichen Form. In dieser wurde die Geburtsurkunde der Frau aus dem zweiten Kapitel der Genesis (1. Mose, 2, 7-9 und 2, 15-25) geschrieben, in der es heißt “(…) Frau soll sie heißen, denn vom Mann ist sie genommen.” In dieser bis heute fortdauernden Geschichtsschreibung der Bibel wurde das Frauenbild auf die Qualitäten einer Eva reduziert, die dem Manne untergeordnet ist. Dabei wurde eine andere starke Frauengestalt in der abendländischen Kulturentwicklung völlig ignoriert: Lilith – die erste Frau an Adams Seite.
Lilith steht für eine starke selbstsichere Weiblichkeit. Laut älteren Texten der Genesis entzweiten sich Adam und Lilith, weil Lilith Gleichberechtigung und Ebenbürtigkeit verlangte. Sie wollte frei sein, und sorgte selbstbewusst für die Erfüllung ihrer Bedürfnisse.
Sie wurde von männlichen Geschichtsschreibern völlig ins Abseits gedrängt: “Dass Lilith (…) als derart gefährlich und dämonisch empfunden wurde, hat sowohl historische als auch psychologische Gründe. Es hängt in erster Linie mit der patriarchalischen Einstellung (…) zusammen, in welcher das Weibliche stets als Bedrohung empfunden wird. Daher wird in der jüdisch-christlichen, abendländischen Kulturentwicklung das Weibliche aus einer gewissen Abwehrstellung heraus nicht nur entwertet, sondern geradezu dämonisiert”, sagt Siegmund Hurwitz, ein namhafter Lilith-Forscher.
Einheit in einer starken Weiblichkeit – Lilith und Eva leben gemeinsam in jeder Frau
Die Entzweiung der beiden Frauen, der starken autarken weiblichen Lilith und der gütigen, liebend dienenden Eva, hat bis heute nicht nur Konsequenzen für die Beziehung zwischen den Geschlechtern, sondern auch zwischen den Frauen untereinander: Eifersucht, Neid, Miss8gunst, gegenseitige Abwertung – all die negativen Zuschreibungen, mit denen sich auch Frauen das Leben schwer machen, sobald sie in Wettbewerbssituation zueinander treten.
“In Gesprächen mit vielen Frauen habe ich entdeckt, dass die jahrtausendealte Trennung zwischen Lilith und Eva leidvoll erfahren wird. Hin- und hergerissen zwischen mütterlich-fürsorgendem Dasein (…) und unabhängigem, selbstbestimmtem Lebensentwurf wogt der innere Kampf”, so Anna Gamma.
Und die patriarchalisch aktive Unterdrückung der Weiblichkeit geht immer weiter, wie die aktuelle Weltsituation zeigt: Unterdrückung, Entrechtung, Vergewaltigung und Mord von Frauen finden überall da statt, wo es keine anerkannte Gleichberechtigung gibt.
“Deshalb sehe ich es als eine Aufgabe von Frauen (…), dass wir uns um die Annäherung zwischen Lilith und Eva besonders bemühen. Damit dies gelingen kann, ist es aus meiner Sicht notwendig, dass wir lernen, Lilith in einem anderen Licht zu sehen. Wir müssen sie aus der Vergessenheit herausholen, ihr Raum geben und die Angst vor ihrer Wildheit und Schönheit verlieren. Darf Lilith wieder als Schwester unter uns leben, dann wird sich auch Eva wandeln. Sie wird an Tiefe und Lebendigkeit gewinnen.”
Universelle Weiblichkeit – Erfahrungen aus dem kollektiven Bewusstsein schöpfen
Anna Gamma plädiert in ihrem Buch für eine Wieder-Vereinigung der beiden mythologischen Ursprungsfrauen Lilith und Eva. Als erfahrene Zen-Meisterin unterweist sie Schüler in die Kunst der Zen-Meditation, gibt Lehrgänge für (weibliche) Führungskräfte, leitet zahlreiche Seminare, Retreats und Ausbildungen im Bereich spiritueller Entwicklung. In ihren Kursen begegnen ihr immer wieder Frauen, die unter der Unterdrückung ihrer Weiblichkeit leiden und in ihr eine innere Stimme für die Ursache ihres Leids finden.
Als spirituelle Lehrmeisterin geht es für sie vor allem darum, dass Frauen ihre Weiblichkeit auch wirklich erfahren. “Denn Wissen, das für den Menschen nicht zu einer Erfahrung werden kann, bleibt abstrakt und führt zu keiner wesentlichen Weiterentwicklung”, sagt Anna Gamma.
Die vorgestellten Göttinnen aus ihrem Buch: die ägyptische Nut, die für weibliche Sexualität und Spiritualität steht, die polynesische Pele, der Stimme der Erde, oder Kanzeon, der weiblichen Bohisattva des Mitgefühls – sie alle hat Anna Gamma während ihrer spirituellen Praxis als Anteile ihrer eigenen Weiblichkeit `erfahren´.
In ihrem Buch “Schön, Wild und Weise” teilt sie ihr Erfahrungswissen und gibt uns für jede Facette unserer Weiblichkeit konkrete Übungen an die Hand, um selbst Erfahrungen aus dem kollektiven weiblichen Bewusstsein zu schöpfen.
Die Herz-Sonnen-Begegnung als Vorbereitung zur Wanderung der Sonne durch den Körper
Diese meditative Übung bereitet auf die Wanderung der Sonne durch den Körper vor. Behutsam, Schritt für Schritt, wird eine Verbindung zum strahlenden, Leben spendenden Himmelskörper aufgebaut. Es ist wichtig, mit der Sonne in einem selbstverständlichen und natürlichen Kontakt zu stehen
- Geh mit deiner Wahrnehmung zu deinem physischen Herzen. Vielleicht kannst du mit dem inneren Auge sehen, wie der Herzmuskel sich bewegt. Vielleicht hörst oder spürst du den Herzschlag.
- Hülle dein Herz mit einem Lächeln ein und danke ihm, dass es täglich – auch ohne dein bewusstes Dazutun – für dich Blut durch den Körper pumpt.
- Stell dir nun die strahlende Sonne vor deinem inneren Auge vor. Lade das Herz der Sonne ein, sich mit deinem Herzen zu verbinden.
- Bleibe eine gewisse Zeit in dieser Herz-Sonnen-Begegnung. Löse dich dann wieder aus dieser Verbindung in einer für dich stimmigen Weise. Kehre anschließend langsam ins Hier und Jetzt zurück.
Dieser vorbereitenden Übung folgt die eigentliche Meditation, die “Sonnenwanderung”, bei der die Sonne durch den Körper wandert, das Körperbewusstsein öffnet und die sexuellen Energien aktiviert.
“Jene Frau wird schön, wild und weise, die bereits ist, den inneren Reichtum, den sie auf der langen Reise ihrer Persönlichkeitsentwicklung gewonnen hat und weiterhin gewinnt, großzügig mit anderen zu teilen, und nicht aufhört, ihr Herz und ihren Geist ausweiten zu lassen.” (Anna Gamma)
Unterdrückte Weiblichkeit – Befreiung vom Kampf gegen das andere Geschlecht
Wem sind sie im Alltag nicht schon einmal begegnet: mangelnder Respekt oder gar Geringschätzung der Weiblichkeit? Auch heute noch werden bereits kleinen Jungen weibliche Anteile mit dem Spruch “du bist doch kein Mädchen” aberkannt, wenn sie zum Beispiel ausgeprägte musische oder emphatische Eigenschaften haben. Schon hier ist die Weiblichkeit, das Mädchen-, das Frau-Sein an sich zum Schimpfwort degradiert. Und die Herabwürdigung weiblicher Qualitäten als “Weiberkram” zieht weitere Kreise durch Alltags- und Berufsleben Erwachsener.
Aus Selbsterfahrung und ihrem Coaching weiblicher Führungskräfte kennt Anna Gamma die Folgen der weiblichen Degradierung: Zu wenig Frauen in Führungspositionen, vergleichsweise geringe Gehälter im Verhältnis zu den männlichen Kollegen. Das ist demütigend. Sie plädiert aber dafür, dass wir sowohl den Kampf untereinander aufgeben, als auch gegenüber den Männern.
So können bestimmte Übungen aus ihrem Buch uns helfen, statt Provokationen durch Männer mit entsprechendem Kampfgeist zu erwidern, eher weich, klar und entschieden zu bleiben. Eine sehr weibliche und kluge Strategie, die auch von Männern in der Kommunikation miteinander besser akzeptiert wird.
Frauen auf dem Weg zu sich selbst – Wie werden wir schön, wild und weise?
Bist du schön, wild und weise? – Vielleicht wirst du es mit diesem Buch herausfinden. Es beleuchtet viele unterschiedliche Aspekte unserer weiblichen Persönlichkeit und integriert – als absolut notwendig – vor allem die spirituelle Dimension in die Betrachtungsweise. Wobei mit “spirituell” keine bestimmte Glaubensrichtung, oder gar Religion gemeint ist. Sondern das innere Selbst-Erfahren und das direkte Betroffensein vom Mythos der Weiblichkeit.
So schreibt die Theologin Jutta Voss in ihrem Buch “Das Schwarzmond-Tabu” zum direkten Erleben: “Das Nachvollziehen matriarchalischer Mythen (…) ist geprägt von der subjektiven Teilnahme am Geschehen und von der existenziellen Betroffenheit. Es ist eine andere Art zu reflektieren, ein “Drin-Sein” im Geschehen. Der heutige rationale Mensch meint, er könne ein Geschehen objektiv betrachten, sozusagen “Draußen-Vor-Bleiben”. Er desintegriert sich aus der Ganzheit, vertritt und entfaltet Ideen über sie, aber lebt nicht in ihr (…).”
Anna Gamma eröffnet uns mit ihrem Blick auf göttliche Frauengestalten interessante Perspektiven auf eine ganzheitliche Weiblichkeit, in der Eva und Lilith, die Urfrauen der abendländischen Schöpfungsmythologie, wieder Eins werden und mit geballter Kraft wirken. Sie ermutigt uns, eigene intensive Erfahrungen mit unseren weiblichen Anteilen zu sammeln und sie zu wahrer weiblicher Schönheit, Kraft und Weisheit zu vervollkommnen.