Wir wissen längst, durch welche schädlichen Handlungsweisen wir zur Zerstörung der Umwelt beitragen: dem Verschwinden ganzer Ökosysteme, dem Aussterben von Arten und dem drohenden Verlust unserer eigenen Lebensgrundlagen. Es erscheint fraglos, dass wir Menschen die Verantwortung dafür tragen. Doch warum zerstören wir wider besseren Wissens auch weiter unsere eigenen Lebensgrundlagen? – Es könnte an unserer Entfremdung von der Natur liegen.
Natur! Wir sind von ihr umgeben und umschlungen – unvermögend aus ihr herauszutreten und unvermögend, tiefer in sie hineinzukommen. Johann Wolfgang von Goethe
Wüssten wir nicht, dass für Palmöl die Regenwälder abgeholzt werden, erschiene der Konsum von Produkten, die Palmöl enthalten, noch nachvollziehbar. Doch wir handeln nicht nachvollziehbar, sondern wider besseren Wissens: Wir konsumieren weiterhin Produkte mit Palmöl, obschon wir längst wissen, dass wir damit konkret die Umwelt schädigen, zum Beispiel einfach nur, weil die Produkte vergleichsweise günstig sind.
Wir fahren weiterhin aus Bequemlichkeit lieber Auto als Bahn oder Fahrrad, oder es ist uns zu umständlich, endlich den Stromanbieter zu Ökostrom oder zu einer Ökobank zu wechseln.
Lücke zwischen Wissen und Handeln – Ethisch motiviertes Handeln bleibt aus
Es gibt eine Kluft zwischen unserem Wissen und Handeln: unsere Untätigkeit. Doch wie können wir das ändern? Es erfordert eine hohe Motivation, seine Umwelt und die Natur zu erhalten und eine engagierte Haltung, wenn man immer über alles informiert sein muss, was man kauft und sein Leben danach ausrichtet.
Die fehlende Motivation des Einzelnen, wirklich aktiv im Sinne der Nachhaltigkeit tätig zu werden, ist ein großes Problem. Das zeigt sich bei allen Maßnahmen, die auf umweltfreundlicheres Konsumverhalten bei Verbrauchern abzielen. Meist handelt der Einzelne Konsument erst dann ökologisch, wenn ihn ein Problem ganz konkret individuell betrifft, zum Beispiel kauft er ungespritztes Bio-Obst seiner Gesundheit zuliebe.
Aber Naturzerstörung, Ressourcenabbau, Tierquälerei oder Artensterben betreffen die meisten nur indirekt, da sie in keiner direkten Verbindung mehr zu ihrer natürlichen Umwelt stehen.
Entfremdung von der Natur als Ursache von umweltschädigenden Verhalten
Die eigentliche Ursache für die fortschreitenden ökologischen Probleme könnten in einer zunehmenden Entfremdung der Menschen von der Natur liegen. Es fehlt eine lebendige Beziehung, eine Verbindung zu unserer Umwelt, die so erfüllend erlebt wird, dass die Natur uns als Teil von uns Selbst erscheint.
Die aktuellen Bestseller wie “Das geheime Leben der Bäume” und “Das Seelenleben der Tiere” von Peter Wohlleben sowie “Der Biophilia Effekt” von Clemens G. Arvay zeigen, wie groß doch die Sehnsucht danach ist.
Denn heute fühlen sich viele Menschen der Natur gegenüber eher distanziert bis fremd. Es fehlt einfach der direkte sinnliche Kontakt mit der Natur: das Sich-Verbunden-Fühlen, das Erleben der Natur und das `Sich-Erleben´ als Bestandteil der Natur. Es fehlt schlicht die “(mit-)fühlende” Beziehung zur Natur. Doch nur eine wirklich emotionale Verbindung zur natürlichen Umwelt vermag womöglich die hohe Motivation und das Engagement für Verhaltensänderungen des Einzelnen zu erzeugen.
Die Universiität Marburg führt zum Thema Naturentfremdung mit ihrem “Jugendreport Natur” bereits seit 1997 regelmäßige Studien durch. Die Studien tragen Titel wie “Das Bambi-Syndrom”, “Nachhaltige Entfremdung” oder “Natur obskur”.
Sie dokumentieren ein zunehmendes Verschwinden der Natur aus der sinnlichen Wahrnehmung junger Menschen und gleichzeitig eine Romantifizierung. Es wird daraus besonders der Widerspruch zwischen einer Überhöhung der Natur einerseits und eines unkritischen bedenkenlosen Konsum andererseits offensichtlich.
Mit Freude die Natur erleben – eine neue Beziehung zur Natur durch intensive Naturerfahrungen
In der gefühlten Entfremdung durch eine Abspaltung der Natur im Denken (hier: Mensch, Kultur, Gesellschaft – dort: Natur, Umwelt, Tiere…) und der fehlenden natürlichen Beziehung zur Natur liegt womöglich die Hauptursache für unsere gesamten gegenwärtigen ökologischen Probleme. Die meisten Menschen sehen sich einfach nicht mehr als Teil der Natur, sondern außen vor. Doch wie kann ein Mensch erfahren, dass er ebenfalls zur Natur gehört, dass er ein abhängiger Teil seiner natürlichen Umgebung ist, dass er einfach dazugehört?
Natur- oder Wildnispädagogik als Schlüssel zu intensiven Naturerlebnissen
Einer Entfremdung können wir am besten durch schöne und intensive Erlebnisse in der Natur überwinden. Positive Naturerfahrungen können unser Vertrauen in die Natur stärken und wir können selbst spüren, dass die Natur nicht das Andere ist, sondern dass wir selbst ein Teil der Natur sind.
In diesem als ökozentrisch bezeichneten Weltbild messen wir allen Lebewesen die gleiche Wichtigkeit und Wertigkeit zu. Nicht der Mensch ist hier das Maß aller Dinge, sondern er ist Teil des Ganzen, in dem er seinen Platz hat, wie andere Lebewesen auch. Das dazugehörige ökologische Menschenbild legt nahe, dass auch der Mensch ein natürliches Wesen im Kontext seiner Beziehung zu anderen Lebewesen ist. Die entsprechende Grundhaltung sind daher Respekt und Achtung gegenüber der Natur und anderen Wesen.
Wege zu einer intensiven Naturverbunden – Die Natur neu erfahren und erleben
Spielen in der Natur – macht nicht nur Kinder froh, sondern Erwachsene ebenso
Spielen ist eine wesentliche Grunderfahrung des Menschen. In dem Film “PLAY AGAIN” von 2010 werden eindrücklich die Konsequenzen einer von der Natur entfremdeten Kindheit gezeigt. Kinder lernen durch freies nicht angeleitetes Spielen in der Natur die Grundzusammenhänge der Natur kennen.
Waldkindergärten oder naturpädagogische Angebote in Kindergärten, Schulen, Naturschutz- oder Wandervereinen sind essentiell und prägen das Weltbild der kommenden Generationen. Durch das spielerische Bewegen in der Natur können direkte sinnliche Erfahrungen mit der Natur gemacht werden, die auch für Erwachsene spannend sind und Spaß machen.
Sinnliche Naturwahrnehmung – Wahrnehmungsperspektiven verändern
Es gibt ein tolles neues Buch von Charles Foster „Der Geschmack von Laub und Erde. Wie ich versuchte, als Tier zu leben“. Der Autor nimmt in einem schonungslosen Selbstversuch die Perspektive der Tiere des Waldes ein und lebt wie ein Dachs, Fuchs, Otter oder Hirsch. Der Autor berichtet eindrücklich davon, wie stark die Ausschaltung des menschlich stärksten Sehsinns (zum Beispiel bei nachtaktiven Tieren) andere Sinne, wie zum Beispiel den Geruchssinn oder den Tastsinn, schärfen.
Dabei ist erstaunlich, wie weit die sinnliche Einfühlung in unsere tierischen Mitbewohner gehen kann und wie stark wir uns als Mensch im Tier wiederfinden können. Wer einmal aus der Perspektive der Tiere gelebt hat, handelt anders als vorher.
Es ist zwar einen Versuch wert … doch ganz soweit muss man natürlich nicht gehen, um seine Beziehung zur Natur durch sinnliche Einfühlung zu ändern. Es reicht möglicherweise schon, wenn wir uns im Wald einmal versuchsweise die Augen verbinden und auf das Hör- und Riechabenteuer einlassen, dass uns dann umgibt.
Natur als Nahrungs- und Heilmittel – Von Kräuterhexen und Waldbaden
Wer schon einmal etwas von “Shinrin Yoku” (aus dem japanischen = Waldbaden) gehört hat, der hat möglicherweise bereits Bekanntschaft mit der heilenden Wirkung unserer pflanzlichen Mitbewohner aus dem Wald auf unsere körperliche und seelische Verfassung gemacht.
Forscher bestätigen, dass Spaziergänge im Wald die Herzfrequenz, die Cortisol-Werte (Stressindikator) sowie den Blutdruck senken. Waldbaden und Aufenthalte in der Natur entspannen uns körperlich und seelisch.
Die wohltuenden Wirkungen der Natur stecken aber zum Beispiel auch in frischen wilden Kräutern, die wir im Dienste unserer Gesundheit und Schönheit nutzen können. Denn immer wenn uns der Frühling wieder erste Knospen und frische Kräuter schenkt, können wir unsere Beziehung zur Natur erneuern und altes Kräuterwissen für unsere Heilung und unser Wohlergehen nutzen.
Meditation in der Natur – Mit Achtsamkeit die natürliche Umgebung erleben
Wer der Natur mit einer Haltung begegnet, die absichtslos, offen und empfänglich ist, kann sich von der Natur tief berühren lassen. Eine solche Berührung kann durch Meditation in der Natur geschehen. Sie kann im Hier-und-Jetzt der achtsamen Konzentration eine Aufhebung des Gefühls von Getrenntsein und sogar ein Gefühl von absoluter Verbundenheit, sogar einer Einheit mit der Natur vermitteln.
Wie jede Meditation kann auch die Naturmeditation zur Stärkung innerer Ruhe und Gelassenheit genutzt werden. Die Natur als Meditationsobjekt erlaubt allerdings ein besonders genaues Erforschen und Wahrnehmen der verschiedenen Naturaspekte, zum Beispiel bei einer achtsamkeitsbasierten Meditation auf eine Waldlichtung, die alle Sinne einbezieht. So kann die Beziehung zur Natur auf besonders eindrückliche und intensive Weise gestärkt werden.
Bildung für nachhaltige Entwicklung – Naturbildung und Öko-Kompetenz für Alle!
Es gibt viele Wege, wie wir die Beziehungen zur Natur wieder aufbauen und vertiefen können. Dazu gehören neben den bereits genannten Möglichkeiten, die Natur als Spiel- , Therapie- oder Meditationsraum zu betrachten, auch die Ansätze diese als Forschungs-, Kreativitäts-, Lebens- oder Kulturraum zu begreifen.
Hierfür bieten vor allem Konzepte aus dem Bereich der Natur- und Wildnispädagogik oder der Natur- und Umwelttherapie interessante Ansatzpunkte der Auseinandersetzung mit der Natur, die auch im Rahmen der “Bildung für nachhaltige Entwicklung” (BNE) verankert sind.
Auf der Konferenz der Vereinten Nationen in Rio de Janeiro (1992) wurde “nachhaltige Entwicklung” als Ziel für unsere gesamte Welt proklamiert. Im Nachgang hat die UNESCO dann die “Bildung für nachhaltige Entwicklung” (BNE) ins Leben gerufen, die zum Ziel hat, weltweit Umweltbildung in allen nationalen Bildungsmaßnahmen zu verankern. Im Bildungsverständnis der BNE geht es darum, den Menschen Wissen und Werkzeuge an die Hand zu geben und ihre Kompetenzen zu fördern, um aktiv und eigenverantwortlich die Zukunft für die nächsten Generationen zu gestalten.
Nur durch das Erleben und Erfahren der Natur entsteht Naturverbundenheit. In der Erfahrungsvielfalt unserer natürlichen Umgebung, auch durch naturpädagogische Bildungsanbgeote inspiriert, liegt die Chance, uns selbst wieder als Teil der Natur wahrzunehmen und die zunehmende Entfremdung zu überwinden. Naturverbundenheit ist Umweltschutz.