Sexualisierte Gewalt an Frauen und Mädchen zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte. Überlebende von Vergewaltigungen in Kriegsgebieten leiden ihr Leben lang unter den traumatischen Erfahrungen. In unserer Rubrik echtSTARK! stellen wir die Menschenrechtsaktivistin Monika Hauser vor. Sie setzt sich dafür ein, sexualisierte Gewalt gegen Frauen als weltweites Problem anzuerkennen – und zwar auch hierzulande. evidero-Redakteurin Jutta Echterhoff hat mit Monika Hauser über Kriegstraumata, patriarchale Gesellschaften und eine unmenschliche Abschiebepolitik gesprochen.
Ruanda, Uganda, Burundi, Demokratische Republik Kongo und Liberia. Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Albanien, Afghanistan und Nordirak/Syrien. Die Liste könnte noch fortgesetzt werden. Es sind Länder, in denen die Vergewaltigung von Frauen und Mädchen als Kriegswaffe eingesetzt wird oder wurde.
Und dabei wäre es viel zu kurz gedacht, diese „nur“ als strategische Kriegswaffe zu sehen. Sexualisierte Gewalt ist ein Kontinuum, das vor, während und massiv nach dem Krieg existiert: in Form von Zwangsbordellen für UN-Soldaten und zivile Helfer in den Kriegsregionen, und auch durch massiv erhöhte häusliche Gewalt der rückkehrenden Frontsoldaten. Für die betroffenen Frauen ist sexualisierte Gewalt eine extrem schmerzvolle, demütigende und zerstörerische Erfahrung.
In unserer Rubrik „echtSTARK!“ stellt evidero Redakteurin Jutta Echterhoff außergewöhnliche Frauen vor, die durch einen bewussten Lebens- oder Arbeitsstil auffallen.
Mit ihrem Engagement und couragiertem Handeln machen sie die Welt für sich und andere jeden Tag ein Stück besser.
Langzeitstudie aus Bosnien und Herzegowina
Die Folgen der Vergewaltigungen sind für die Betroffenen mehrfach belastend. Nicht nur psychisch und körperlich, auch der Ausstoß aus der Gesellschaft ist existentiell. Frauen werden häufig von den eigenen Familien und Ehemännern ausgegrenzt. Eine von medica mondiale in Kooperation mit ihrer bosnischen Partnerorganisation Medica Zenica vorgelegte Langzeitstudie mit Überlebenden aus Bosnien und Herzegowina (hier wurden zwischen 1993 und 1995 geschätzte 20.000 bis 50.000 Frauen vergewaltigt) macht auch noch nach über 20 Jahren die Folgen der Gewalt offensichtlich.
„Das Ergebnis der Studie ist ernüchternd“, erklärt Monika Hauser. „Mehr als die Hälfte der Frauen ist immer noch von Posttraumasymptomen und Depressionen betroffen. Wir sprechen von einer Chronifizierung sexualisierter Gewalt. Noch immer werden die Frauen von Flashbacks und auch suizidalen Gefühlen übermannt, und haben, wenn überhaupt, nur mühsam den Weg ins Leben zurückgefunden.“
Dr. Monika Hauser ist in der Schweiz geboren und dort aufgewachsen; als Kind Südtiroler Eltern ist sie italienische Staatsbürgerin. Ihr Lebensweg hat viele internationale Stationen. Die Ausbildung zur Fachärztin für Gynäkologie absolvierte sie in Essen und Köln.
1992 erfährt sie über die Medien von den Massenvergewaltigungen an bosnischen Frauen während des Balkan-Krieges. Sie fährt ins Kriegsgebiet, um zu helfen und setzt sich fortan für die ganzheitliche medizinische, psychosoziale und rechtliche Unterstützung von Überlebenden sexualisierter Kriegsgewalt in vielen Ländern der Erde ein.
Dabei versteht sie sich als politische Menschenrechtsaktivistin. Sie erhielt renommierte Auszeichnungen für ihre Arbeit.
Bild: © Ulla-Burghardt_medica-mondiale
Selbstwertgefühl und Selbstwirksamkeit müssen gestärkt werden
medica mondiale sieht auch Probleme im unmittelbaren Umfeld der Frauen. Es geht neben der psychologischen und körperlichen Begleitung auch darum, ein positives Umfeld herzustellen. „Es fehlt die gesellschaftliche Akzeptanz. Stigmatisierungen in der Familie und dass die Frauen keine Gerechtigkeit erfahren – das traumatisiert sie erneut. In Nachkriegsgebieten wird der Gesundheitsapparat nicht prioritär unterstützt, es gibt kaum Personal, das mit Traumata Erfahrung hat“, berichtet Monika Hauser.
1993 in Bosnien und Herzegowina leistete sie mit einem Team einheimischer Expertinnen, das sie kurzfristig vor Ort zusammenstellte, humanitäre Hilfe. Damals, als junge Gynäkologin an der Uniklinik Essen, war sie geschockt von den Nachrichten über Massenvergewaltigungen. Bis heute kämpft sie für Frauen und Mädchen in Krisenregionen weltweit – gemeinsam mit ihren 50 Kölner Kolleginnen von medica mondiale.
Für ihr Engagement wurde sie 1993 von den ARD-Tagesthemen zur „Frau des Jahres“ gewählt und erhielt 2008 den Alternativen Nobelpreis (Right Livelihood Award). Es folgten 2012 der Staatspreis des Landes NRW sowie eine Auszeichnung des Europarates.
Patriarchale Strukturen gibt es auch in westlichen Kulturen
„Mein Anliegen ist, auch immer die Brücke zu den westlichen Kulturen zu schlagen. 70 Prozent der sexualisierten Gewalt geschieht im Nahfeld – und zwar auch in Deutschland. Gewalt ist auch hier ein großes Thema. Viele Frauen werden auch hier nach Vergewaltigungen nicht mehr von ihren `christlichen´ Ehemänner angenommen“, sagt sie.
Die rechtliche Gleichstellung ist per Grundgesetz definiert, trotzdem sind die Frauenhäuser voll. In patriarchalen Gesellschaften, und dazu zählt sie die deutsche auch, gibt es Männer, die immer noch Schwierigkeiten haben, Konflikte nicht gewalttätig zu lösen.
„Deshalb hält sie es für enorm wichtig, dass der Feminismus von allen Generationen weitergeführt wird. „Wir dürfen nicht aufhören, solidarisch für andere Frauen zu kämpfen, in Deutschland und in den Ländern, in denen wir arbeiten. Wir dürfen nicht immer denken, dass es sexualisierte Gewalt nur im Kongo oder auf dem Balkan gab, auch hier ist es so und wir haben noch viel zu tun.“
Transgenerationale Traumatisierung wirkt weiter – auch heute noch
Auch in Deutschland haben Frauen massive Kriegsgewalt erfahren. Erst spät wurden die Vergewaltigungen im Nachkriegsdeutschland thematisiert. Es gibt immer noch viel zu wenige Studien zu den Vergewaltigungen während und nach dem 2. Weltkrieg und ihren Folgen – ein tabuisiertes Thema über Jahrzehnte.
„Gefrorene Seelen“ – so beschreibt Monika Hauser viele Frauen, die 1945 vergewaltigt wurden und nie darüber sprechen konnten. „Die Gewalt, die die Kriegsgeneration auch auf der Flucht oder in Bombennächten erlebt hat, die verschwindet ja nicht, nur weil wir jetzt in Frieden leben. Sowohl die Schuld als auch das Leid sind hier drin“, erklärt Monika Hauser und deutet auf das Herz. „Und das wird von einer Generation an die nächste übergeben. Das kann nur durchbrochen werden, wenn es ein öffentliches Bewusstsein dafür gibt.“
So ein gesellschaftliches Erbe wird auch mit dem Begriff „gestörtes Feingewebe“ beschrieben, das sich in Individuen und in der deutschen Gesellschaft manifestiert hat. Promiskuität, Beziehungsunfähigkeit, Alkohol- und Tablettensucht, hohe Scheidungsraten, Erbschaftsstreitereien – all das ist Ausdruck von transgenerationalen Traumata, die nicht bearbeitet wurden und sich bis heute über Generationen hinweg fortsetzen.
Und dann führt sie ein positives Beispiel an: So ist die Ärztin davon überzeugt, dass die Applaudierenden am Münchener Hauptbahnhof, die im Sommer 2015 die Flüchtenden begrüßten, zutiefst menschlich gehandelt haben. „Diese Menschen haben mit viel Empathie das Leid von vorherigen Generationen nachempfunden. Sie hatten die Geschichten ihrer Eltern und Großeltern im Kopf, als sie die Flüchtenden willkommen hießen. In diesem Moment ist etwas zutiefst Menschliches passiert.“
Derzeitige Abschiebungen sind unmenschlich
Andere Menschen nicht zu unterstützen, ist für sie zerstörerisch: „Alles stürzt sich derzeit auf Trumps Planung einer sichtbaren Mauer zu Mexiko. Dabei wird übersehen, dass Merkel mit der EU aktuell eine unsichtbare Mauer vom nördlichen bis zentralen Afrika baut, und dabei mit despotischen Regierungen kooperiert, deren autoritäre Politik die Menschen erst in die Flucht schlägt – das nehmen wir hin! Die Unsinnigkeit deutscher Politik macht sich auch darin deutlich, dass überhaupt über Obergrenzen gesprochen wird und gleichzeitig Wirtschaftsinstitute sagen, dass wir eine jährliche Zuwanderung von 400.000 Menschen brauchen. Dieses Vorgehen widerspricht den Fakten und ist lediglich populistisch auf Wahlen ausgerichtet.“
Ein anderes Beispiel sind die derzeitigen Abschiebungen in Kriegsgebiete wie Afghanistan und die durch das Asylpaket II untersagte Familienzusammenführung. Zudem sind die in den Flüchtlingslagern vor Ort wartenden Frauen und Kinder auch sexualisierter Gewalt ausgesetzt. „Eine solche unsolidarische Politik lehne ich ab, sie ist einer so reichen Gesellschaft wie der unseren nicht würdig. Ich bin mir sicher, das es nicht nur zerstörerische Wirkungen auf die Betroffenen hat, sondern auch auf uns. Alles Gute, was wir tun, heilt uns selber, und alles Schlechte kommt potenziert zu uns zurück.“
Rassistisches Denken ist ein Armutszeugnis für unsere Gesellschaft
Dass gerade gut integrierte kosovarische Familien abgeschoben werden, nur um rechte Strömungen zu bedienen und Wahlen zu gewinnen, hält Monika Hauser für ein Armutszeugnis für Deutschland. „Was für eine herzlose Politik lassen wir hier zu? Wir müssen eigentlich alle täglich auf die Straße gehen und sagen, das akzeptieren wir nicht. Zumal westliche Regierungen die Verantwortung für Fluchtursachen mittragen, sei es durch Militär-Interventionen oder ausbeuterische Wirtschaftspolitik gegenüber Schwellenländern. Und dabei wäre es so einfach. Es ginge nur darum, unseren Verstand und unsere Herzen zu öffnen.“