Mehrere Millionen Deutsche bezeichnen sich selbst als Wanderer – allerdings zieht sich ein Großteil davon die Stiefel nur dann an, wenn kaum ein Wölkchen am Himmel steht. Dabei ist Wandern gerade dann besonders schön, wenn die Temperaturen im Keller Verstecken spielen.
Ob irgendwo im norddeutschen Flachland, in den Mittelgebirgen zwischen Eifel, Hunsrück und Taunus oder ganz im Süden der Republik im Schwarzwald oder am Alpenrand: Deutschland ist ein Land, das geradezu perfekt fürs Wandern geeignet ist.
Und das nicht nur, weil man es praktisch überall direkt vor der Haustür beginnen kann, sondern auch, weil Bund, Länder und jede Menge Freiwillige dafür sorgen, dass unsere Heimat von Wanderwegen geradezu überzogen ist: Allein die Länge der befestigten Wege beläuft sich auf sage und schreibe fast 200.000 Kilometer – die unzähligen weiteren Pfade ohne Asphalt summieren sich noch hinzu.
Allerdings: Viele dieser wunderschönen und entspannenden Routen werden nur im Sommer frequentiert. Das wiederum führt zu mehreren Problemen, von denen regelrechter „Wanderer-Andrang“ nur eines ist. Doch Wandern ist im Gegensatz zu vielen anderen Freizeitaktivitäten ein Sport, den man wirklich das ganze Jahr über ausüben kann – und auch sollte. Warum das so ist und wie es geht, verraten wir auf den folgenden Zeilen.
Sonne ist nicht gleichbedeutend mit Wanderwetter
Sonne satt, nur getrübt von einigen Schleierwölkchen und das Thermometer bei knackigen 25 oder mehr Grad – so oder so ähnlich stellen sich viele Wander-Neulinge das perfekte Wanderwetter vor, wenn sie sich mit dem Einstieg in dieses Hobby befassen. Die Realität sieht allerdings ein wenig anders aus:
- Bei diesen Temperaturen kommt praktisch jeder Wanderer leicht ins Schwitzen – und mit feuchten Klamotten stundenlang zu marschieren, ist nicht nur unangenehm, sondern kann auch zu schmerzhaftem Wundlaufen (dem sogenannten „Wolf“) führen.
- Gleichzeitig bedingen hohe Temperaturen, dass der Flüssigkeitshaushalt ausgeglichen werden muss – sonst geht die Leistungskurve in den Keller bis hin zur Ohnmacht. Beim Wandern muss jedes Gramm auf dem eigenen Rücken transportiert werden. Und Wasser wiegt pro Liter ein ganzes Kilogramm. Für einen mehrstündigen Marsch in sengender Sonne müssen also mehrere Kilo Extragewicht in den Rucksack gepackt werden.
- Obendrein lockt Sonne praktisch jeden Freizeitwanderer vor die Wohnungstür. Das kann an Wochenenden, Feiertagen usw. dann auf den beliebten (und auch den weniger beliebten) Routen dazu führen, dass die Wanderer sich gegenseitig regelrecht auf die teuren Stiefel treten – vom dann auch oft auftretenden Ärger mit anderen Outdoorsportlern wie Mountainbikern einmal ganz abgesehen.
Die Summe dieser Punkte führt für manche zu einem ernüchternden Ergebnis: Nur, weil schönes Wetter und warme Temperaturen herrschen, muss das nicht automatisch zu einem besonders schönen Wandererlebnis führen, sondern in der Realität oftmals nur zu Schweiß, Stress und hohem Blutdruck – also genau dem Gegenteil von dem, was Wandern eigentlich auslösen soll.
Es gibt nicht „das Wanderwetter“
Aus dem unter Punkt 1 genannten Gründen, sollten sich sämtliche Wanderer, ob nun alte Hasen oder absolute Anfänger, gerade jetzt einmal im Web nach Wanderrouten umschauen. Während diese Zeilen geschrieben werden, herrschen in der Republik Tagestemperaturen zwischen fünf und zehn Grad, oftmals nieselt es und in den Höhenlagen pfeift einem auch gehörig der Wind um die Nase. Gerade dieses Wetter ist eigentlich das perfekte „Ausgangsszenario“, um loszustiefeln:
- Die geringen Temperaturen sorgen dafür, dass auch Untrainierte weniger schnell überhitzen
- Es muss generell weniger Flüssigkeit mit- und zugeführt werden
- Wanderwege sind in den überwiegenden Fällen nicht mehr so stark überlaufen
Allerdings haben diese Wetterverhältnisse im Winterhalbjahr natürlich auch ihre Schattenseiten, namentlich den sogenannten Windchill – also den auskühlenden Effekt des Windes, der schon dann auftritt, wenn man sich bei Windstille bewegt.
Zur Verdeutlichung: Was bei den weiter oben genannten Sommertemperaturen für einen angenehm kühlenden Effekt auf der Wandererhaut sorgt, kann bei schlechtem Herbst- oder Winterwetter mindestens für unangenehme Auskühlung, schlimmstenfalls aber sogar Erfrierungen sorgen – je nach Lage und Windstärke können diese nämlich schon bei +10°C auftreten und nicht erst – wie mancher glauben mag – erst bei Tiefschnee und „sibirischen Verhältnissen“. Deshalb bekommt beim Wandern im Winterhalbjahr die Ausrüstung einen noch höheren Wertigkeitsfaktor als im Sommer.
Eine Sache des Equipments
Wir leben in für Wanderer herrlichen Zeiten: Die Liste an Herstellern, die sich mit ihren Waren nur an diese Zielgruppe wenden, ist in den vergangenen Jahren geradezu explodiert. Und gleichzeitig profitieren wir wie kaum eine zweite Sportlergruppe von modernen Materialien: Geringe Gewichte und hohe Isolierwirkung schließen sich heute ebenso wenig gegenseitig aus wie Atmungsaktivität und Wasserdichtigkeit.
Doch bei niedrigen Temperaturen und Regenwetter ändern auch High-Tech-Materialien nichts an der wichtigsten Regel fürs Zusammenstellen der Ausrüstung für eine 12-Stündige Tageswanderung. Sie lautet: Zwiebelprinzip. Also das Aufteilen der Kleidung in mehrere dünne Schichten statt weniger dicker:
- Die erste Schicht ist die Unterwäsche. Auch wenn es kalt ist, sollte hier auf Stücke zurückgegriffen werden, die Feuchtigkeit von der Haut ableiten, denn Schweiß produziert der Körper auch bei Anstrengung in kühler Umgebung. Für sehr niedrige Temperaturen gibt es auch gefütterte Ware.
- Die zweite Schicht ist die normale Oberbekleidung, also ein locker sitzendes Hemd, am besten mit langen Ärmeln, denn die lassen sich in der Mittagssonne auch hochrollen, sowie bequemen Wanderhosen und einer Softshelljacke (nicht zu verwechseln mit der Hardshelljacke). Diese ist besonders wichtig, denn sie schützt vor Auskühlung durch Windchill und hält auch leichten Regen ab. Ebenfalls zur zweiten Schicht gehören auch dickere Jacken, die bei größerer Kälte angezogen werden.
- Die dritte Schicht ist der „echte“ Wetterschutz. Sie besteht aus einer Regen- bzw. Hardshelljacke, die auch vor schlimmem Herbstregen schützt und einer dazu passenden Regenhose, die im Notfall über die andere gezogen werden kann.
Wer so ausgerüstet vor die Türe tritt und dann auch noch darauf achtet, dass die Wanderstiefel an seinen Füßen gut imprägniert sind, dem kann praktisch kein noch so übles Herbstwetter irgendwie die Wanderlaune verderben, denn seine Kleidung wird ihn vor allen Unbilden so perfekt abschirmen, dass die Negativ-Effekte der dunklen Jahreszeit gar nicht erst zum Tragen kommen.
Ein vollkommen anderes Naturerlebnis – und eins für die Gesundheit
Regen. Trübe. Grau. Nebel. Kälte. Matsch. Mit diesen Negativ-Attributen versehen viele „Sommerwanderer“ die letzten und ersten Monate des Jahres. Dabei vergessen die meisten davon, dass gerade diese Besonderheiten dafür sorgen können, dass aus einer Wanderung ein besonders bewusstes Erlebnis wird, das vielleicht noch viel entspannender ist, als die schönste August-Lauferei.
Das hat folgende psychologische, physiologische und durchaus vielschichtige Hintergründe:
- Grundsätzlich leiden die meisten Menschen im Winterhalbjahr unter Vitamin-D-Mangel. Dieses Vitamin produziert der Mensch zwar selbst, die Herstellung wird aber nur durch Sonnenlicht angeregt. Wer sich zwischen Oktober und März nur in Büro und Wohnung verbarrikadiert, nimmt seinem Körper praktisch jede Chance auf die Vitaminproduktion und sorgt so selbst für den „Winterblues“ – Vitamin D hat weitreichende Auswirkungen auf unsere Laune. Raus in die herbstliche und winterliche Natur erzeugt also auch bei trübem Wetter einen Gute-Laune-Schub, selbst wenn die Sonne hinter dicken Wolken verborgen ist.
- Viele verbinden mit Natur Sonnenschein, voll im Saft stehende Bäume und zwitschernde Vögel. Doch auch wenn es auf den ersten Blick nicht so scheinen mag, hat auch das genaue Gegenteil dieser sommerlichen Impressionen einen ganz eigenen Charakter, der den wandernden Betrachter in seinen Bann ziehen kann. Anders ausgedrückt: Auch ein novemberlich-verregneter Waldwanderweg kann unglaublich atemberaubend wirken – schon deshalb, weil wir diesen Anblick so nicht gewohnt sind.
- Kalte Luft ist dichter als warme – und enthält deshalb mehr Sauerstoff. Was vielen an einem kalten Wintermorgen in der Nase brennt, wenn sie vor die Tür treten, hat also beim Wandern durchaus positive Auswirkungen: Mit der gleichen Atemtechnik füllen sich im Winterhalbjahr die Lungen mit mehr Sauerstoff; das Gehen wird weniger anstrengend und die Ermüdung der Muskeln setzt später ein, weil mehr Sauerstoff durch unseren Blutkreislauf zirkuliert.
- Im Winter lagert der Körper automatisch mehr Fette ein – ein Überbleibsel unserer steinzeitlichen Vorväter. Doch was damals überlebensnotwendig war, sorgt heutzutage für Hüftgold. Schon wenige Wanderkilometer pro Woche können dabei helfen, das Wohlfühlgewicht auch über die kalten Monate zu halten.
- Unser Immunsystem wird nur dann gekräftigt, wenn es – wohldosiert – mit allen Unbilden direkt konfrontiert, anstatt davon abgeschirmt wird. Wanderungen im Winterhalbjahr können so dafür Sorge tragen, dass man die typischen grassierenden Grippewellen mit einem Lächeln abfedern kann, anstatt selbst mit Triefnase in überfüllten Wartezimmern zu verbringen.
Zudem müssen auch hartnäckige Gegner des Wanderns in dieser Jahreszeit eines eingestehen: Längst nicht jeder Tag zwischen November und März ist grau und regnerisch. Und kommt die Sonne hervor, kann auch ein klirrend kalter Wintertag zu einem unglaublichen Naturerlebnis werden – selbst wenn sämtliche Bäume und Sträucher am Wegesrand kahl sind und unter den Stiefeln der Matsch hängt. Denn kühle Temperaturen und ihre Auswirkungen auf den Luftdruck sorgen auch für eine dramatisch verbesserte Fernsicht. Wer also in der kalten Jahreszeit seine liebsten Höhenrücken abläuft, darf sich auf wesentlich aussichtsreichere Blicke freuen, als mitten im Sommer.
Fazit
Nur weil sich das Quecksilber kaum noch von der Null weg bewegt, heißt das noch lange nicht, dass die Wanderausrüstung im Keller verstauben muss. Im Gegenteil: Winterwandern bringt auch abseits von romantisch-verschneiten Wäldern und Wegen imposante Perspektiven und hat vielschichtige positive Auswirkungen auf unsere Gesundheit. Und wer jetzt noch nicht überzeugt ist, sollte sich eine der ältesten Wanderer-Regeln zu Herzen nehmen: Es gibt kein falsches Wetter, nur falsche Kleidung.