Fast jeder hat schon einmal Gewalt miterlebt. Ob in der Familie, auf der Straße, oder bei einem eigenen Wutausbruch, weil der Computer mal wieder nicht so will, wie man selbst. Anti-Gewalt-Trainer Ulrich Krämer hat Tipps, wie man mit Konflikten und Aggressionen am besten umgeht.
Wenn es um den Umgang mit Wut geht, kommt es immer auf den Auslöser dafür an. Es spielt etwa eine große Rolle, ob der Chef oder ein Kollege mich auf die Palme bringt.
Für zuhause gilt das genauso: Macht mich mein Computer verrückt, kann ich ihn an die Wand werfen (auch wenn ich das hinterher wahrscheinlich bereue) – mit meinem Partner sollte ich das nicht tun. Ein Kind, das mich ärgert, kann ich auffordern, sich in sein Zimmer zurückzuziehen, ein Fremder auf der Straße wird es nicht akzeptieren, wenn ich ihn auffordere, zu gehen.
Ich persönlich habe zum Beispiel mit meiner Frau eine Regelung: Wenn sich einer von uns über ein Kind so aufregt, dass er nicht mehr kann, übernimmt der Andere. So kann man der Situation erstmal entfliehen, wieder runterkommen und tut nichts unüberlegtes.
Jeder löst Konflikte anders – Manche können reden, manche nicht
Ein weiteres Problem kann entstehen, wenn zwei Menschen eine unterschiedliche Methode haben, mit Konflikten umzugehen. Das vielleicht klassischste Beispiel: Sie will direkt reden und den Konflikt ins Reine bringen und er sagt, er kann nicht, und geht.
Hier ist wichtig: Wahrscheinlich kann er wirklich nicht. Ich kenne das von mir selbst, dass ich erst einmal runterkommen muss, bevor ich weiter über das Streitthema sprechen kann. Es nützt dann überhaupt nichts, wenn derjenige, der reden möchte, den anderen versucht, zu drängeln. Damit das nicht dauerhaft zu noch mehr Konflikten führt, versuche einmal folgendes:
Wenn du und jemand anders eine andere Zeitspanne zur Konfliktlösung benötigst, sprich mit ihm / ihr darüber. Tatsache ist: Derjenige, der eher sprechen will, muss warten! Wenn du derjenige bist, der warten muss, führe sich immer wieder vor Augen, dass der andere dich nicht warten lässt, um dich zu ärgern oder zu verletzen. Er braucht einfach Zeit, damit er sich wieder in Ruhe mit dir zusammensetzen kann.
Gewalt in der Familie
Wenn ich häusliche Gewalt miterlebe, entweder als Beobachter oder sogar als Opfer, dann MUSS ich mir die Frage stellen, ob das Zusammenleben mit der gewalttätigen Person wirklich noch eine Option ist.
Man erlebt es leider viel zu häufig, dass beispielsweise Frauen bei ihren gewalttätigen Männern bleiben, vielleicht aus Angst, vielleicht “wegen der schönen Zeiten”. Egal was der Grund für die Gewalttätigkeit ist, Jobverlust, Stress auf der Arbeit etc. – ich kann verstehen, warum mein Partner so handelt, aber ich muss und darf es nicht akzeptieren.
Es gibt eigentlich nur einen Weg, wie eine solche Situation sich dauerhaft für beide Seiten verbessern kann: Durch eine Therapie. Leider sind vor allem Männer hier häufig nicht zugänglich, da sie manchmal einen gewissen “Neandertaler-Modus” haben und denken, sie wären keine richtigen Männer, wenn sie eine Therapie machen.
Das ist völliger Quatsch. Wer seine Familie behalten möchte, der muss über den eigenen Schatten springen und vielleicht auch etwas auf sich nehmen, an dem er eine Weile zu knacken hat.
Wenn du häusliche Gewalt erlebst, ziehe eine Grenze. Setze ein Ultimatum: “Wenn das noch einmal geschieht, gehe ich”. Das ist nicht leicht, aber notwendig. Vielleicht unterzieht sich dein Partner ja dann der Therapie, die das Problem löst. Wenn nicht, handelst du konsequent. Drohungen, die nicht durchgeführt werden, nützen niemandem.
Sollte ich eingreifen, wenn ich Gewalt beobachte?
Es kommt – wie immer – auf die konkrete Situation an. Wann du eigentlich immer eingreifen kannst, ist wenn du Gewalt in deinem Bekanntenkreis erlebst.
Wichtig ist aber, dass du keine Verhaltensänderung bei jemandem herbeiführen kannst. Du kannst Ratschläge geben oder auch jemanden begleiten, der sich ändern möchte. Der erkannt hat: Nicht diejenigen, die mich provozieren sind das Problem, sondern ich bin es, weil ich mich provozieren lasse. Beispielsweise:
- Behandelt etwa ein Freund seine Partnerin schlecht, kannst du ihn darauf hinweisen: “Hey, so geht das nicht. Wenn du mich so behandeln würdest, wären wir nicht mehr befreundet. Wenn du so weitermachst, wird sie irgendwann gehen.”
- Wenn du selbst der Auslöser für eine Aggression bist, kannst du zwar dein Verhalten ändern, das ist aber eigentlich nicht der richtige Ansatz
- Wenn du erlebest, dass andere die reizbare Person absichtlich provozieren, kannst du versuchen, einzuschreiten.
Schwieriger ist das bei Gewalt in der Öffentlichkeit. Hier die wichtigsten Regeln und Verhaltensweisen, wenn du Zeuge einer gewalttätigen Auseinandersetzung wirst:
- Reagiere! Unbeteiligt daneben stehen oder zugucken ist keine Alternative!
- Achte unbedingt auf deine eigene Sicherheit. Gehe nicht körperlich in eine Auseinandersetzung hinein, bleib in einem sicheren Abstand und beobachte!
- Hole Hilfe! Rufe die Polizei oder hole andere Personen hinzu, die dir vielleicht auch körperlich überlegen sind und mehr Eindruck machen!
Präsenz zeigen. Verbal auf die Situation einwirken, auf die Polizei verweisen etc. Noch einmal: Nicht selbst körperlich dazwischen gehen und auf gar keinen Fall den Täter angreifen! Wenn du selbstsicher wirkst, kann dies die Täter abschrecken. - Eine Methode, die ich schon mehrmals angewendet habe, aber nicht für jeden zu empfehlen ist: Schnappe dir sich das Opfer, und schreie das Opfer an, wieso es denn provoziert usw. Im ersten Moment wird der Täter verwundert sein, was los ist, und du kannst das Opfer aus der Gefahrenzone ziehen. Dazu musst du aber selbst eine hohe Präsenz und Selbstsicherheit ausstrahlen und vor allem den Tatort mit dem Opfer schnell verlassen, bevor der Täter realisiert, was du tust! Eine respekt-einflößende Statur hilft da natürlich (ich selbst bin 1,90m groß), aber auch Selbstsicherheit bewirkt viel und – im Fall von Frauen – haben viele Männer auch eine höhere Hemmschwelle, gegen eine Frau handgreiflich zu werden. Riskiere aber nichts. Denke daran: Eigenschutz geht vor!