Greenpeace hat einen neuen Ratgeber über “Essen ohne Pestizide” veröffentlicht. Ein evidero-Gespräch mit dem Greenpeace-Chemieexperten Manfred Santen bestätigt, dass eine pestizidfreie Ernährung mit konventionellem Obst und Gemüse kaum möglich ist.
Ende März hat Greenpeace den neuen Ratgeber Essen ohne Pestizide herausgebracht. Die gute Nachricht vorweg: Auch in den vergangenen zwei Jahren ist keine einzige Bio-Frucht in Deutschland mit Pestizid-Rückständen gefunden worden. Die schlechte ist, dass acht von zehn Früchten konventioneller Produzenten mit Pestizid-Rückständen belastet waren. Die gefundenen Giftmengen sind in den meisten Fällen zwar weder tödlich noch gesundheitsschädlich – förderlich für Gesundheit und Umwelt sind sie aber nachweislich nicht. Im Interview mit dem Chemieexperten Manfred Santen von Greenpeace geht Janine Otto der Frage nach, wie man sich am gesündesten ernähren kann.
Greenpeace hat den neuen Ratgeber: „Essen ohne Pestizide“ herausgebracht. Können Sie kurz beschreiben, worum es da geht?
Wir fahren die Kampagne „Essen ohne Pestizide“ schon seit 2003 und sind mit unterschiedlichen Pestizidtests an die Öffentlichkeit gegangen. Das Fazit: Die Belastungen sind uns viel zu hoch! Ebenfalls geben wir Tipps, wo und welches Gemüse man am besten kaufen kann, um pestizidfrei auch konventionelle Produkte kaufen zu können.
Sie haben in einer Tabelle dargestellt, welches Obst und Gemüse man unbedenklich essen kann – und welches nicht. Das Erschreckende ist, dass jedes Gemüse aus konventioneller Herstellung belastet zu sein scheint.
Wir bewerten nach verschiedenen Kriterien. Zunächst muss man sagen, dass ungefähr 80 Prozent des verkauften Obstes mit Pestiziden verunreinigt sind. Bei Gemüse sieht es ein wenig besser aus – da sind es ungefähr 60 Prozent.
Danach haben wir untersucht, ob gesundheitsschädliche Konzentrationen oder gesundheitlich bedenkliche Konzentrationen vorliegen. So stellen wir fest, dass in Deutschland oder der EU angebaute Produkte relativ sauber sind – im Vergleich mit dem, was aus Übersee herein kommt – oder aus der Türkei beispielsweise.
Abschließend haben wir ein weiteres recht strenges Bewertungskriterium angewandt. Es legt darauf Wert, dass wir Obst und Gemüse aussortieren, das aus unserer Sicht aus vorbeugenden Gründen nicht gekauft werden soll. Hierdurch ergibt sich die Liste: Was in der grünen Spalte steht, ist wirklich zu empfehlen. Alles, was in der gelben Spalte steht, ist in Grenzen belastet. Die Früchte in der roten Spalte sind stark belastet – nicht unbedingt gesundheitlich bedenklich, aber aus unserer Sicht könnte man auf Obst und Gemüse aus anderen Ländern zurückgreifen. Das wäre eine bessere Wahl.
Ihre Daten beruhen unter anderem auf dem Pestizidreport NRW. Ein Ergebnis daraus ist, dass 20 Prozent der Äpfel aus Österreich mit Pestiziden belastet sind und 100 Prozent aller Äpfel, die aus den Niederlanden stammen. Niederländische Äpfel stehen jedoch in der Greenpeace-Liste in der gelben Kategorie, während die österreichischen rot gekennzeichnet sind. Wie kann das kommen?
Die Äpfel aus Österreich schneiden bei uns in der Tat besser ab als die niederländischen Äpfel. Österreich hat einfach nach unseren Bewertungskriterien mehr mit Rot bewertete Proben. Wir mussten irgendwo einen Strich ziehen, ab wann das gesamte Kollektiv „Äpfel aus Österreich“ negativ bewertet wird und wann nicht. Im Fall von Holland ist die Anzahl für eine rote Bewertung noch nicht erreicht worden. Da hat Holland wohl Glück gehabt.
Wenn man sich auf den Pestizidreport NRW bezieht, würde man jedoch eher sagen: Bitte Vorsicht bei holländischem Obst und Gemüse!
Das ist auch völlig in Ordnung. Unsere Erfahrung ist, dass die Anbaubedingungen in diesem Land besser geworden sind. Alles, was dort unter Glas angebaut wird, wird häufiger mit nicht-chemischen Methoden bearbeitet – mehr als früher. Dort ist schon ein bisschen Fortschritt zu erkennen. Daher verteufeln wir sie auch nicht mehr ganz so stark.
Für Menschen in NRW gehören Belgien und die Niederlande eher zur eigenen Region – so wie Bayern Österreich zur Region zählen kann. Stimmt da noch Ihr Ratschlag, es sei besser „regional und saisonal“ einzukaufen?
„Regional gleich erste Wahl“, das sagen wir ja auch fast immer gerne. Das ist jedoch mit Vorsicht zu genießen, denn nicht alles, was regional angebaut wird, ist auch gut. Es kommt auf den einzelnen Produzenten an und auf klimatische Bedingungen. Wenn man etwa an Beerenobst denkt, kann der konventionelle Bauer mal Pech mit dem Wetter haben und muss Fungizide spritzen. Das kann durchaus passieren. Daher bleibt einem nur der Rat: Bio ist immer besser! Das ist einfach generell so. Am Schönsten ist es, wenn man weiß, welcher Gemüsebauer wo, was, wann, wie angebaut hat.
Also einfach als Verbraucher aktiv den Kontakt zum Bauern aufbauen und mal genau fragen: “Woher kommt eigentlich mein Essen?”
Ja! Und wenn ich in der Stadt wohne, kann ich in einen kleinen Laden gehen und dort einfach mal nachfragen, wo z.B. die Weintrauben herstammen: Aus welcher Region? Wie wurden sie angebaut? Kann man sicher sein, dass keine Pestizide gespritzt wurden?
Sie haben in Ihrem Report nur über die Handelsketten gesprochen. Allerdings schneiden Wochenmärkte und kleine Läden, die ihre Waren vom Großmarkt beziehen, in uns vorliegenden Ergebnissen nicht viel besser ab als Supermarktketten.
Das ist leider so. Das Problem ist, dass wir uns nicht in der Lage sehen, darauf differenzierter einzugehen. Wir haben keine detaillierte Informationen über die Probenentnahme bekommen. Wir wissen nur, ob die Untersuchung im Großmarkt, Einzelhandel oder auf dem Wochenmarkt stattgefunden hat.
Es gibt aber noch ein anderes Problem: Wir geben immer genau an, in welchem Supermarkt wir einkaufen. Eine Handelskette kann ein schlechtes Ergebnis wegstecken – und etwas zur Besserung beitragen. Wenn Greenpeace jedoch einen Obsthändler auf einem Wochenmarkt anklagt, er verkaufe verunreinigtes Obst und Gemüse, dann bekommt dieser ein ganz anderes Problem als das, was wir möchten. Für diese Händler ist uns bisher nicht die richtige Überwachungs- und Überprüfungsmethode eingefallen.
Der Einkauf von Bio-Obst und Gemüse und der Kontakt zu den Bauern sind also wirklich die einzigen Wege, um sicher zu stellen, dass die Lebensmittel ohne Pestizidrückstände sind. Herr Santen, herzlichen Dank für das Gespräch.
Weitere Informationen zum Thema finden Sie auch bei Greenpeace.
Die Fragen stellte: Janine Otto