2010 war Bangladesch Deutschlands drittgrößter Lieferant von Billig-Kleidung. Im evidero-Interview erörtert Khorshed Alam, Verfasser der Studie „Im Visier: Discounter“, wie die Lebensbedingungen für die Arbeiter sind.
Kleidung zu Cent-Preisen bei Aldi, Lidl und Kik: Ein großer Teil davon kommt aus Bangladesch, Deutschlands drittgrößtem Importpartner von Kleidung im Jahr 2010. Die Herstellungsbedingungen in dem südasiatischen Staat, der zu den ärmsten der Welt zählt, wurden schon in der Vergangenheit heftig kritisiert. Eine aktuelle Studie hat sich nun der Frage gewidmet, ob die Kritik Verbesserungen bewirkt hat. In Auftrag gegeben wurde die Recherche von der Organisation „Kampagne für Saubere Kleidung“ (Clean Clothes Campaign – CCC). Durchgeführt hat sie der Bengale Khorshed Alam. Er leitet das Institut AMRF (Alternative Movement for Resources and Freedom Society) und setzt sich für bessere Arbeitsbedingungen in seinem Heimatland ein. Annette Bonse traf Khorshed Alam auf seiner Informationsreise durch Deutschland.
Im Januar dieses Jahres ist die von Ihnen durchgeführte Studie „Im Visier: Discounter“ herausgekommen. Gemeinsam mit Ihrem Forscherteam haben Sie 162 ArbeiterInnen aus 10 Bekleidungsfabriken interviewt, die u.a. für Aldi, Lidl und Kik produzieren. Auf was für Schwierigkeiten sind Sie bei der Durchführung Ihrer Untersuchung gestoßen?
Es stellte sich als relativ kompliziert heraus, ArbeiterInnen zu finden, die sich bereit erklärten, mit uns zu reden. Das lag zum einen an ihrer zeitlichen Einschränkung: Die meisten müssen 6 Tage die Woche ca. 14 bis 16 Stunden täglich in den Fabriken arbeiten. Vielen fehlten schlicht die Zeit, der Wille und die Kraft, um mit uns zu reden. Teilweise passten wir sie deshalb in ihren Mittagspausen ab, um kurz mit ihnen sprechen zu können. Außerdem wurde vielen ArbeiterInnen mit Misshandlung oder Arbeitsplatzverlust gedroht, sollten Sie Informationen über ihre Fabrik preisgeben. In einer Fabrik, einem Aldi-Lieferanten, wurden die Interviewten vom Management so massiv unter Druck gesetzt, dass wir die Befragung abbrechen mussten, um die Sicherheit und den Arbeitsplatz der Betroffenen nicht zu gefährden.
Was konnten Sie in den übrigen 10 Fabriken über den Arbeitsalltag der ArbeiterInnen in Erfahrung bringen?
Allen Fabriken gemeinsam ist der viel zu geringe Lohn, der den Näherinnen ausgezahlt wird. Er beträgt in den meisten Fällen lediglich um die 30 Euro monatlich. Das reicht bei Weitem nicht: Im durchschnittlichen Haushalt der Interviewten leben 4 Personen gemeinsam, die mindestens 120 Euro für ihre existenzsichernde Grundversorgung bräuchten. Unterversorgung und Mangelernährung sind deswegen sehr verbreitet. Ein weiteres großes Problem sind die massiven Überstunden, die die Frauen und Männer leisten müssen. Diese Überstunden sind nicht freiwillig sondern werden ihnen aufgezwungen und in den meisten Fällen nicht oder nur geringfügig ausgezahlt. Gerade die weiblichen Angestellten berichteten außerdem häufig von Misshandlung und Gewalt durch die Vorgesetzten. Verbale und sexuelle Übergriffe sind keine Seltenheit. Näherinnen berichteten, regelmäßig von ihren Vorarbeiterinnen geschlagen zu werden und dass ihnen oft selbst der Toilettengang verweigert wird.
Seit dem Jahr 2007 konfrontiert die „Kampagne für saubere Kleidung“ Aldi, Lidl und Kik mit Menschenrechtsverletzungen bei ihren Textillieferanten. Seither haben die deutschen Discounter zumindest offiziell einige Schritte hin zu mehr Social Responsability vorgenommen: Alle drei nur Lidl und Aldi, KiK nicht! sind beispielsweise dem Unternehmensverband Business Social Compliance Initiative (BSCI) beigetreten, der die Einhaltung von grundlegenden Sozialstandards bei seinen Zulieferern anstrebt. Konnten Sie Anzeichen dafür finden, dass diese „Verpflichtung auf dem Papier“ sich zumindest in Ansätzen auf die Arbeitsbedingungen in Bangladesch ausgewirkt hat?
Das Hauptergebnis unserer Untersuchung ist, dass sich an den unmenschlichen Arbeitsbedingungen in den Fabriken im Wesentlichen nichts geändert hat. Lidl und Kik lassen zwar inzwischen bei einigen Produzenten Schulungen zur Verbesserung der Sozialstandards durchführen – diese richten sich jedoch größtenteils nur an das Management. Einige Näherinnen berichteten unserem Team außerdem, dass ihnen die Teilnahme an den Schulungen außerhalb der regulären Arbeitszeit regelrecht „aufgezwungen“ wurde. Auch so genannte „Social Audits“ (ein Auftraggeber schickt externe Kontrolleure in ein Werk um die sozialen- und Arbeitsbedingungen zu überprüfen) werden oft regelrecht inszeniert: Tage vorher werden die Fabriken gelüftet und grundgereinigt. Die ArbeiterInnen einer Fabrik erzählten sogar, dass es vor externen Besuchen eine Art Generalprobe gab, während derer ihnen die vorgefertigten Antworten eingebläut wurden, die sie auf Nachfrage geben sollten. Was sich den Kontrolleuren bei ihren seltenen Besuchen präsentiert, entspricht also nicht der realen Arbeitssituation.
Was fordern Sie von den deutschen Discountern, die durch den auf ihre Produzenten ausgeübten Druck zur Billigstproduktion letztlich für diese Missstände mitverantwortlich sind?
Um den in der Bekleidungsindustrie arbeitenden Frauen und Männern in Bangladesch eine menschenwürdige Existenz zu gewährleisten, müssen an erster Stelle die Löhne erhöht werden. Des Weiteren muss dafür gesorgt werden, dass die gesetzlich vorgeschriebenen Rechte der ArbeiterInnen in der Realität durchgesetzt werden: Die bengalische Rechtsordnung enthält eine Vielzahl von Schutzmaßnahmen für Arbeitnehmende – das Problem liegt also nicht darin, dass diese Rechte nicht existieren, sondern dass sie in der Realität nicht angewendet werden. Wichtig ist dabei vor allem das Recht auf Rede- Versammlungs- und Organisationsfreiheit. Bislang haben die deutschen Discounter entweder gar keine Verantwortung übernommen oder sie (z.B. durch die Finanzierung von Trainings) auf ihre Produzenten abgeschoben. Doch als Auftraggeber sind sie diejenigen, die die Verantwortung dafür haben, dass jede/r an der Auftragskette beteiligte ArbeiterIn eine menschenwürdige Existenz führen kann.
Herr Alam, herzlichen Dank für das Gespräch.
Die Fragen stellte: Annette Bonse