Wir könnten mal mit dem Gegenteil anfangen. Unachtsamkeit. Das kennen wir alle schon eher. Wenn Dinge irgendwie an uns vorbei gegangen sind und wir eigentlich nicht richtig bei der Sache waren. Achtsamkeit ist das genaue Gegenteil davon. Wir sind der Gegenwart gewahr. Dessen, was gerade um uns herum geschieht.
Das klingt schön und gut. Es vertreibt die Sorgen von Morgen und das Leid von gestern. Nur wie komme ich da hin?
Achtsamkeit lernen durch Barfußlaufen
Die Atmung und das Beobachten dieser ist ein möglicher Weg. Man kann die Aufmerksamkeit dort hinlenken, das entschleunigt und beruhigt.
Die Fußsohle ist ein anderer. Gerade in unwegsamem Gelände wird jeder Schritt manchmal zur Herausforderung und somit muss ich mich ständig mit meinen Füßen auseinandersetzen. Zumindest im Hinterkopf, beziehungsweise Unterbewusstsein. Am Anfang aber auch im “Vorderkopf”. Meine Aufmerksamkeit liegt ganz auf meinen Füßen.
Das Fühlen ist anders als das Optische oder akustische Reize, viel unmittelbarer. Ich kann es nicht einfach abschalten oder verdrängen. Es macht uns langsamer, vorsichtiger, und bringt uns in direkten Kontakt nach unten, zur Erde, die uns trägt und uns anzieht.
Barfuß zu laufen kann uns erden und in Kontakt mit der Natur bringen
Mit Material unter dem Fuß kann dieser Kontakt nicht gefühlt werden, die Druckrezeptoren nehmen die Bodenreaktionskraft nur noch diffus wahr. Wie sollen wir uns um etwas kümmern, zu dem der Kontakt abgebrochen ist? Wir fühlen uns für diese Erde kaum noch verantwortlich, fühlen uns ja auch tatsächlich nicht von ihr getragen.
Achtsam mit seinen Füßen umzugehen kann ein Schritt sein, auch achtsamer mit der Erde umzugehen. Wir fühlen uns mehr als Teil von etwas und können aufhören, anzunehmen, die Welt drehe sich um uns selbst herum. Es bringt uns auf den Boden der Tatsachen, macht demütiger und bescheidener.
Barfuß spazieren gehen heißt Zeit fürs Leben nehmen
Warum ist Schnelligkeit für viele so wichtig? Am Ende wartet für jeden Einzelnen das Gleiche! Schnell dort hinzugelangen sollte doch nicht in unserem Interesse liegen. Noch eben etwas schnell zu erledigen führt nur zur nächsten Aufgabe.
Wir sollten uns Zeit fürs Leben nehmen. Erproben, erfühlen, innehalten. So, wie wir es bei den Kindern sehen. Diese sind von Natur aus achtsam. Sie halten an, sehen sich ein Blatt an und können Minuten damit verbringen, irgendetwas darin zu sehen. Wir Erwachsenen gemahnen sie dann zur Eile, statt uns ein Beispiel am Kind zu nehmen.
Wenn wir barfuß spazieren gehen, dann mit dem Herzen unseres inneren Kindes.
Achtsam mit sich selbst umgehen und Selbstliebe lernen am Beispiel der Füße
An unseren Füßen zeigt sich sehr deutlich und stellvertretend, was wir auch mit dem Rest von uns selbst anstellen. Wir befürchten, nicht richtig zu sein. Dass etwas nicht stimmt. Wir stellen kaum in Frage, wenn man uns erklärt, dass unsere Füße nicht gesund seien und dass wir durch Einlagen aus der Lage rauskommen könnten.
Wir streben in so vielen Sachen einer Selbstoptimierung entgegen. Möchten besser aussehen, dazu gehören. Wir übernehmen all zu schnell Ideale, wie etwas gerade zu sein hat. Auch wenn wir es kritisch hinterfragen, sind wir meist fest davon überzeugt, dass es unser freier Wille ist, dieses oder jenes hübsch oder hässlich zu finden.
In dem Gedanken unserer freien Entscheidung liegt aber die Misere, weil in Wirklichkeit nichts hübsch oder hässlich ist. Es ist reine Interpretation des Einzelnen und liegt bekanntlich im Auge des Betrachters. Es ist alles Teil von Einem und somit vollkommen.
Ich sage “es lebe die Vielfalt”. Als Teil eines großen Ganzen. Schau auf deine Füße und erfreu dich an ihrer Einzigartigkeit. Egal, wie weit sie von der “Norm” abweichen. Wenn du mit den Füßen anfängst, darf das irgendwann auch auf den Rest übergehen, ob du dick oder dünn, groß oder klein bist. Du bist in deiner Unvollkommenheit vollkommen und genau so richtig, wie du bist.
Wenn du dir selbst mit Liebe und einem Lächeln begegnest, wendest du dich dem Glück zu und dies ist der allerwichtigste Schritt Richtung Gesundheit. Glaube deinen eigenen Gedanken über dich kein Wort. Es sind nicht deine, sondern die der Gesellschaft. Wenn du dich ansiehst, dann mit dem Herzen.
Durch Barfußlaufen zur Inneren Mitte finden
Warum ständig so etwas Belangloses wie Barfußlaufen als Thema?
Als ich mich mal zum Austausch mit Emanuel Bohlander (Barefoot Academy) traf, waren die Attentate von Paris gerade geschehen. Wir beide wollten uns austauschen in Barfußdingen, kamen jedoch beide dazu, zu bemerken, wie belanglos das erschien, angesichts solcher Geschehnisse.
Und dennoch glaube ich, dass nicht barfuß zu laufen einen nur tiefer in die Geschehnisse außerhalb des eigenen Selbst bringt. Mit beiden Beinen satt im Leben stehen geht beschuht einfach nicht. Jeder herkömmliche Schuh hat einen andere Form und verändert die Statik. Wir entfernen uns aus unserer natürlichen Mitte.
Die Mitte ist aber das, was wir brauchen, um uns nicht von allem aus dem Weg fegen zu lassen. Satt mit den Füßen auf der Erde zu stehen heißt, sie anzuzapfen. Die sogenannte Bodenreaktionskraft spiegelt sich unter unseren Füßen genau so wie unser eigenes Gewicht sich auf der Erde darstellt. Mit Schuhen können wir das nicht fühlen.
Achtsamkeit heißt, sich nicht mit dem Verstand zu identifizieren
Wenn ich kein Gewicht habe, weil ich mich nicht gespiegelt fühle, dann kann ich nichts bewegen. Ich drifte weit nach oben ab, in den Kopf. Im schlimmsten Fall verwechsle ich mich selbst komplett mit meinem Verstand.
Dieser ist aber nur zum Lösen komplexer Sachverhalte und neuer Aufgaben nötig. Ein starkes Instrument und wunderbar, wenn er gut funktioniert. Er bleibt dennoch ein Instrument. Der Verstand ist in der Selbstkonditionierung ständig am plappern und behaupten und beurteilen. Das sind verselbständigte Sicherheitsmechanismen, die uns in der Kindheit, erst von außen, durch die Eltern, später durch uns selbst, häufig das Leben retteten. Man denke nur an rote Ampeln. Wenn wir einfach drüber liefen, würden wir bestraft. Später konnten wir das selber.
Aber das System läuft einfach immer weiter und erzählt uns etwas über Dinge oder Personen und urteilt und bestraft uns selbst, obwohl es vielleicht nur noch 10% mit der Realität zu tun hat. Es macht immer weiter. Immer weiter.
Durch Barfußlaufen im Hier und Jetzt sein
Für viele kann ein Waldspaziergang barfuß schon die Möglichkeit sein, wieder Kontakt zu den unteren Etagen unser Selbst zu kommen. Die vielen kleinen, zuerst als Nadelstiche wahrgenommen Piekser, werden irgendwann vertrauter. Wir massieren die Erde und die Erde uns. Wir sind direkt in der Fußsohle. Und wir ringen uns ein Lächeln ab.
Wenn wir aber im eigenen Körper ankommen, dann ist mal Pause, manchmal nur ganz kurz.
Wir merken, wir sind nicht in Gefahr. Alles ist gut. Hinter uns liegt hinter uns. Da liegt Schmerz. Vor uns liegt vor uns, da liegt Angst. Aber hier, an der Fußsohle, direkt jetzt, da liegt Ruhe.