Achtsamkeit ist zurzeit als Therapieform schwer angesagt. Vor mehr als 30 Jahren hat diesen Stein der Wissenschaftler Jon Kabat-Zinn ins Rollen gebracht, als er am Massachusetts University Hospital eine eigene Abteilung zur Stressreduzierung gründete. Er hat dabei seine Erfahrungen als Yogi und seiner regelmäßigen Meditationspraxis einfließen lassen. Heute gibt es zahlreiche wissenschaftlich anerkannte Therapieformen, wie zum Beispiel MBSR (Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion) und viele einfache modulare Achtsamkeitsübungen, deren Popularität wir ebenfalls seiner Arbeit zu verdanken haben.
Das bedeutet Achtsamkeit
Doch was heißt das eigentlich genau: achtsam sein? Wenn wir achtsam sind, dann versuchen wir, jeden Moment ganz bewusst wahrzunehmen ohne ihn zu bewerten. Wir lernen dann in jedem Augenblick ganz bei der Sache zu sein und uns mit dem, was wir gerade tun, zu verbinden. Damit verbinden wir uns mit uns selbst und erfahren Frieden und Gelassenheit.
“Achtsamkeit ist ein neuer Daseinszustand, eine neue Art, das Leben zu genießen und die Work-Life-Balance zu verbessern” – Zitat aus Patrizia Collard “Das kleine Buch der Achtsamkeit”
Der Nutzen der Achtsamkeitspraxis
Wer regelmäßig Achtsamkeitsübungen in sein Leben einbindet, der hat sowohl körperlich als auch mental einen dauerhaften Nutzen:
- Mehr Ruhe und Entspannung
- Mehr Energie und Lebensfreude
- Ein höheres Maß an Selbstvertrauen und -akzeptanz
- Geringere Anfälligkeit gegenüber Stress, Depression, Angst, chronischen Schmerzen, Suchtverhalten und Immunschwäche
- Mehr Mitgefühl mit sich selbst und anderen Menschen, aber auch mit der Umwelt
Wenn ihr trinkt, trinket nur, wenn ihr geht, gehet nur (Zen-Empfehlung)
Achtsamkeitstraining bewirkt wohlwollende Akzeptanz der Gegenwart
Trotz großer Hoffnungen in das Konzept der Achtsamkeit als Therapieform dürfen wir nicht vergessen, dass die beim Achtsamkeitstraining gewonnene Fertigkeit nicht alle Leiden heilt. So lernen wir dabei vor allem den Umgang mit Krankheit und Schmerz, mit Schmerzen sogar (unter Umständen) zu leben, ohne dagegen ständig anzukämpfen.
So führt die Umlenkung unserer Aufmerksamkeit weg von der schmerzenden Schulter hin zu unserem Atem oder den Geräuschen unserer Umgebung zu einer Verlagerung der gedanklichen Wahrnehmung. Wenn wir uns auf die Geräusche unserer Umgebung konzentrieren, können wir nicht gleichzeitig und genauso intensiv den Schmerz der Schulter wahrnehmen.
Dem menschlichen Geist ist das gleichzeitige Wahrnehmen aller Reize einfach nicht möglich. Zwar wird der Schmerz womöglich nicht direkt verschwinden, aber anders wahrgenommen, in etwa wie ein Hintergrundgeräusch. Wenn wir dieses Hintergrundgeräusch akzeptieren, können wir damit sehr wohl besser leben.
Unsere Gedanken verändern die Wahrnehmung unserer Wirklichkeit
Matthieu Ricard, ein buddhistischer Mönch und Doktor der Biologie, gilt als “glücklichster Mensch auf Erden”. Die regelmäßige Achtsamkeitspraxis hat seine Biochemie verändert. Die Amygdala seines Gehirns, die maßgeblich an der Entstehung von Angst beteiligt ist, ist bei ihm bedeutend kleiner als bei anderen Menschen. Bei plötzlichen lauten Geräuschen in seinem Umfeld zuckt er nicht einmal mit der Wimper. Die Übung von Achtsamkeit verändert also unser Gehirn und damit unsere Wahrnehmung und unsere Gedanken.
Die Beobachtung des Atems ähnelt der Zähmung eines Wildpferds: Man möchte es bändigen, ohne es zu brechen – Zitat entnommen aus Patrizia Collard “Das kleine Buch der Achtsamkeit”
Die 3 besten Achtsamkeitsübungen für Einsteiger
Patrizia Collard hat in ihrem Ratgeber “Das kleine Buch vom achtsamen Leben” viele einfache Achtsamkeitsübungen für den Alltag ihrer Leser zusammengestellt und dabei sinnvoll gegliedert: Ob es darum geht, im Hier und Jetzt weilen zu können, die Akzeptanz zu stärken, die Entscheidungsfähigkeit zu beeinflussen, achtsamer zu essen oder Dankbarkeit und Mitgefühl zu entwickeln – je nach Bedürfnis und Neigung kann sich der Leser des Ratgebers seine Übungen selbst zusammenstellen.
Ein Ausschnitt aus dem Buch: Drei Achtsamkeitsübungen, mit denen du in nur zehn Minuten täglich entspannter wirst
1. Akzeptanz – Des Atems gewahr sein
Nimm in ruhiger Atmosphäre Platz. Du kannst auch auf einem Stuhl oder auf dem Fußboden sitzen oder auch den Rücken an die Wand lehnen. Lege dir einen Schal oder eine dünne Decke um, damit dir nicht kalt wird. Vielleicht möchtest du dir eine Kerze anzünden?
Fokussiere dich auf die Stellen, mit denen dein Körper Kontakt mit der Sitzfläche hat. Gehe dieser Empfindung nach; spüre einfach in deinen Körper hinein und lasse ihn von sich aus atmen.
Richte deine Aufmerksamkeit auf den Brust- und Bauchbereich, spüre, wie er sich beim Einatmen leicht aufrichtet und beim Ausatmen absenkt.
Vielleicht geht dein Geist auf Wanderschaft – denkt, träumt, plant oder erinnert – und verliert den Kontakt zu deinem Atem, aber das ist in Ordnung. Nimm einfach wahr, wovon er abgelenkt wird, und richte deine Aufmerksamkeit dann wieder auf deinen Bauch und das Gefühl des Atems.
Festzustellen, dass der Geist abschweift, und ihn auf den Atem zurückzulenken, ist von genauso großem Wert wie die Beobachtung des Atems selbst. Schließlich lässt sich das Umherwandern des Geistes nur mit Achtsamkeit überhaupt wahrnehmen.
Tipp: Führe diese Übung probeweise zu verschiedenen Tageszeiten aus; eine mag für dich besser geeignet sein als die anderen!
2. Entscheidung – Achtsam gehen und das Wunder der ziellosen Fortbewegung erfahren
Mithilfe dieser alten Geh-Meditation lernen wir die absichtslose Fortbewegung. Du kannst die Übung im Haus oder in der Natur durchführen, wo immer du sich sicher und beschützt fühlst und über nichts stolpern kannst. Ideal wäre ein privater Garten, so klein er auch sein mag. Du musst nur etwa immer zehn Schritte in eine Richtung gehen.
Stell dich zunächst aufrecht hin und setze die Füße hüftbreit auseinander, stabil im Boden verankert. Mache dich mit dem Schauplatz der Geh-Übung vertraut. Schaue geradeaus.
Dann hebe langsam den rechten Fuß an. Spüre, wie sich die Ferse vom Boden hebt und dein Gewicht sich auf das linke Bein und den linken Fuß verlagert. Sobald der rechte Fuß angehoben ist, nimm ihn bewusst wahr, wie er sich langsam vorschiebt, und setze ihn genau in Schrittweite wieder auf. Während du das tust, achte auf den linken Fuß, der sich allmählich vom Boden hebt, wobei sich dein Gewicht wieder auf das rechte Bein verlagert.
Deine Bewegungen sind so langsam, dass du womöglich etwas ins Schwanken gerätst. Da kann die Vorstellung hilfreich sein, du würdest zum Beispiel über einen Strand laufen und tiefe Fußabdrücke im Sand hinterlassen. Deine ganze Achtsamkeit gilt dem schrittweisen Anheben, Vorschieben und Aufsetzen der Füße und der Verlagerung des Körpergewichts von einer auf die andere Seite.
Nachdem du etwa zehn Schritte in eine Richtung gegangen bist, drehst du dich ganz allmählich um. Achte dabei auf die langsame Drehbewegung deiner Hüfte. Bleibe erst noch einen Moment achtsam im Boden verwurzelt stehen, bevor du zur nächsten Schrittfolge ansetzt.
Wahrscheinlich fühlst du dich mit jedem Durchgang geerdeter und sicherer, aber das ist nicht bei jedem so. Versuche, die Übung mit der Offenheit und Neugier eines Kindes durchzuführen. Denn ist es nicht wirklich ein Wunder, dass der Körper immer genau weiß, was er zu tun hat?
3. Dankbarkeit und Mitgefühl für sich selbst entwickeln: Das große “I”
Mitgefühl sich selbst gegenüber ist, wenn man so will, das Yin zum Yang der Achtsamkeit. Sollten wir einmal nicht achtsam sein können, müssen wir Mitgefühl für uns aufbringen, und Achtsamkeit brauchen wir, um unsere Selbstkritik und die Vorwürfe, die wir uns machen, beobachten zu können.
Auf ein Din-A4-Blatt schreibst du nun ein großes “I”: es symbolisiert dich in deiner Gesamtheit – mit allem, was du je getan hast, alle Aspekte von dir, deine speziellen Talente, etc.
Von nun an schreibst du, wann immer dir etwas einfällt, eine Woche lang neben das große I in zwei anderen Farben kleinere “i” – eine Farbe ist den Dingen vorbehalten, die du an dir magst, eine andere verwendest du, um alles aufzuschreiben, von dem du das Gefühl hast, du könntest es verbessern oder müsstest es erst noch akzeptieren. Ich zum Beispiel könnte ich grün schreiben “ist gern in der Natur”, “hört gerne Musik”. Rot notieren würde ich dagegen “geduldiger werden” oder “Ansprüche senken”.
Tatsächlich vor Augen zu haben, dass jeder von uns die Summe verschiedenster Verhaltensweisen und Eigenschaften ist, tut richtig gut. Denn niemand ist ein kompletter Versager – rundum perfekt ist aber auch keiner.
Zu erkennen und zu akzeptieren, dass wir alle nur Menschen sind, ist Voraussetzung für Veränderungen
Patrizia Collard: Ein praktisches Buch mit den besten Achtsamkeitsübungen für ein entspanntes Leben
Ja … wie schön wäre es, einfach ganz entspannt im Hier und Jetzt zu leben. Das endlose Gedankenkarussell für einen Moment anzuhalten und der Hektik des Alltags zu entkommen.
Wie schon die drei einfachen Übungen zeigen, müssen wir dafür nicht stundenlang auf dem Meditationskissen sitzen: Die vielen kurzen und einfachen Achtsamkeitsübungen im Buch von Patrizia Collard führen uns in Minutenschnelle zu innerer Klarheit, Gelassenheit und Ruhe.
In unserem Blog “OMlinemagazin” stellt evidero Autorin Annette Coumont Themen und Trends rund um Achtsamkeit, Yoga und ein bewusstes Leben vor. Wir zeigen euch, wie Achtsamkeit im Alltag, in der Familie, im Job, bei der Ernährung, in der Therapie oder beim Konsum konkret aussehen kann.