Ein Interview mit Valentin Thurn zur Fachkonferenz des BMEV zum Thema “Lebensmittelverschwendung und Wegwerf-Mentalität” über Lebensmittelverschwendung.
Die Hälfte aller Lebensmittel wandert nicht auf den Teller, sondern direkt in die Tonne. Das weiß fast jeder, seit der Film von Valentin Thurn „Taste the Waste“ im Fernsehen und Kino lief und ein großes Echo auslöste.
Ein halbes Jahr später reagiert nun das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV): mit einer Studie, einem Video, einer Konferenz und einem Verbraucher-Aufklärungs-Flyer zum Thema Mindesthaltbarkeitsdatum. Janine Otto sprach mit dem Filmautor Valentin Thurn über seine Erwartungen, Hoffnungen und Lösungen
Am 27. März 2012 findet eine Fachkonferenz des BMELV zum Thema “Lebensmittelverschwendung und Wegwerf-Mentalität” statt. Was erwarten Sie von ihr?
Zu dieser Konferenz bin ich eingeladen worden. Zunächst einmal bin ich sehr erfreut darüber, dass wir durch den Film einiges angestoßen haben. Als wir zum Beispiel mit dem Film begonnen hatten, gab es keine Studie über Müll. Diese wurde nun innerhalb weniger Monate erstellt – und ist in einigen Teilen sehr unscharf.
So ist der Bereich Landwirtschaft ganz rausgelassen worden. Das führt dazu, dass die Studie sagt, für 60 Prozent des Mülls sei der Verbraucher verantwortlich. Das ist ein verzerrtes Bild. In Nachbarstaaten wurden ähnliche Studien durchgeführt – inklusive Landwirtschaft – und diese kamen auf einen Verbraucheranteil von 40–50 Prozent.
Ich finde es sehr wichtig, dass da keiner dem anderen den Schwarzen Peter zuschiebt, sondern jeder an seiner Stelle die Verantwortung übernimmt. Die Industrieverbände machen das ganz gerne: „Bei uns wird nichts weggeworfen!“. Der Bauernverband sagt: „Ne, wir doch nicht!“, und der Handelsverband: „Ne, bei uns doch nicht!“ So kommen wir nicht weiter.
Sind Sie denn auf der Fachkonferenz auch anwesend? Hinter dem Termin steht in ihrem öffentlichen Kalender ein Fragezeichen.
Ja. Grundsätzlich finde ich es gut, dass so was gemacht wird und dass über das Haltbarkeitsdatum informiert wird. Ich denke aber Vieles ist dort halbherzig: Man müsste den Handel und die Lebensmittelindustrie mit härteren Bandagen angehen. Statt mit Flyern müsste man auf dem Produkt die Verbraucher informieren. Da hoffe ich auf Einsicht in der Zukunft.
Nach dem großen Echo auf ihren Film „Taste the Waste” scheint endlich Bewegung in die Müllberge zu kommen. Viele Verbraucher wissen nun, dass das „Mindesthaltbarkeitsdatum” kein Wegwerfdatum ist. Viele, die es wissen, werfen trotzdem Lebensmittel weiter weg – da sie durch das Datum ein schlechtes Gefühl haben. Was muss passieren, damit mehr Leute das offensichtlich Vernünftige tun?
Es geht mehr als nur um das Wissen eines Datums. Das hat etwas mit einem „Qualitätsbewusstsein“ zu tun. Wir haben eine große Kochaktion mit vielen Köchen in Mainz gemacht. Wenn die auf der Straße stehen, haben die einen gewissen Bonus an Glaubwürdigkeit. Denen traut man zu, dass sie gutes und schlechtes Essen unterscheiden können.
Es gibt ja auch genug Kochshows, weil die Leute sich nicht mehr das Beurteilen zutrauen. Und das ist das eigentliche Problem: Die Menschen in der Stadt können nicht mehr zwischen Gut und Schlecht unterscheiden. Und wer nicht unterscheiden kann, nimmt Krücken: Es muss alles perfekt aussehen oder ein Datum haben. Das sorgt letztendlich für den Müll.
Was halten Sie von der neuen Kampagne „Zu gut für die Tonne“? Glauben Sie nicht, dass dadurch die verwurzelten Gewohnheiten ein klein wenig verändert werden können?
Nein, das glaube ich eben nicht. Kochkurse in Schulen – das ginge. Man müsste das Übel an der Wurzel anpacken, damit Leute sich nicht trauen etwas wegzuwerfen, das eigentlich gut ist. Wenn sie wüssten, was Gut und Schlecht ist, dann würden sie es nicht tun. Ein Flyer allein genügt da nicht. Das Ganze ist ein Teil der Esskultur, der viel tiefer geht.
Vor Kurzem forderten Sie in einem Interview: „Mehr Mut zu hässlichem Gemüse.“ Die Bundesministerin Aigner hat vor ein paar Tage bekräftigt, sie wolle sich in der EU weiter für die Abschaffung der Vermarkungsnormen einsetzen. Wollen sie beide an dieser Stelle nicht das Selbe?
Im Prinzip meinen wir da schon das Selbe. Die EU-Nomen betreffen ja nur noch die 10 häufigsten gehandelten Produkte. Mit der Abschaffung ist es jedoch noch längst nicht getan, wie die Vergangenheit zeigt. Die EU sagt: „Okay, ihr dürft krumme Gurken verkaufen“, aber der Handel sagt, „Nein, die wollen wir aber nicht! Die passen nicht in unsere Kisten.“ So kann es bei anderen Produkten auch laufen.
Darüber hinaus müssen Aktionen stattfinden, um die Ernährungsbildung zu fördern, damit ein Verbraucher sagt: „Ein Apfel mit einem Schorffleck, der gut riecht, warum sollte man den nicht auch gut essen können?“ Oder bei einer Banane mit braunen Flecken: „Die ist jetzt richtig – jetzt ist sie reif.“ Im Film hatte Veronique, unsere afrikanische Tafelmitarbeiterin, einen schönen Spruch: „Mensch, ihr Europäer esst immer so unreifes Obst – da bekommt man doch einen schlechten Magen von! Wie könnt ihr nur?“ Natürlich: das Auge isst mit, aber man kann die Stellen, die einem nicht gefallen, wegschneiden.
Welche weiteren Vorschläge haben Sie, wie man der Lebensmittelverschwendung ein Ende setzen könnte
Definitiv ist die Entfernung zwischen uns und den Landwirten zu groß geworden. Es hilft alles, was uns wieder näher zusammen bringt. Sei es eine Kooperative, wie die solidarische Landwirtschaft, in denen sich Verbraucher zusammenschließen und direkt Verträge mit Landwirten eingehen, oder ein Schulpraktikum.
Zum Kinostart hatten wir einige Ernteaktionen gemacht bei denen die Bauern den Kindern viel gezeigt haben. Was ist eigentlich so ein Blumenkohl? Wie wächst der? Wie sieht der in der Natur aus? Die meisten kennen den ja nur noch als Produkt – wenn überhaupt. Das ist ein großer Aha-Effekt. Alle haben viel Spaß dabei gehabt und bekommen eine ganz andere Achtung davor – durch persönliche Erfahrungen. Essen ist ja mehr, als nur ein Mittel zu Nahrungsaufnahme. Es ist die Basis unseres Lebens.
Herzlichen Dank für dieses Gespräch.