Insektivorismus, eine Ernährung mit Insekten, kann auch eine sinnvolle Ernährung darstellen – auch wenn Europäer dafür erst ihren Ekel überwinden müssen.
Immer wieder faszinieren mich die raschelnden und zirpenden Insekten und Larven, die die Zooabteilungen der Gartenmärkte anbieten. Als Futter für Fische und Reptilien freilich. Aber vielleicht ja auch bald für den Menschen. Insekten sind die wahren Herrscher der Erde, so heißt es – und so ist es auch. Da muss sich auch der Mensch als vermeintliche überlegene Spezies nichts vormachen. In ihrer schieren Anzahl und ihrer Biomasse sind die Insekten den Säugetieren um ein Vielfaches überlegen. Wenn erst die Meere leergefischt sind, die Futtermittelverschwendung für Rind, Schwein und Huhn nicht mehr tragbar ist, und nicht jeder Vegetarier werden will, dann bleibt eigentlich nur noch eine Option: Der Insektivorismus, die Entomophagie, die Ernährung mit Insekten.
Die Dauer-Trashsendung Dschungelcamp spielt gekonnt mit dem Ekel, der die Europäer beim Anblick von Made, Wurm, Ameise und Spinne packt. Wobei letztere genaugenommen gar keine Insekt ist. Egal: Was wimmelt, schwirrt, glitscht, krabbelt und sticht mag man sich nur ungern auf der Zunge zergehen lassen. Insekten aus der Tüte kennt man daher eher aus dem Struwwelpeter als vom Wochenmarkt. In anderen Teilen der Welt ist es hingegen selbstverständlich, Insekten zu verzehren. Sie sind sehr eiweißhaltig, insbesondere die Jugendformen (Larven, Maden), und sie sind sehr günstig zu züchten – und das ist ein wichtiges Argument – ohne in Konkurrenz mit anderen Nahrungsmitteln zu treten. Gut 2,5 Milliarden Menschen in Südasien, Lateinamerika und Afrika essen Heuschrecken, Mehlwürmer, Käfer und andere Insekten. Eine traditionelle Art der Ernährung, die offenbar zunehmend als unmodern gilt. Die Welternährungsorganisation (FAO) hat aus diesem Grund 2010 zu einer Tagung geladen, um die Vorteile der Tradition herauszustreichen, sich vor allem aus dem Wald Insekten zu holen: „Die Menschen beißen zurück“, so das Motto. Für die FAO ist klar: die wachsende Weltbevölkerung wird nicht satt werden ohne verstärkt auf Insekten zu setzen.
Müssen also auch die Europäer demnächst ihren Speiseplan erweitern? Überraschenderweise wird Insekten in Europa meist mit Ekelgefühlen begegnet, während andere Gliederfüßer wie beispielsweise Hummer, Garnelen, Krebse oder Shrimps als teure Delikatessen geschätzt werden. Dabei unterscheiden sich doch Garnele und Grashüpfer kaum. Ob mit dem Verzehr von Insekten ethisch dieselben Bedenken verbunden sein sollten wie mit dem Verzehr anderer Tiere, wurde noch nicht breit diskutiert. (Schad-)Insekten zu bekämpfen oder auch nur totzuschlagen dürfte auf jeden Fall auch bei Veganern wenig Schuldgefühle auslösen. Sollten diese zum Verzehr gezüchtet werden, könnte dies wiederum anders aussehen. Aber diese Diskussion steht noch aus. Sie verspricht, interessant zu werden – Stichwort: Massentierhaltung bei Ameisen. Ohnehin ist fragllich, ob man Europäern und Nordamerikanern nicht lieber die vegane Ernährung vermittelt, statt die Entomophagie zu verbreiten.
Sind die Insekten selbst auch noch nicht in aller Munde, das Thema ist es: Angeregt durch das Dschungelcamp hat sich sogar die neben der ADAC-Motorwelt auflagenstärkste Zeitschrift Apothekenumschau des Themas Insektenverzehr angenommen. Ein Ernährungsexperte namens Jens Hofmann „klärt auf“, ob Insekten und Würmer zu essen bedenklich sei. Wir lernen dort, dass Insekten einen guten Anteil Proteine liefern, frei von Kohlenhydraten und äußerst fettarm sind und reichlich Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente bieten. Allerdings: Der Verzehr sämtlicher Insekten könne allergische Reaktionen „bis hin zum anaphylaktischen Schock auslösen“. Und: „Insekten, die zum eigenen Schutz Gifte produzieren, sollten nicht auf dem Teller landen.“ Das beruhigende am Schluss: „Da das gewohnte und herkömmliche Angebot nationaler und internationaler Produkte in den Supermärkten sowieso schon riesig ist, wird sich der insektenhaltige Speiseplan wohl eher nicht etablieren. Jedoch wird eine gewisse Neugierde die Nachfrage zumindest auf dem Niveau “probieren wollen” aufrechterhalten.
Für diese Neugierigen, die es nun gar nicht erwarten können, einen Skorpion zu kauen, eine Grille zu knabbern oder an einem Mehlwurm zu lutschen, gibt es den „Trau Dich“-Versand. Der verweist stolz darauf, durch BILD-Zeitung und Dschungelcamp bekannt geworden zu sein. Offenbar sind seine Waren unerwartet beliebt oder das Getier ist ausgebüchst: Die meisten Produkte sind jedenfalls zur Zeit nicht lieferbar.
Wer sich anderweitig mit Insekten unterhalten möchte, dem sei das Quartett „Ungeziefer“ aus der großartigen Serie „Geißeln der Menschheit“ empfohlen. Ein Spaß für die ganze Familie.