Sina Trinkwalder ist eine Unternehmerin der Extraklasse. Mit ihrem Modelabel Manomama hat sie eine ökosoziale Textilfirma gegründet, die vom Garn bis zur Naht unter fairen Bedingungen produziert und dabei auch noch profitabel ist. In Augsburg beschäftigt sie 150 Angestellte, die auf dem Arbeitsmarkt keine Chance mehr gehabt hätten. Für ihr Engagement wurde sie mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Bundesverdienstkreuz und dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis. Jutta Echterhoff hat mit Sina Trinkwalder über einen fairen Wertschöpfungsprozess und soziale Verantwortung in der Modebranche gesprochen.
Liebe Sina Trinkwalder, mit Manomama haben Sie ein Textilunternehmen gegründet, das vom Garn bis zur Naht fair und wertschöpfend agiert. Warum gehört Fair Trade in der Mode zu einem bewussten Lebensstil?
Es geht eigentlich gar nicht so sehr um den Begriff Fair Trade, sondern um eine faire Wertschöpfung. Ob am Ende Faires fair oder Unfaires fair gehandelt wird, ist ja eine andere Geschichte. Wichtig ist, dass die gesamte Wertschöpfung von der Faser bis zum Produkt unter sauberen Arbeitsbedingungen passiert.
Das ist so wichtig, weil die Textilindustrie eine der dreckigsten Branchen überhaupt ist, wenn nicht sogar die dreckigste Branche neben Schmuck und weil wir dort einen Großteil in so genannten Billiglohnländern wertschöpfen. Wie es da zugeht, wissen wir alle. Deshalb ist es so wichtig, dass wir unser Augenmerk darauf legen, transparent zu konsumieren.
Was machen Sie bei Manomama anders?
Wir verlegen nichts in Billiglohnländer, sondern haben unsere Firma hier in der Region angesiedelt. Wir fertigen unsere Produkte lokal und sind komplett transparent. Damit halten wir natürlich auch die Fairness im Lande, denn wir haben hier alleine schon Arbeitsbedingungen und Umweltschutzauflagen, die weitaus höher sind, als was jemals unter fairen Bedingungen in einem Billiglohnland gilt.Darüber hinaus haben wir eine radikale regionale Wertschöpfung – vom Garn bis zur Naht wird alles in Deutschland hergestellt. Das einzige, was ich hier nicht bekomme, ist die Bio-Baumwolle. Die beziehe ich aus Tansania, da besuche ich regelmäßig persönlich meine Bauern.
Die Maximierung der Menschlichkeit ist Ihnen wichtiger als der monetäre Gewinn, so steht es auf Ihrer Homepage. Für Ihr Engagement haben Sie sogar das Bundesverdienstkreuz verliehen bekommen. Was ist Ihnen so wichtig an sozialer Verantwortung?
Das Bundesverdienstkreuz habe ich nicht nur dafür bekommen, dass ich bei Manomama schwer vermittelbare Menschen wieder in den Beruf integriere, sondern auch für die Zeit davor, in der ich noch in der Werbeagentur gearbeitet habe. Erst mal sollte die soziale Verantwortung gegenüber Menschen jedem Unternehmer wichtig sein, das sind nämlich genau die Menschen, ohne die ein Unternehmer gar nichts ist. Ein Unternehmer braucht Menschen, damit er überhaupt etwas unternehmen kann, deswegen ist das Soziale unendlich wichtig.
Für mich ist das die Grundvoraussetzung für all mein unternehmerisches Handeln. Mit Manomama habe ich nicht aus einer Produktidee heraus gegründet, wie man es normalerweise macht. Für mich war die Idee der Mensch – zu sagen, alle Menschen, die es schwer haben am Arbeitsmarkt, die nehme ich zusammen und mit denen mach ich was. Und da ist spontan die Textilidee entstanden, auch weil Augsburg Textilhauptstadt war.
Es sind Menschen ganz normale Menschen, die über ein „Handicap“ verfügen oder wie die Arbeitsagentur es nennt, multiple Vermittlungshemmnisse haben: Alleinerziehende, Leute, die nicht lesen und schreiben können, Menschen mit Migrationshintergrund, oder Menschen, die älter sind als der Branchendurchschnitt und und und… Es gibt leider ganz viele Menschen, die wir in unserer Erwerbswelt außen vor lassen. Und am Ende heißt es, wir haben einen Fachkräftemangel!
In unserer Rubrik „echtSTARK!“ stellt evidero Redakteurin Jutta Echterhoff außergewöhnliche Frauen vor, die durch einen bewussten Lebens- oder Arbeitsstil auffallen.
Mit ihrem Engagement und couragiertem Handeln machen sie die Welt für sich und andere jeden Tag ein Stück besser.
Sie produzieren in einer ökologischen und regionalen Wertschöpfungskette und beweisen, dass Sie damit erfolgreich sind. Wie reagiert die Branche darauf?
Das kann ich gar nicht sagen. Es interessiert mich auch nicht. Wir stehen jeden Morgen auf, meine Ladies und Gentlemen und ich, und versuchen jeden Tag die Welt ein bisschen besser zu machen. Was die Konkurrenz darüber denkt, ist mir persönlich ganz wurscht.
In Ihrem Buch „Fairarscht“ lassen Sie kein gutes Haar an den Öko-Siegeln der Texilindustrie. Ihre Devise ist „Sinn statt Siegel“. Was ist so falsch an Siegeln?
Natürlich kann man sagen, ein Siegel gibt eine gewisse Orientierung, aber so ganz genau, weiß man ja nicht, was dahinter steht. Und die Problematik ist, wenn ein Hersteller, respektive ein Händler, dazu gezwungen wird, nur um das Siegel zu bekommen, sich an bestimmte Dinge zu halten, dann ist das nicht aus eigener Kraft geschehen und einfach nicht ehrlich. In dem Moment, wo etwas nicht ehrlich ist, wirkt es ausgehöhlt. Ein Siegel ist nichts anderes als der kleinste gemeinsame Nenner einer großen Industrie.
Es ist ein großer Unterschied, ob ich mich gesund ernähre, weil ich es für notwendig erachte oder weil es mir dann besser geht, dann habe ich eine ganz andere Motivation mich gesund zu ernähren, oder ob es als momentan wahnsinnig hip erachte, einen veganen Joghurt in der Hand zu halten. Am Ende des Tages passiert doch das: in einem Becher, auf dem vegan steht, ist ganz normaler Joghurt drin und jeder soll sehen, dass was Veganes drin ist. Da geht es schnell ums Aushöhlen und um das Image.
Also sind Siegel eher dazu da, nach außen ein sauberes Image zu transportieren als um eine faire Wertschöpfungskette?
Richtig, denn würde es um den Erhalt der Umwelt gehen und um soziale Aspekte, würden die Unternehmen es sowieso machen.
Was heißt das denn jetzt für den Konsumenten, der gerne FairTrade kaufen möchte? Woran kann er sich orientieren und wie kann er guten Gewissens konsumieren?
Ich habe in meinem Buch „Fairarscht“ erklärt, wie wir bewusst konsumieren können. Das wichtigste ist, nicht bei großen Unternehmen zu kaufen. Man darf nicht bei großen global agierenden ausbeuterischen Konzernen kaufen, denn die machen wirklich alles schlimmer. Bei denen geht es ausschließlich um Shareholder-Values, es geht um Aktien und es geht ums Geld! Und immer da, wo jemand mit wenig Arbeit viel Geld verdient, steht auf der anderen Seite viel Arbeit und wenig Geld. Das ist eine ganz einfache Rechnung.
Das zweite ist: Kauft Bio! Bio ist ein gesetzlich geschützter Begriff in Europa. Da können wir uns wenigstens darauf verlassen, dass Grundregeln eingehalten werden. Und wenn ihr Bio habt, dann kauft regional. Denn je regionaler ein Produkt, um so mehr Transparenz kann man mir bieten und ich kann auch meinen Augen wieder trauen.
Wenn ich dann noch möchte, kann ich auch FairTrade kaufen. Obwohl ich persönlich FairTrade nicht so wichtig finde, denn das, was für mich fair ist, muss noch lange nicht für andere fair sein und umgekehrt. Es gibt auch keine gesetzliche Grundlage, was fair ist.
Fair sagt beispielsweise für eine bengalische Näherin, sonntags nur noch zehn Stunden arbeiten zu müssen. Meine Ladies hier in Augsburg würden schon Schreien, wenn sie samstags arbeiten müssten. Wir müssen uns immer fragen, was ist eigentlich fair? Uns solange wir da weltweit keinen Konsens haben, macht das FairTrade Siegel gar keinen Sinn.
Was macht denn Sinn? Wie können Sie sicher sein, dass Ihre Kleidung im gesamten Wertschöpfungsprozess fair produziert wird?
Wir machen Direct Trading, so nenne wir das, wenn wir nicht von Zwischenhändlern kaufen, sondern unsere Rohstoffe möglichst direkt vom Bauern oder die Wolle direkt beim Schäfer. Beim Direct Trading verhandeln wir auch direkt mit dem Bauern und machen Geschäfte auf Augenhöhe. Das ist das, was die Welt braucht.
Wir brauchen kein Bonus-Meilensystem für eine unfaire Wirtschaft. Bei uns krankt es ja am Weltwirtschaftssystem. Baumwolle oder auch Kakao sind so hochwertige Rohstoffe, und wir versuchen sie den westlichen Industrienationen so billig wie möglich einzukaufen, damit wir billige Klamotten oder Kakao-Schoten kriegen.
Durch das Direct Trading sind viele Produkte zwar teurer, aber dafür freuen wir uns auch viel mehr über gute Schokolade oder ein T-Shirt – das ist dann was Besonderes. Wir müssen den Leuten die Wertschöpfung geben.
Mit einer Detox-Kampagne für giftfreie Kleidung hat Greenpeace seit 2011 über 60 Textilhersteller wie H&M, Adidas und Aldi überzeugt, bis 2020 auf eine Produktion ohne Risiko-Chemikalien umzustellen. Ein guter Anfang oder ein Tropfen auf den heißen Stein?
Die Idee ist ja ganz gut, aber sie ist eine sehr konsumentenseitige Sache. Greenpeace hat den Herstellern gesagt, sie dürfen keine Schadstoffe mehr im Produkt haben, denn sonst werden die Kunden krank. Da haben die Hersteller gesagt, geht in Ordnung, wir lassen das weg.
Die Schadstoffe sind aber nicht weglassen worden, sondern nur herausgeholt worden. Es geht hier um die Produktökologie. Die Detox-Kampagne von Greenpeace hat dafür gekämpft, dass das Produkt am Ende schadstofffrei ist. Das ist zunächst löblich. Was aber nicht löblich ist, ist dass die Produktionsökologie nicht mit angegangen wurde, denn die Schadstoffe waren ja vorher in den Produkten drin.
Man schaut nur, dass alles raus ist, bevor man es exportiert. Den Mitarbeitern in der Wertschöpfungskette hat das nichts gebracht. Das ist nichts anderes als eine Fundraising-Nummer von Greenpeace: Liebe Mitglieder, wir kämpfen für euch, damit ihr es besser habt. Da könnt ihr ja mal was spenden, weil wir ja so wahnsinnig erfolgreich sind.
Welche Rahmenbedingungen würden Sie sich von Wirtschaft und Politik wünschen, damit ein bewusster Lebensstil zur Normalität wird?
Dass der Konsument, der sauber wertgeschöpfte Produkte konsumiert, nicht bestraft wird, indem er doppelt so viel zahlt. Wir brauchen definitiv eine Politik, die auf konventionell hergestellte Produkte einen Strafzoll oder Steuer erhebt. In dem Moment wird ganz schnell der Turnover passieren, denn wenn immer mehr Menschen Bio konsumieren. Wir brauchen unbedingt mehr Bio. Wenn unsere Böden mit Pestiziden und Fungiziden kaputt machen, ist das irreversibel.
In Ihrem Buch „Wunder muss man selber machen“ erklären Sie, wie Sie ihr eigenes Wunder gemacht haben. Gab es auch mal Zweifel und Krisen? Und wie haben Sie sie gemeistert?
Man darf keine Angst haben und muss einfach machen. Es gibt so viele Steine, aber irgendwann merkt man, man kann auch auf diesen Steinen ein schönes Haus bauen und dann passt es auch irgendwie.
Was gehört für Sie zu einem bewussten Lebensstil über Mode hinaus?
Das darf jede/r so halten wie er es für richtig hält. Für mich gehört zum Leben dazu, dass man konsumiert, was man benötigt, ab und zu darf es auch ein bisschen Luxus sein. Für mich gehört dazu, dass man sich bewusst ist, dass man nur ein Leben hat, dass es die Premiere ist und nicht die Generalprobe. Man kann auch mal die Fünfe gerade sein lassen und muss nicht an Perfektion scheitern.
Vielen Dank für das Interview. Echt stark!
Hier findet ihr die Homepage von Manomama