Er ist neulich erst stolze 70 Jahre alt geworden – geboren als Cassius Clay, berühmt geworden als Muhammad Ali. Rüdiger May, ebenso Boxer wie Ali, startet seine erste Runde bei evidero mit Gedanken über den Sportler des Jahrhunderts.
Sehen Sie, so ist das. Sie lesen Muhammad Ali und sofort kommt Ihnen etwas in den Sinn. Sie kennen diesen Mann. Sie kennen ihn als den besten Boxer aller Zeiten – als Kämpfer für die Gerechtigkeit, für den „kleinen Mann“, für die Glaubensfreiheit, für die Kultivierung der großen Klappe und als Ästheten eines harten Sports. Ich behaupte mal, jeder erwachsene Mensch dieser Erde kann etwas über diesen Mann sagen, weil er von ihm gehört hat, ihn im Fernsehen oder auf Bildern gesehen hat. Gibt man seinen Namen bei Google im Suchfeld ein, so findet man 47.100.000 Einträge. Überall auf dem Planeten haben Menschen sich von ihm inspirieren lassen. Sogar jene, die selbst als großartige Menschen anerkannt sind.
Nelson Mandela fällt zu Muhammad Ali ein: „Muhammad Ali ist mein Held. Muhammad Ali hat viele junge schwarze Menschen auf der ganzen Welt dazu gebracht, Erfolg danach zu betrachten, ob es einem gelingt, die Unfairness des Lebens herauszufordern. Ich danke Muhammad Ali für die Kraft seiner Taten. Ich danke ihm für den Mut, den er mir gegeben hat.“ Schon diese Worte Mandelas zeigen, wie nachhaltig sein Leben wirkt. 27 Jahre Haft konnten Mandela nicht brechen. Ali hat, nach Mandelas eigenen Worten, einen bedeutenden Anteil an Mandelas Willen, sich nicht brechen zu lassen.
Muhammad Ali – auch in der DDR ein Held
Ali beeindruckt Menschen jeder ethnischen Zugehörigkeit, aller Gesellschaftsschichten und aller Altersklassen. Und das schon seit sehr langer Zeit! Ich bin 1974 in der DDR geboren. Seit meinem 6. Lebensjahr sind meine Helden Boxer. Die Helden meiner Kindheit heißen René Suetovius, René Ryl, Siegfried Mehnert, Uli Kaden, Henry Maske (sie alle waren erfolgreiche Amateurboxer der DDR, denn Berufsboxen war nicht gestattet) und Muhammad Ali. Bis auf Henry Maske werden Ihnen diese Namen kein Begriff sein.
Muhammad Ali sticht heraus. Er ist der einzige Berufsboxer meiner Kindertage. Seinen Namen durfte man öffentlich nennen. Ihm durfte man auch im Sozialismus nacheifern. Seine Biographie war in den staatlichen Buchhandlungen erhältlich. Es war das erste Buch, welches ich von der ersten bis zur letzten Seite gelesen habe. Wenn ich mir heimlich „Rocky“ im Fernsehen ansah, durfte ich am nächsten Tag in der Schule nicht darüber reden. Redete ich aber über die fabelhafte Beweglichkeit der Beine des Muhammad Alis, so lauschte auch meine Staatsbügerkundelehrerin gebannt meinen Ausführungen, ohne mich darauf hinzuweisen, dass man Sport nicht aus Profitgier betreiben darf.
Der Weltmeistertitel im Schwergewicht ist nicht nur ein Ehrentitel, er ist ein Amt. Es heißt nicht umsonst bei der Ankündigung des Kampfes, dass der amtierende Weltmeister die Arena betritt. Er vertritt die Hoffnungen vieler Menschen. Seit Muhammad Ali hat niemand mehr dieses Amt so umfassend ausgefüllt wie er.
Angst und Furcht gehören zum Sieg
Einer seiner wichtigsten Schritte zum nachhaltigen Champion war sein Bekenntnis zur Angst. Auf die Frage, ob er Angst vor einem Gegner hätte, antwortete er: „Sonny Liston. Er schlägt hart.“ Und wie er denn seine Angst besiegt hätte? “Gar nicht. Du musst Furcht haben. Mit Furcht kämpfst Du besser. Furcht ist eine gute Sache – manchmal.“ Er zeigt damit, dass die Furcht zum Sieg gehört. Denn sie ist Antrieb und Absicherung. Man darf sich jedoch nicht von ihr lähmen lassen. Ich bin mir sicher, Mandela hatte auch Angst. Doch er hat sich von ihr nicht einschüchtern lassen. Er hat sie genutzt, um wachsam zu sein, denn so konnte man sie nicht mehr als Waffe gegen ihn verwenden. In einem Boxkampf ist die Angst ein ständiger Begleiter.
Wer sie leugnet, lügt oder hat ernsthafte psychische Probleme. Man spürt sie nicht permanent. Sie kommt in Schüben. Und wenn man beginnt, sich vor der Angst zu fürchten, dann ist man verloren. Wenn man sie aber annimmt und sich von ihr helfen lässt, seine Sinne zu schärfen, dann steigen die Chancen um ein Vielfaches. Man darf nicht hoffen, dass diese Angst im nächsten Kampf nicht wiederkehrt! Selbst wenn sie für einen Kampf ausbleibt – sie lauert immer in der Ecke – und dann beginnt die Arbeit mit ihr von Neuem.
Nachhaltigkeit beginnt, wenn der größte Boxer der Welt den Schwachen Mut macht
Wenn der größte Boxer des Planeten seine Angst öffentlich eingestehen kann, gibt er den Schwachen dieser Welt nachhaltig Mut. Dort beginnt für MICH Nachhaltigkeit. Nach meiner Auffassung ist der Begriff der Nachhaltigkeit nicht begrenzt. Sie beginnt – wo auch immer. Und wenn es beim Boxen ist. Dieser Sport bestimmt seit über dreißig Jahren mein Leben. Durch ihn erfahre ich Inspiration. Er bringt mich zum Nachdenken.
Meine Gedanken kreisen um Ernährung. Wo kommen meine Nahrungsmittel her? Wer produziert sie? Was ist gut für mich und meine Familie? Was stärkt meine Persönlichkeit? Welchen Einfluss hat sie auf die Menschen mit und neben mir? Und noch so einiges mehr. Ich glaube, der Begriff der Nachhaltigkeit befindet sich in einem Definitionsstadium. Für mich hat Nachhaltigkeit noch keine Grenzen gefunden. Wo ist für Sie Anfang und Ende der Nachhaltigkeit?