Kuschelpartys sind ein Trend aus den USA, der auch in Deutschland immer mehr Anhänger findet. Wildfremde Menschen treffen hier zusammen, um sich gegenseitig körperliche Nähe zu schenken: Umarmen, Streicheln, Massieren – alles ist erlaubt. Wirklich alles? Wir haben mit Shanti Morawa, dem Veranstalter der Kölner Kuschelpartys, über Kuscheln, Sex, Liebe und die Heilkraft von Berührung gesprochen.
Das Interview führt: Melanie Lotz
Lieber Shanti Morawa, “Kuschelpartys” – das klingt zugleich verlockend und etwas unheimlich. Es kommen also Menschen zum Kuscheln zusammen, die sich noch nie zuvor gesehen haben?
(Lacht) Naja, es wird nicht einfach drauflos gekuschelt. Unsere Veranstaltung hat ein exaktes Konzept mit bestimmten Phasen zum Kennenlernen untereinander: Nach einer Begrüßungsrunde und ein paar Worten zum Hintergrund der Kölner Kuschelparties werden die Regeln erklärt. Diese basieren auf dem Grundsatz gegenseitigen Respekts und der Achtung für einander. Nach der Vorstellung der Regeln und der Erläuterung unserer Form der Kuschelparty, die sich etwas von anderen Städten unterscheidet, geht es richtig los.
Es gibt Regeln zum Kuscheln?
Ja, es gibt eine Regelliste, die wir am Anfang jeder Kuschelparty vorlesen und deutlich erklären. Die wichtigste Regel ist, dass man um Erlaubnis fragt, bevor man jemanden berührt. Erst wenn der andere sein klares “Ja” gegeben hat, darf eine Berührung, zum Beispiel eine Umarmung, stattfinden. Für jede einzelne Aktion muss erneut um Erlaubnis gebeten werden. Wenn jemand nach einer Umarmung den Kopf streicheln möchte, dann muss er auch hier zuerst wieder fragen.
Was bringt die Kuschelparty Teilnehmer dazu, körperliche Nähe mit ihnen völlig fremden Menschen zu suchen?
Die Menschen suchen Vertrautheit und Nähe auf Zeit ohne Druck und Anspruch. Im Prinzip sind wir wie Berührungskino. Ein kleiner Teil sucht auch neue Beziehungen aus dem Singledasein heraus. Auch hier kann das im Anschluss an eine Veranstaltung entstehen, dass Menschen sich zu gemeinsamen Unternehmungen treffen, Beziehungen eingehen oder auch heiraten. In den zehn Jahren der Geschichte der Kölner Kuschelpartys ist auch das bereits vorgekommen.
Kuscheln ist nicht gleich Sex
Kann das Kuscheln auch zu sexuellen Kontakten führen?
Nein, zumindest nicht während der Kuschelparty. Am Anfang stellen wir die Tabuzonen und Tabuformen für die Berührung vor. Tabuzonen sind generell: Brustraum der Frau, Beckenregion vorne und hinten beider Geschlechter, Innenseite der Oberschenkel, Küssen ist untersagt. Wir steuern das bewusst in Richtung nährender Nähe und raus aus dem Sex.
Auf unserer Website zählen wir schon die Regeln auf, in denen ganz klar formuliert wird, dass es nicht um sexuellen Kontakt geht. Das hält Menschen fern, die sich vielleicht genau das von dem Kuschelkonzept erhoffen. Zudem müssen sich alle Teilnehmer anmelden, hier besteht auch die Möglichkeit, weitere Fragen zu klären. Und jeder bekommt innerhalb der ersten 30 Minuten der Kuschelparty sein Geld zurück, wenn ihm oder ihr die Atmosphäre und die Regeln nicht behagen. Die Teilnehmer sind dafür dankbar, weil Sie sicher sein können: Kölner Kuschelparty bedeutet “No Sex”!
Kuscheln ist dennoch ein eher intimer Vorgang zwischen Menschen, die einander sehr vertraut sind: Eltern und Kinder, Liebespartner… Kuscheln ohne Liebe – geht das überhaupt?
Ja, das geht. Es ist sehr ursprünglich und hilft allen Säugetieren zum Stressabbau und zum Vertrauen in Beziehungsgefügen, ob zu zweit, in erweiterten Familien oder Sippen. es beginnt beim „in den Arm nehmen“ und Trost spenden. Es geht weiter in die Umarmung unter Freunden, die sich lange nicht gesehen haben oder den Dank für Hilfe in Krisensituationen.
Wann hatten Sie Ihr erstes Kuschelparty-Erlebnis und wie haben Sie sich währenddessen und danach gefühlt?
Mit 18 in einem Kulturprojekt mit 40 Menschen. Wir saßen nach getaner Ausbauarbeit alter Heizungen bei Musik zusammen, haben uns angelehnt, aneinander gerollt und sind miteinander eingepennt. Also, entspannt, würde ich sagen.
Glauben Sie, dass das ritualisierte Kuscheln sich generell positiv auf die Beziehungen in unserem Leben auswirken kann?
Es gibt 2 Antworten: Physiologisch verändert Oxytocin das Vertrauensverhältnis und sorgt für das Gefühl sicherer und stressfreier zu sein (zumindest solange die Wirkung nachhallt), Nach Aussage von Teilnehmern geht das von 30 Minuten bis zu 3 Tagen.
Psychologisch ist es bedeutend zu wissen, dass die Welt nicht so gefährlich ist und das Neugierde und Mut helfen, das Leben zu bewältigen. “Die Welt ist ein schöner Ort und wert, dass man um sie kämpft.” Das sagte Ernest Hemingway vor 70 Jahren. Ich würde ergänzen … und mit Menschen Nähe teilt. Das fängt beim Hand halten und Umarmen an.
Inwiefern kann das intensive und bewusst erlebte Kuscheln die Beziehung zu uns selbst verändern?
Es geht darum, dass wir unter Stress immer sehr verängstigt und „getunnelt“ auf die Welt blicken. Bewusst erlebt, kann das Kuscheln klar machen: Es gibt tunnelfreie Zeiten. Sie sind leicht zu erreichen. Die Welt kann auch mal entspannt wahrgenommen werden.
Auch wenn es bei den Partys nicht um Sex geht – verändert das Kuscheln vielleicht die Herangehensweise an Sexualität?
Bindung ist älter als Sex und wenn wir nicht vertrauen können, hat Sexualität in unserer Zeit oft eine genauso stressige Qualität wie Arbeiten, Essen, Reden etc. Also unter gefülltem Bindungslevel mit Oxytocin im Blut wird dann auch hier kein Druck mehr aufgebaut, würde ich hoffen.
Nährt das Kuscheln ohne sexuellen Hintergrund unsere Fähigkeit, Liebe zu geben und zu empfangen?
Gerne würde ich mit Psychologen dazu eine Reihenuntersuchung machen, um das wissenschaftlich abzusichern. Aus dem Bauch heraus würde ich sonst nur glauben oder Mutmaßen, aber nicht wissen.
Wie sind Sie auf die Idee gekommen, Kuschelpartys zu veranstalten?
Wir haben im September 2005 die erste Kölner Kuschelparty veranstaltet. Ich kenne das Kuscheln als Konzept aus mehreren psychosomatischen Kliniken bei Angst- und Bindungsstörungen (Adula Klinik, Fachklinik Heiligenfeld), da ich drei Jahre lang mit einer Fachärztin für Psychotherapie zusammen war. Aus diesem Erfahrungshintergrund, dem amerikanischen Konzept der Cuddleparties und den Kuschel-Selbsthilfegruppen aus dem Emotions Anonymous-Bereich haben wir unser eigenes Konzept vor zehn Jahren entwickelt. Wir sehen uns als Dienstleister im Bereich “nährender Nähe” in Abgrenzung zu “sexueller” Nähe.
Menschliche Nähe beim Kuscheln und Streicheln macht glücklich
Inwiefern kann Kuscheln heilend sein?
Die wichtigsten medizinischen Studien stammen von der Karolingksa- Universität in Stockholm. Dr. med Stauss, Facharzt für Psychotherapeutische Medizin, Psychiatrie, Neurologie und Rehabilitationswesen, hat dies in deutschen Kliniken konzeptionell mit eingebracht. Wir haben auch eine Therapeutin, die ich in der Fortbildung Bindung und Berührung ausbilde. Sie wendet in einer Variation Streicheln von Händen und Füßen bei Wachkoma-Patienten an.
Grundsätzlich haben wir nach der Polyvagal-Theorie des amerikanischen Professors Stephen Porges (University of North Carolina) drei Level der Entwicklung des Nervensystems. Zwei werden vor der Geburt gebildet, das dritte ist das soziale Nervensystem. Stress schädigt dieses System. Vertrauen, Sicherheit und bindungssichernde Berührungen stärken und stabilisieren dieses System. Jede Berührungssituation, die keinen Stress durch Adrenalin, Cortisol und „noradrenalinartige“ Hormone erzeugt, schafft Sicherheit. Dadurch bilden wir das Entspannunhshormon Oxytocin. Wir dünsten über die Haut Pheromone des Wohlgefühls aus, das erreicht über den Geruchssinn das Gehirn. Wir riechen Sicherheit und Nähe, und damit stellt sich unser Gehirn um oder ein. Das so in Kürze.
Macht Kuscheln glücklich?
Die meisten Menschen ja. In akuten Trauerfällen oder bei Traumatisierungen würde ich eine Psychotherapeuten fragen, ob es Sinn macht.
Wie viele Menschen treffen bei der Kölner Kuschelparty aufeinander?
Es treffen sich zwischen 30 und 50 Personen. Altersbezogen und berufsbezogen bunt gemischt. Unter den Teilnehmern sind Ärzte, Psychotherapeuten, Anlagenbediener, Feuerwehrleute. Polizisten, Rechtsanwälte, Steuerfachgehilfinnen etc. Meist sind auch Menschen mit einer körperlichen Einschränkung mit von der Partie. Wir hatten auch schon blinde oder gehörlose TeilnehmerInnen. Teilnehmer aus dem Ausland: Südafrika, Argentinien, Kanada, Mexiko, Japan, USA. Außerirdische wurden noch nicht gesichtet – sind aber willkommen.
Wann finden die Kuschelpartys immer statt?
Alle 14 Tage Samstags.
Bitte beenden Sie den Satz: “Kuscheln ist…”
Ein Menschenrecht.