Manche Menschen müssen sich immer über alles und jeden beschweren. Sie sind mit allem unzufrieden, aber es sind immer die anderen schuld. Life-Coach Sophia Reschke weiß, warum das so ist – und wie und wieso wir die Opferrolle hinter uns lassen sollten.
Bahnfahren ist ja manchmal recht unterhaltsam. Auch wenn man, wie ich letztens zu meinem Ärger feststellte, den Mp3-Player mit der großen Hörbuchsammlung zu Hause liegen gelassen hatte. Nun gut, das ist kein Weltuntergang, ich bin ohnehin schon wunderbar unterhalten, wenn ich mir die Landschaft, das Wetter und die Menschen draußen ansehe und meine Gedanken abdriften lasse. Neulich ging genau das allerdings nicht sonderlich gut, denn zuerst stiegen zwei laut schnatternde Mädchen in den Zug und kaum saßen sie, fingen sie an, sich über die Unfähigkeit und das Aussehen ihrer Lehrer und Mitschüler, besonders der „Streber“, auszulassen.
Als sie ausstiegen, setzte sich ein Pärchen mittleren Alters vor mich und nun wurde ich in deren Krankheitsgeschichte und den Ärger mit den Ärzten eingeweiht. Was die Ärzte nicht alles falsch machten, sie klärten zu wenig auf, hätten zu wenig Verständnis für ihr Übergewicht – wie denn auch, sie seien ja so dünn und kennen das nicht. Oh ja – dieser Morgen hatte es in sich.
Ich grübelte auf meinem weiteren Weg, warum sich so viele Menschen eigentlich immerzu beschweren müssen. Warum sie nicht die positiven Seiten ihres Daseins würdigen können und immerzu ihren Fokus darauf richten, wie andere ihnen ihr Leben schwer machen. Wie oft ich alleine an der Supermarktkasse „War ja klar, dass meine Schlange jetzt wieder am längsten dauert“ hörte und mir von ehemaligen Kollegen anhören sollte, wie doch der Chef den Arbeitsablauf verkomplizierte. Und wie ungerecht alles war.
Wieso, fragte ich mich, sind viele Menschen denn dann damit zufrieden, dass ihre Situation gleichbleibend ärgerlich verläuft, solange andere an ihrem Elend schuld sind? Warum ist es so beliebt, sich als Opfer der äußeren Umstände zu fühlen.
Eine Opferrolle ist bequemer, als Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen
Weil es bequem ist. Es ist sehr bequem, sich als „gut“ und „genügend“ und „im Recht“ wahrzunehmen, wenn man andere findet, die alles falsch machen. Es ist einfach, ein Selbstbild zu erzeugen, in dem man keine Schuld, oder besser keine Verantwortung an dem trägt, wie es momentan läuft, da man doch der „einzige Mensch, der hier noch richtig tickt“ ist. Wenn man sich selbst beobachtet und ehrlich ist, werden einem bestimmt an der einen oder anderen Ecke bekannte Gedankenmuster dieser Kategorie begegnen.
Ich bin da auch keine Ausnahme. Einen Schuldigen zu finden bringt natürlich auch scheinbare Erleichterung, wenn eine Situation gerade wirklich schief läuft. Ob man sich nun melancholisch oder deprimiert fühlt, weil man zurückgewiesen wurde, ob man sauer ist, dass der Arzt einen an einen Spezialisten überwiesen hat, obwohl man doch nur Schmerzmittel haben wollte, ob man nur deshalb Menschen misstraut, weil man verletzt wurde. All diese Gründe für das eigene Leid mögen vielleicht wahr sein, dennoch sind sie keine Entschuldigung.
Sei kein Opfer der Umstände, auch in schwierigen Situationen
Warum ist das so? Das werde ich zumindest immer gefragt, wenn ich über dieses Thema spreche und mein Gegenüber von meiner scheinbaren „Immunität“ oder „Ignoranz“ gegenüber der Ungerechtigkeit des Lebens irritiert ist. Ich erkläre dann, dass es weder mit dem einen, noch dem anderen etwas zu tun hat. Ungerechtigkeit gibt es überall. Die einen werden gesund geboren, die anderen haben ihr gesamtes Leben mit einer Krankheit zu kämpfen. Den einen wird trotz harter Arbeit gekündigt, während andere sich in einer durch „Vitamin-B“ ergatterten Stelle, durch glorioses Nichtstun eine goldene Nase verdienen.
Gegen Rückschläge kann man nicht einfach „immun“ sein. Aber man kann verstehen und verinnerlichen, dass es in der eigenen Verantwortung liegt, mit den Rückschlägen, die einem das Leben versetzt, gut umzugehen. Dass der Verlust des Arbeitsplatzes nicht gleichbedeutend ist mit dem Verlust der Existenzberechtigung. Dass das Ende einer Beziehung nicht gleichbedeutend ist mit einem Leben in ewiger Trauer und Isolation.
Selbstbestimmt leben: Aktiv statt passiv werden
Viele Menschen verhalten sich allerdings genau so. Neben einer eventuell sehr ausgeprägten Vorliebe für das Drama, haben sie in der Regel eine noch viel deutlicher ausgeprägte Vorliebe dafür, passiv zu bleiben. Dem passiven Menschen stoßen Dinge zu. Der aktive Mensch jedoch gestaltet sie. Die Entscheidung zwischen passiv und aktiv ist, wunderbarer Weise, eine freie. Jede schwere Situation birgt die Möglichkeit, sich aus ihr heraus- und in eine eigenmächtig gestaltete Situation hinein zu manövrieren.
In einem meiner Artikel schrieb ich einmal folgenden Satz: „Der Grad an Zufriedenheit und Bewusstheit, den Du mit Deinem Leben empfindest, richtet sich größtenteils nach dem Grad, zu dem Du Verantwortung für Dein Leben übernimmst.“ Mittlerweile ist dieser Satz für mich zu einer Lebenseinstellung geworden, da ich aktive Entscheidungen in mein Leben mit steigender Regelmäßigkeit eingeschleust habe. Wichtig war mir dabei immer, mir vor Augen zu halten, was ich ändern kann und was nicht.
Verändere das, was du ändern kannst und akzeptiere den Rest
Wenn eine Situation zu ändern ist, sind die Konsequenzen natürlich einfach. Entweder ich ändere sie oder alles bleibt beim Alten. Also ändere ich sie. Noch viel wichtiger, wie ich feststellte, ist allerdings das Augenmerk auf die Dinge, die man nicht ändern kann. Nicht auf die Dinge selbst, sondern sich darauf zu konzentrieren, wie man aus der unausweichlichen Situation dennoch das Beste machen kann. Kurzum: Aus jeder Situation, die das Leben einem gibt oder die man selbst aus dem Leben hervorbringt, das Beste zu machen.
Nebenwirkungen einer solchen Vorgehensweise sind möglicherweise Lebensqualität, ein Grund, stolz auf sich zu sein, Selbstbewusstsein und Kraft. Nichts Überraschendes ist also zu befürchten. Wenn man nur den Mut findet, sein eigenes Leid bewusst wahrzunehmen und sein Leben aktiv zu gestalten. Das kann auf unterschiedliche Weise passieren. Ein paar Ansätze, den Weg aus dem Jammertal zu finden, möchte ich an dieser Stelle gerne nennen. Vielleicht ist ja der ein oder andere nützliche Vorschlag dabei.
Die Opferrolle hinter sich lassen – So kannst du ein selbstbestimmtes Leben führen
- Wie ist die Ist-Situation? Hinsetzen und die Situation erfassen. Sich ein ruhiges Plätzchen suchen und sich Zeit zur Reflexion über die momentane Lage verschaffen.
- Was soll anders sein? Dabei ist es hilfreich, zu sehen, inwiefern man auf die äußeren oder inneren Umstände, die einen in diese Lage gebracht haben, einwirken kann.
- Inwiefern kann die Situation geändert werden? Ein klärendes Gespräch mit einer Person ist meistens möglich, im Falle eines nicht rückgängig zu machenden Ereignisses nützt natürlich nur Akzeptanz und beim Unabänderlichen anzusetzen, um eine neue Situation zu erschaffen.
- Was würde der beste Freund / die beste Freundin / die Mutter / der Vater jetzt raten? Sich selbst in die Situation zu begeben, der beste Freund zu sein, ist natürlich eine hervorragende Vorgehensweise. Man achtet auf das eigene Wohlbefinden, reflektiert recht objektiv und man denkt lösungsorientierter.
- Was ist das positive an der Situation? Sich aus einer Opferrolle zu befreien bedeutet Mut, Verantwortung und eine Menge Willen, das Gute zu sehen. Es geht hier ums Wollen! Wenn man sich auf die positiven Seiten und die möglichen Chancen der Situation konzentriert, tun sich oft auch Wege auf.
Ich hoffe, es sind einige nützliche Tipps dabei. Vielleicht ist ja genau jetzt der Zeitpunkt gekommen, sich dagegen zu entscheiden, ein Mensch zu sein, dem Dinge nur passieren. Vielleicht ist genau jetzt die Zeit, in der aktiv gehandelt werden kann. Vielleicht ist genau jetzt der Moment dieser Entscheidung gekommen. Verantwortung mag schwer und wie eine Last erscheinen, jedoch darf nie vergessen werden, welche Kraft und Macht über das eigene Leben eben sie uns schenkt.