Kennen Sie das: Sie ärgern sich wahnsinnig über etwas, das jemand anderes gesagt oder nicht gesagt hat und müssen hinterher feststellen, dass er es gar nicht so gemeint hat, wie Sie dachten? Die Kommunikations-Trainer Nayoma de Haen und Torsten Hardieß erklären uns im ersten Teil unserer fünfteiligen Reihe, wieso wir uns missverstehen und was man dagegen unternehmen kann.
„Du hörst mir ja gar nicht zu!“ „Natürlich höre ich dir zu, aber du erzählst mir seit Tagen immer wieder dasselbe!“ „Sag ich doch, du kapierst es einfach nicht!“ „Was kapier ich denn nicht?“ „Das versuche ich dir ja die ganze Zeit zu erklären!“
Manchmal kommunizieren wir einfach komplett aneinander vorbei. Wir glauben, zu wissen, was der andere meint, und reagieren dann – im Sinne unserer Annahmen. Da wir uns dieser Annahmen oft nicht bewusst sind, sondern sie ganz selbstverständlich als „Realität“ betrachten, überprüfen wir sie auch nicht. Das ist eine klassische Voraussetzung für Missverständnisse.
Was bestimmt, wie wir kommunizieren?
Unsere Annahmen beruhen auf unserer familiären, sozialen und kulturellen Prägung und auf unseren individuellen Lebenserfahrungen. Wenn meine Eltern einen entspannten Umgang mit Autoritäten pflegten, habe ich wahrscheinlich später wenig Angst vor Lehrern, Vorgesetzten oder Behördenmitarbeitern. Wenn ich mich in der Grundschule überfordert fühlte, neige ich vielleicht auch später dazu, Lernen mit Stress zu assoziieren.
Wenn ich in einer Kultur aufgewachsen bin, in der Verlegenheit durch Senken des Blicks und Schweigen zum Ausdruck gebracht wird, irritiert es mich vielleicht erst mal, wenn ich zum Beispiel einem Afrikaner begegne, der seine Verlegenheit durch ein breites Lachen zeigt. Wenn ich mit Menschen aus Ostasien zu tun habe, ist es hilfreich, mir bewusst zu sein, dass es dort vielfach üblich ist, wenig Emotionen zu zeigen. Dann weiß ich, dass ihre unbewegten Gesichter nicht unbedingt bedeuten, dass sie innerlich unbeteiligt sind.
Da unsere eigenen Annahmen durch viele Faktoren entstanden sind, können wir auch nicht sicher sein, mit welchen Annahmen andere Menschen leben. Um sich wirklich zu verständigen, ist es gut, uns dessen bewusst zu sein und hin und wieder nachzufragen.
Missverständnisse vermeiden, indem man Annahmen hinterfragt
Natürlich entstehen auch in demselben Kulturkreis jede Menge Missverständnisse – gerade mit Menschen, die wir sehr gut kennen, weil wir dann meinen, zu wissen, wie sie sind. Auch mit Menschen, die wir überhaupt nicht kennen, kann die Verständigung schwierig sein, weil wir bei ihnen wenig Anknüpfungspunkte zur Identifikation haben.
In beiden Fällen gehen wir stark von unseren eigenen Erfahrungen, Annahmen und Interpretationen aus. Wenn mich zum Beispiel mein neuer Nachbar im Treppenhaus zum dritten Mal nicht grüßt, halte ich ihn bestenfalls für unhöflich, vielleicht denke ich sogar: Den mag ich nicht. Später erfahre ich, dass seine Frau gerade schwer krank im Krankenhaus liegt und ich verstehe, dass er mit ganz seinen Sorgen beschäftigt war.
Wenn wir andererseits einen Menschen sehr gut kennen, interpretieren wir sein Verhalten leicht auf Grund des Bildes, das wir uns von ihm gemacht haben.
Falsche Interpretionen schaffen Unzufriedenheit und führen zu Missverständnissen
Nehmen wir einmal an, mein Partner hat schon oft gesagt, er würde lieber zu Hause bleiben, als auszugehen. Also habe ich das innere Bild: Er ist ein Mensch, der nicht gerne abends ausgeht. Wenn ich ihn dann frage, ob er morgen Abend mit mir ins Kino gehen würde, und er “Nein” sagt, neige ich zu der Annahme, dass er ablehnt, weil er nun mal nicht gerne ausgeht. Und ich bin vielleicht verletzt, weil ich denke, dass ich ihm nicht wichtig genug bin, um es trotzdem mal zu tun.
Unter Umständen würde mein Partner jedoch durchaus mit mir ausgehen wollen, hat aber an diesem Abend keine Zeit und lehnt aus diesem Grund ab. Oder er will gerade diesen Film nicht sehen. Oder er würde lieber Essen gehen. Doch ich habe schon dicht gemacht, weil ich den Grund zu kennen meine. Schließlich weiß ich ja, wie er ist – glaube ich.
Kommunikationsfalle Schubladendenken: Man weiß nie ganz genau, was der andere sagen will
Solche Annahmen, bei denen wir glauben, zu wissen, wie eine andere Person denkt und fühlt, sind große Kommunikationsfallen. Wenn ich mir ein Bild einer Person mache und in meinem Kopf festlege “Die ist schüchtern” oder “Der ist ein Draufgänger”, dann schiebe ich diese Person in eine bestimmte Schublade und werde alles, das die Person sagt oder tut, auf dieser Basis interpretieren.
Aber kann ich wirklich einschätzen, wie eine Person ist? Wir können einem Menschen bestenfalls sehr nahe kommen oder bestimmte Merkmale einer Person erkennen, aber wir werden nie wissen, wie sich jemand in jeder Situation fühlt und verhalten wird. Das wissen wir ja oft noch nicht mal von uns selbst.
So gelingt Kommunikation
Der erste Schritt zu einer gelingenden Kommunikation ist daher, herauszufinden, was in uns selbst los ist. Damit können wir dann wacher dafür werden, durch welche Brille wir gerade auf den Anderen schauen. Was ist meine Motivation? Was sind meine eigenen Wünsche und Bedürfnisse, die ich in ein Gespräch mitbringe?
Wenn ich mir darüber klar bin, kann ich auf Impulse von außen, sei es nun eine Aufforderung oder auch die Notwendigkeit, die Aussage eines anderen zu interpretieren, entsprechend bewusst reagieren. Im Englischen gibt es da eine schöne Unterscheidung: “To react to something” bedeutet, automatisch auf etwas reagieren, und “to respond to something” bedeutet, bewusst auf etwas zu reagieren.
Wenn ich bewusst reagiere, bin ich mir darüber im Klaren, dass ich mehrere Möglichkeiten habe, wie ich reagieren kann und suche mir dann bewusst eine davon aus. Ich weiß, dass ich die Freiheit habe, selbst zu entscheiden, wie ich eine Situation interpretiere.
Die Freiheit der Perspektive
Ein Beispiel: Ich bin um 15 Uhr mit einer Freundin auf einen Kaffee verabredet und sie ist um 15.30 Uhr immer noch nicht da. Eine klassische Konflikt-Situation. Nun gibt es mehrere Möglichkeiten, damit umzugehen, und diese hängen davon ab, aus welcher Perspektive ich die Situation betrachte.
- Ich werde wütend, weil ich denke, wenn ich ihr wichtig wäre, würde sie pünktlich kommen.
- Ich werde unsicher, weil ich überlege, ob ich mir die Verabredung vielleicht falsch notiert habe.
- Ich werde unruhig und mache mir Sorgen, weil ich fürchte, ihr könne etwas passiert sein.
- Ich freue mich über die stille halbe Stunde, um ein wenig zur Ruhe zu kommen.
Diese Liste ließe sich noch weiter fortsetzen. Es kommt also darauf an, mir bewusst zu sein, dass mein eigenes Denken und meine eigene Interpretation dafür verantwortlich sind, wie ich mich fühle. Der Auslöser für mein Gefühl ist die Verspätung meiner Freundin, der Grund ist aber die Perspektive, mit der ich die Situation betrachte. Diese Unterscheidung zwischen Auslöser und Ursache gehört zu den wichtigsten Grundsätzen der Gewaltfreien Kommunikation. Diese werden wir im nächsten Teil genauer vorstellen.