Ist das nicht viel zu egoistisch, so wie „Erst komme ich, und dann die anderen“? Beides klingt sehr ich-bezogen und damit negativ. Aber dabei vergisst man schnell, dass alles immer zwei Seiten hat. Life- und Business-Coach Regina Först möchte uns im ersten Teil zum Positiven Egoismus daran erinnern, wie lebensnotwendig er ist.
Mit dem Begriff Egoismus verbinden wir oft ein sehr negatives Gefühl oder eine negative Einstellung. Denn viele von uns kennen schon seit Kindertagen die mahnenden Worte: „Der Esel nennt sich stets zuerst.“ Kein Wunder also, dass wir bei diesem Thema einen Tunnelblick entwickelt haben. Wir sehen nur: Da ist jemand, der sich über andere erhebt, andere klein macht, nur an seinen eigenen Vorteil denkt. Bisher hat es (vielleicht erziehungsbedingt) so gut wie nie geklappt, beim Egoismus auch die positive Seite zu sehen.
Egoismus ist notwendig, um sich selbst zu lieben
Ich halte es für überlebensnotwendig, zu einem gewissen Maß egoistisch zu sein. Denken Sie nur an das Gebot aus der Bibel “Liebe deinen Nächsten wie dich selbst”. Egal wie religiös oder nicht religiös wir sind – diesen Wert haben wir alle irgendwie verinnerlicht. Sehen wir uns den Satz einmal genauer an, stellen wir fest: Aha – wenn ich meinen Nächsten lieben soll wie mich selbst, dann muss ich mich selbst eben auch lieben, sonst geht das nicht.Also fragen wir uns als Nächstes: Wie viele Menschen lieben sich denn selbst? Die Antwort wird vermutlich katastrophal ausfallen. Denn Selbstliebe wird bei vielen gründlich missverstanden: Bei der Karriere über Leichen zu gehen, ist nicht unbedingt ein Zeichen dafür, sich selbst zu lieben – auch wenn man dabei an sich denkt. Ohne Eigenliebe wird das nichts mit der Nächstenliebe. Denn sie ist Voraussetzung für jegliches humanes Denken und Handeln.
Du musst dich selbst lieben, um andere lieben zu können
Ein Beispiel: Stellen Sie sich vor, Sie sitzen im Flugzeug, plötzlich fällt der Druck ab und Sie werden aufgefordert, eine Sauerstoffmaske anzulegen. Da ist es völlig selbstverständlich, dass Sie zuerst sich selbst retten oder versorgen müssen, damit Sie anschließend auch anderen Menschen helfen können. Nach diesem Prinzip gehen auch Rettungskräfte vor. Ich glaube, dass es uns mit der Zeit krank gemacht hat, uns nicht einzugestehen, dass wir auch an uns denken müssen.
Wer jemand anderen mit „Du Egoist!“ beschimpft, zeigt dadurch auch seinen eigenen Egoismus. Warum? Ganz einfach: Wahrscheinlich werfen wir nämlich dem anderen egoistisches Verhalten vor, weil er etwas von uns möchte, was uns nicht gefällt. Oder weil er etwas nicht tut, was wir von ihm wollen. Ich frage Sie: Wer ist nun der Egoist?
Glück kommt nicht von außen, sondern von innen
„Jeder ist seines Glückes Schmied“, heißt ein Sprichwort. Aber Glück entsteht nicht durch ein „Wenn-Dann!” Anders gesagt: „Wenn ich dies oder das gemacht habe, bekomme ich jenes zur Belohnung.“ Oder: „Wenn ich nett bin und mich hier und da anpasse, bekomme ich eine Gehaltserhöhung.“ Das ist eine Illusion! Glück kommt nicht von außen, sondern von innen – und zwar durch die eigene Einstellung.
Wir haben uns eben schon gefragt, wie viele Menschen sich wohl selbst lieben. Überlegen Sie nun weiter: Wie viele Menschen halten sich für glücklich? Mit sich, mit ihrem Leben? Da fällt die Antwort bei den meisten auch nicht gerade rosig aus. Denn wenn ich auf Bestätigung und Anerkennung angewiesen bin und ich mein Glück immer nur im Außen suche, werde ich abhängig und bedürftig, drehe mich im Kreis. Das ist anstrengend und doch nie genug.
Was hat Glück mit Egoimus zu tun?
Gehen wir über das Private hinaus und sehen uns außerdem an, was aktuell in unserer Gesellschaft passiert: Da sind die Bankenkrise, Lebensmittelskandale, Missbrauch in der Kirche und so weiter. Und nun horchen die Menschen plötzlich auf und fragen sich: Wollen die Banker, die Lebensmittelindustrie, die Pharmaindustrie wirklich das Beste für uns?
Es geschieht eine Desillusionierung – und das ist gut, denn der Einzelne erkennt: Ich muss auf mich selbst achten. Das kann ich eben nicht den Banken und der Industrie überlassen, denn die haben ihre eigenen Interessen. Wenn es mir gut gehen soll, dann muss ich selbst dafür sorgen und darf nicht jedem blind vertrauen! Genau das bedeutet positiver Egoismus.
Das ist, zugegeben, manchmal schwierig. Denn viele Menschen wissen eigentlich gar nicht so genau, was sie glücklich macht. Das ist kein Wunder. Nach einer Harvard-Studie haben wir bis zu unserem 18. Lebensjahr schon 148.000-mal das Wort “Nein” gehört. Wir lernen zu häufig, dass wir abgewiesen werden oder unser Herz verletzt wird, um noch vernünftig sagen zu können: “Das hier brauche ich aber.“ Oder: “Das möchte ich gerne.“
Wenn wir auf die Welt kommen, sind wir offen und mutig, kennen uns und unsere Stärken. Und dann verliert sich das nach und nach im Nebel (Übrigens: Lesen Sie “Leben” mal rückwärts!). Daraus muss man wieder herauskommen und erkennen: Wer bin ich eigentlich und was macht mich glücklich?
Gesunder Egoismus bedeutet, nein sagen zu lernen
Im Nein achte ich mein Sein! Auch diese Formulierung wirkt auf den ersten Blick negativ, denn nur zu oft haben wir schon erlebt, dass uns ein NEIN an den Kopf geworfen wurde und wir uns daraufhin geknickt oder enttäuscht fühlten. Aber ein Nein muss keineswegs zickig oder böse sein, im Gegenteil: Ehrlich und damit authentisch nein zu sagen ist ein ganz wichtiger Bestandteil der Selbstachtung und Selbstliebe! Aber natürlich sollte man genau abwägen, was die konkrete Situation erfordert.
Wenn beispielsweise der Chef mich bittet, heute drei Überstunden einzulegen, damit ein äußerst wichtiges Projekt noch termingerecht fertig wird, wäre ein Nein unangebracht – auch im eigenen Interesse. Aber das Ja zu den Überstunden muss ich wirklich wollen. Denn: Viele Menschen sagen häufig ja, denken aber ein Nein. Und das wird zum Problem: Wenn ich etwas tue, das ich eigentlich nicht möchte, verlange ich unbewusst danach, dass der andere sich revanchiert.
Wenn du im richtigen Moment “Nein” sagen kannst, hilft das dir und deinen Mitmenschen
Das Ende vom Lied: Passiert das öfter, habe ich irgendwann die Nase voll. Und wenn dann in einer akuten Situation ein Nein herausplatzt, steckt da jede Menge Ärger von vielen anderen Malen drin, an denen ich eigentlich nein sagen wollte. Und schon kommt die Absage viel zu vehement und überzogen rüber und führt eventuell zu Konflikten. Das ist weder für mich, noch für mein Gegenüber schön. Durch gesunden Egoismus kann ich lernen, dann nein zu sagen, wenn es angebracht ist.
Selbstliebe: Auch mal an sich denken, statt alle immer zufrieden stellen zu wollen
Bevor man also zu- oder absagt, ist es viel klüger, in sich hineinzuhorchen und sich zu fragen: Kann und will ich das leisten? Kann ich etwas geben, ohne dafür etwas haben zu wollen? Der andere wird letztlich viel besser damit umgehen können, wenn ich ehrlich (und positiv egoistisch) bin, als wenn ich unter Zähneknirschen ja sage. Ein weiteres Beispiel: Wer abends nach Hause kommt und absolut keine Lust mehr auf Kochen hat, geht nun nicht patzig an das Thema heran, sondern sagt:
“Schatz, ich weiß, wir hatten ausgemacht, dass ich jetzt koche, aber ich möchte nicht, weil ich viel zu müde bin. Wir können entweder gemeinsam kochen, essen gehen oder den Pizza-Service anrufen.“ Der Partner wird Verständnis zeigen, denn es wurde ja gleich auch ein konstruktiver Gegenvorschlag gemacht. Und so werden die Bedürfnisse beider erfüllt, ganz entspannt.
Zum Schluss noch ein Sprachbeispiel für Sie: Wir können glücklich SEIN, aber wir MACHEN uns Sorgen. Das heißt: Glück ist ein Zustand – er findet immer im Jetzt statt. Sorgen hingegen sind ein Prozess, der immer schon die Zukunft vorausnimmt, ohne zu wissen, wie sie denn sein wird. Und das stresst. Finden Sie also lieber zurück zu Ihrem Sein, denn nur dann können Sie in diesem und in vielen weiteren Momenten glücklich sein und für sich und die anderen die Lebensqualität verbessern.
Lesen Sie im nächsten Teil, wo die Grenze zwischen positivem und negativem Egoismus liegt und wieso positiver Egoismus nicht nur uns selbst etwas nützt, sondern auch Firmen und Unternehmen.
Aufgezeichnet von: Manuela Hartung