Im Boxring muss man schnell reagieren können, um einen Kampf zu gewinnen. Und auch im Alltag ist unsere Reaktionsfähigkeit oft gefragt. Ex-Box-Profi und evidero-Experte Rüdiger May erklärt, wie beides zusammenhängt.
Unsere Reaktionsfähigkeit beginnt im Kopf. Um schnell zu sein und gut reagieren zu können, müssen wir versuchen, Aktionen und Bewegungsabläufe vorauszusehen. Das ist wichtig bei den eigenen Aktionen, aber auch bei denen des Gegners.
Der Trick ist es, Bewegungsmuster und Verhaltensmuster zu erkennen. Erst, wenn ich das kann, bin ich in der Lage entsprechend zu reagieren. Natürlich ist es nicht gerade einfach, auf etwas zu reagieren, das völlig unverhofft kommt und ohne Vorberechnung auf einen einstürmt. Umso wichtiger ist, dass ich wenigstens halbwegs auf das gefasst bin, was kommen kann. Wie agiert mein Gegner, wie pariert er meine Schläge, wie geht er mit meinen Ausweichmanövern um? Wenn ich das erkannt habe, bin ich wirklich vorbereitet.
Reaktion beginnt bei der Wahrnehmung
Wir Menschen haben alle ein bestimmtes Wahrnehmungsvermögen. Werde ich zum Beispiel attackiert, dann hat mein Gehirn den “Job”, einen bestimmten Muskel anzusteuern, damit dieser sich bewegt und auf den Reiz reagiert. Auf dem Weg vom Gehirn zum Muskel darf keine Information verloren gehen und das Ganze sollte natürlich möglichst schnell funktionieren.
Das geht aber nur, wenn meine Muskulatur locker ist. Wenn der Muskel schon angespannt ist, also eine Vorspannung hat, dann fehlt mir die Kraft für die Bewegung, die ich durchführen will. Das ist natürlich ein Problem, denn alleine durch das aufrechte Stehen beim Boxen sind ja schon Muskeln angespannt.
Als Trainer weise ich meine Boxer deshalb an, sich auf den Bauch zu legen und die Arme in Schulterhöhe anzuheben. Auf mein Signal müssen sie sich dann vom Boden abdrücken, so dass der Oberkörper ein kleines Stück angehoben wird. Die Muskulatur wird nur dann angespannt, wenn das Signal und damit der Bewegungsablauf kommt. Das verkürzt die Zeit, die der Impuls vom Gehirn zum Muskel braucht. Besser kann man seine Reaktionsfähigkeit eigentlich gar nicht trainieren.
evidero Übungen: schnellere Reaktionsgeschwindigkeit mit Partner*in
Damit keine Langeweile auftritt, hat evidero einige Übungen für eine schnellere Reaktion zusammengefasst.
1. Übung: Stock fangen
Bei dieser Übung hält die Partner*in den Stock etwa in der Mitte hoch und lässt ihn ohne Signal los. Die Athlet*in steht direkt gegenüber und fängt den Stock so schnell sie kann. Diese Bewegung wird immer wieder wiederholt. Bei dieser Übung sieht man den Fortschritt, den man macht, daran, wo der Stock gefangen wird. Je tiefer der Griff, desto schneller ist die Reaktionsgeschwindigkeit. Erschwert wird die Übung, indem die Personen sich nicht direkt gegenüberstehen, sondern zwei Meter Abstand halten und das Fallenlassen des Stocks möglichst unerwartet kommt.
2. Übung: Bewegungen auf Signal
In diesem Fall kommt die Bewegung mit Signal, soll aber so schnell wie möglich durchgeführt werden. Besonders viel Spaß machen diese Übungen in einer Gruppe. Bei der einfachen Variante wird eine Übung wie Kniebeugen gewählt. Sobald die Trainer*in runter ruft, machen die Athletinnen eine Kniebeuge. Schwerer wird die Übung, wenn man mehrere Übungen wählt und Synonyme dafür findet. Zum Beispiel blau für Kniebeuge, gelb für Sprung und rot für Hampelmann.
3. Übung: Sprints auf Signal
Reaktionstraining ist bei einigen Sportarten besonders wichtig. Dazu gehört der Boxsport – dem Schlag möglich schnell ausweichen, Tennis – den Aufschlag annehmen und das Laufen – ein schneller Sprintstart. Mit Sprints kann man die Reaktionsgeschwindigkeit ganz einfach ohne weiteres Equipment trainieren. Mit entsprechenden Apps braucht man nicht mal unbedingt eine Partner*in.
evidero Übungen: Reaktionsfähigkeit steigern ohne Partner*in
4. Übung: Bewegungen nach Anleitung
Eine ähnliche Übung funktioniert auch ohne Partner*in. Mit Pfeilen oder Symbolen bereitet man sich eine Übungsabfolge vor, die man dann schnellstmöglich durchführt. Arbeitet man mit Pfeilen, kann der Pfeil abwärts für “in die Hocke gehen” stehen, der Pfeil aufwärts für “hoch springen” der Pfeil nach links für “linken Arm nach oben strecken” und der Pfeil nach rechts für “rechten arm zur Seite anheben”. So kombiniert man Kraft- Koordination- und Reaktionstraining auch ohne Trainingsparter*innen.
5. Übung: Trail Running
Die Vorteile von Trail Running haben wir bereits in diesem Artikel beschrieben. Ein Bonus ist definitiv das Reaktions- und Koordinationstraining, das ganz unbewusst stattfindet. Im Gegensatz zum Laufen auf dem Laufband muss man bei Waldläufen Steinen ausweichen, über Wurzeln springen und schnell auf unterschiedliche Untergründe reagieren – auch das schult die Reaktionsgeschwindigkeit.
Im Voraus planen, um schnell zu reagieren
Ein gutes Reaktionsvermögen nützt natürlich auch im Alltag. Ich merke bei mir zum Beispiel, dass ich Gegenstände besser fangen oder ihnen ausweichen kann. Und auch als Autofahrer ist eine gute Reaktion mehr als hilfreich.
Aber es geht auch darum, vorausschauend zu denken. Das ist wie beim Schach, bei dem ein guter Spieler drei Züge im Voraus plant, ein Profispieler sogar fünf oder mehr. Ich habe gemerkt, dass ich immer besser argumentieren konnte, je mehr ich meine Reaktionsfähigkeit verbessert habe. Ich bin schlagfertiger geworden, denn wenn ich ein Argument angebracht habe, habe ich mir schon ausgerechnet, was als Gegenargument folgen könnte und war darauf vorbereitet.
Das mache ich auch gar nicht bewusst, das läuft schon automatisch. Wenn ich in einer Diskussion bin, passiert es meist, dass ich, noch während ich meine Argumente vortrage, gleichzeitig überlege was der andere darauf erwidern wird. So hat meine Reaktionsfähigkeit im Boxring mir auch meinen Alltag erleichtert.
Aufgezeichnet von Manuela Hartung und Marc Saha