Kennen Sie das: Sie sind auf eine Hochzeit eingeladen und sollen eine kleine Rede halten? Oder Sie sollen eine Präsentation vorstellen, die wichtig für Ihre Karriere ist? Oder Ihr Chef fordert Sie plötzlich im Büro auf, ein paar spontane Worte an Ihre Kollegen zu richten? Das kann ganz schön nervös machen, nicht wahr? evidero-Auftrittscoach Michael Bohne erklärt, wo das Problem liegt und wie man besser mit solchen Situationen umgehen kann.
Zunächst muss man mal sagen, dass die allermeisten Menschen es kennen, vor einer Rede oder einem Vortrag aufgeregt zu sein. Manche fühlen sich nur ein bisschen unwohl, andere werden dann plötzlich ganz steif und formal und wieder andere sind so voller Angst, dass ihre Großhirnrinde sich ausschaltet. Das erlebt man dann als Blackout. Also, alles völlig normal.
Dass man eine Rede oder einen Vortrag als schlimm erlebt, hat etwas mit der potentiellen Bewertung in der Situation zu tun. Wer sich über andere “erhebt”, wird eben auch bewertet. Und wir haben eine tiefe Angst in uns, nicht mehr akzeptiert oder abgelehnt zu werden. Aus psychodynamischer Sicht haben wir auch Angst, dass wir unser Idealbild nicht aufrecht erhalten können, das wir uns von uns selbst gemacht haben und das wir gern nach außen präsentieren.
Wir haben Angst, dass andere bei uns mögliche Schwächen oder Unzulänglichkeiten erkennen könnten. Da die meisten Menschen in der Kindheit, Schule und im Elternhaus in einer Art Trainingslager waren, das Anerkennung durch Leistung verspricht, lauert natürlich bei Leistungsversagen der totale Anerkennungsverlust.
Tipps für freie Rede
Für freie Rede gilt: Man sollte auf alle Fälle in der Materie drin sein, die man präsentieren möchte. Je weniger ich von dem Thema verstehe, desto begründeter aufgeregt werde ich sein. Rhetorik-Trainings können nützlich sind, allerdings besteht bei schlechten Trainings die Gefahr, dass wir dann nur noch einen wohl geglätteten Einheits-Präsentations-Brei zu sehen bekommen, so ähnlich wie die lebensfeindlichen Powerpoint-Präsentationen.
Wenn ich zu meinem Blackout stehe, ist er halb so schlimm. Aber wenn nichts mehr geht, dann geht eben nichts mehr. Ich würde am ehesten offen sein und sagen, dass ich den Faden verloren habe – und ob mir das Publikum behilflich sein könnte, ihn wieder zu finden. Wenn ein Blackout meiner Karriere schaden könnte, würde ich mir vorher ein Auftrittscoaching gönnen. Das ist allemal günstiger als ein Karriereknick, bzw. das Ende der Karriere.
Die häufigsten Fehler beim Reden halten
- Perfektionismus, also gut sein wollen. Das Wollen verhindert das Können
- Gut gefunden werden wollen, weil man sich damit vom Publikum abhängig macht und versklavt. Es muss vollkommen o.k. sein, wenn einige einen nicht so gut finden
- Inneres Schrumpfen, also sich kleiner oder jünger fühlen, als man ist
- Eine zu geringe Fehler-Freundlichkeit. Wer Angst vor Fehlern hat, dessen Nervensystem neigt durch den Stress dazu, mehr Fehler zu machen
- Unklar sein, was einem selbst wichtig an dem Thema ist. Wer nicht weiß, was ihm an dem Thema wichtig ist, hat nichts zu sagen. Wer nicht überzeugt ist, kann nicht überzeugen
So hält man eine gute Rede
- Ein Spickzettel kann nützlich sein. Wenn ich dazu stehe, mir ein paar gute Ideen auf einer Karteikarte notiert zu haben, da ich sie dem Publikum auf keinen Fall vorenthalten will, und ich voll und ganz dazu stehe, auf diesen Zettel zu schauen, dann ist das vollkommen okay. Was gar nicht geht ist ein verstohlenes Schielen auf einen Spickzettel. Das wirkt unprofessionell.
- Freie Rede ist besser als Ablesen. Ob freie Rede oder Ablesen ist eher eine Geschmacksache. Sicherer ist es scheinbar, einen vorbereiteten Text abzulesen, allerdings sind die Gefahren meiner Erfahrung nach auch größer. Denn man schafft es kaum, einen guten Kontakt zum Publikum aufzubauen und das enge Format eines vorbereiteten Textes kann einem auch zum Gefängnis werden. Je enger die Formate, desto größer der Stress. Die Tagesschau um 20 Uhr in der ARD ist vermutlich das engste und stressigste Format, während das Nachtmagazin wieder lockerer ist und mehr Freiräume lässt.
- Den Einsatz von nonverbalen Mitteln wie Mimik oder Gestik nicht planen. Die Gefahr, dass man nicht mehr authentisch ist und somit auch unecht wirkt ist sehr groß. Ich hasse jegliche gewollte und geplante Perfektion und liebe die zufällige und absichtslos auftauchende Perfektion. Erstere macht auch erheblichen Stress, während letztere ein Flowgefühl verursacht.
- Sprachunterricht nehmen. Wer einen Spickzettel nutzen möchte, aber Angst hat, dann zu geplant zu klingen, kann folgendes berücksichtigen: Man könnte sich z.B. nur Stichworte notieren, dann kann man ja nicht ablesen. Wer Geschriebenes gut vortragen will, sollte vier Jahre eine Schauspielschule besuchen. Schauspieler sind die wenigen, die wirklich gut mit Sprache umgehen können. Die Vorträge der Vorstandsvorsitzenden der meisten DAX-Unternehmen grenzen hingegen an Körperverletzung. Aber das kommt davon, wenn man perfekt und unangreifbar sein will. Schlechte Vortragsredner sollte man tatsächlich wegen Körperverletzung anzeigen, denn man hat eine Verantwortung, wenn man oben auf einem Podium steht. Man hat die gesamte Aufmerksamkeit aller Anwesenden, das bringt tatsächlich eine Bringschuld mit sich. Die kann man aber nicht mit Perfektion oder Makellosigkeit ausgleichen, sondern nur mit Echtheit, also Authentizität, Liebe für die Sache, inhaltlicher Überzeugung und mit Dienst am Gegenüber.
Ich wünsche allen, dass sie ihre Auftritte genießen können. Nur wenn wir uns auf der Bühne wohl fühlen, sind wir da richtig gut. Die Bühne ist keine Gefahrenort, sondern ein Lustort!