Im letzten Teil hat evidero-Bloggerin Svena Steinbrecher über ihr persönliches Rollenverständnis geschrieben. Jetzt geht es um die Frage, was Stärke bei Frauen oder Männern überhaupt heißt.
Aber was macht nun wirklich eine starke Frau oder einen starken Mann aus? Sind die starken Frauen tatsächlich die Karrierefrauen? Oder die Muttertiere, die ihr Leben der Familie „opfern“? Und die Männer? Sind die Familien-Ernährer die Starken oder die modernen Hausmänner?
Stark sein = Sich den gängigen Schönheitsidealen widersetzen
Ich muss da spontan an meine älteste Kindheitsfreundin denken. Sie hat mich auf ein für mich völlig neues Bild von einer starken Frau gebracht. Als wir vielleicht 15 oder 16 Jahre alt waren, war sie ein ziemlicher Hippie und hat sich nicht die Beine oder Achseln rasiert.
Sie hatte eine ziemlich starke Körperbehaarung und ich war bereits in dem Alter, wo ich mir nicht mehr vorstellen konnte, Haare unter den Armen zu haben. Also fragte ich sie eines Tages, warum sie sich denn nicht die Beine rasieren würde. Sie antwortete ohne lange nachzudenken: „Warum sollte ich mich rasieren? Dann wäre ich doch ein Opfer der Gesellschaft!“
Natürlich hörte sich das ganz schön Hippie-mäßig an, dennoch hat es mich zum Nachdenken gebracht. Im Prinzip hatte sie Recht! Wir sind tatsächlich ein Opfer der Gesellschaft, wenn wir uns wider unserer Natur den Schönheitsidealen unserer Welt unterwerfen.
Dies wird jetzt kein Appell für Körperbehaarung, ich werde mir auch weiterhin die Beine rasieren, aber für mich war und ist meine Freundin eine starke Frau, die sich ihrer so sicher ist, dass sie darauf pfeift, was die Leute von ihr denken. Sie steht auch heute noch zu ihren Haaren am Körper und unterwirft sich nicht.
Sie ist inzwischen Lehrerin und lässt sich auch nicht von ihren Schülern, die natürlich über die Achselhaare tuscheln, einschüchtern. Die Schüler von heute, die vorher wahrscheinlich noch nie eine Frau mit Achselhaaren gesehen haben. Ich habe mal von einer Studie gelesen, in der es hieß, dass 80% der Jungs zwischen 12 und 18 nicht wussten, dass Frauen Haare am Körper wachsen. Beeinflusst von der haarlosen Pornoindustrie, in der Haare höchstens für einen Fetisch gut sind, aber das ist ein anderes Thema.
Stark sein = Schwäche zeigen können
Für mich bedeutet Stärke, wenn man auch seine Schwächen zeigen kann. Und das gilt sowohl für Männer, als auch für Frauen. Ich habe damit große Probleme. Ich bin es ja gewohnt, als allein erziehende Mutter alles alleine zu machen und weiß gar nicht genau, ob ich Hilfe tatsächlich annehmen kann.
Ich glaube, dass es vielen „starken“ Frauen so geht, die unabhängig sind. Ich kenne Frauen, die auch immer alles alleine machen und sich dann gleichzeitig beschweren, dass sie alleine gelassen werden, obwohl ihnen vielleicht Hilfe angeboten wurde. Ich wuchte im Zug den schweren Koffer auch alleine in die Gepäckablage und schlage jedes Hilfsangebot mit „Danke, das geht schon!“ ab.
Das alles-alleine-machen sehe ich besonders bei jungen Müttern, die im Umgang mit dem Neugeborenen sehr dominant werden und dem Vater oftmals nicht zutrauen, dass er mit dem Baby richtig umgeht. Gleichzeitig fühlen sich die Mütter alleine gelassen und nicht verstanden. Stärke wäre für mich, wenn man sagen könnte, dass man Hilfe braucht. Ich bin in der Hinsicht schwach und lerne gerade, meine Bedürfnisse zu spüren und auszudrücken. Gar nicht so einfach!!
Vor allem nicht für mich, da ich schon allein durch meine Größe stark wirke. Da bin ich doch manchmal etwas neidisch auf die kleinen „Mäuschen“, die bei den Männern den Beschützerinstinkt wecken und denen vieles abgenommen wird. Vielleicht haben sie Probleme damit, dass sie sich nicht ernstgenommen fühlen, wer weiß? (Noch mal zur Erinnerung: Ich spreche ganz allgemein hier!!)
Und was macht einen Mann zu einem starken Mann?
Für mich wäre ein Mann stark, wenn er mir bei diesen Sehnsüchten entgegen kommen würde. Wenn mich ein Mann stark sein lässt, mich aber auch beschützen möchte. Wenn er sich seiner eigenen Stärke bewusst ist, aber auch seiner Schwächen und zu ihnen steht. Mir genauso viel Respekt entgegen bringt, wie ich ihm.
Hört sich doch ganz einfach an, oder?
Da fällt mir auch ein Beispiel ein. Ich habe einen Freund, dessen Frau mit ihrer Arbeit sehr viel Geld verdient. Mehr als er in seinem Job. Da war es die logische Konsequenz, dass er sich um die Kinder kümmert, während sie die Brötchen verdient. Er fühlt sich durch diese Aufteilung auch nicht in seiner Männlichkeit beschnitten, sondern genießt es, anders als viele arbeitende Männer, viel Zeit mit seinen Kindern zu verbringen.
Das ist meine Ansicht von Stärke und Schwäche. Ich glaube aber, dass jeder dazu eine eigene Meinung haben kann und sollte. Was für mich Starksein bedeutet, kann für einen anderen ein Zeichen von Schwäche sein. Grundsätzlich glaube ich aber, dass jeder stark ist, der weiß, was er/sie will oder nicht will und dem nachgeht, ohne die Mitmenschen dabei zu vergessen.
Was meint ihr?