Lösungsorientierte Berater kümmern sich um den Weg aus einem Problem und weniger um die Ursache des Problems. evidero-Experte Stefan Ostler hat im ersten Teil geschildert, wie die Lösungsorientierte Beratung grundsätzlich funktioniert. Nun zeigt er, wie der Berater seiner Klientin auf dem Weg zum Ziel weiter hilft.
Noch immer sitzt Iris Müller in der Praxis des Lösungsorientierten Beraters Marcus Meyer. Der Berater nutzt ein typisches Instrument der Lösungsorientierten Beratung: „Bitte stellen Sie sich eine Skala von null bis zehn vor. Null steht für Ihre schlimmsten Befürchtungen, zehn für den idealen Tag. Wo stehen Sie da heute?”
Müller überlegt lange. Zögerlich sagt sie: “Bei drei.” Marcus Meyer schaut sie an: “Drei ist schon mal besser als null, oder? Können Sie mir sagen, wer Ihnen hilft oder wer Sie unterstützt, dass Sie bei drei stehen und nicht nur bei null?”
Seine Klientin Iris Müller überlegt kurz: “Na ja, wenn Sie mich so fragen, sicher meine beste Freundin Anna. Bei ihr kann ich mich ausheulen und sie hat ab und an einen guten Tipp für mich.” “Das heißt, es ist Ihnen wichtig, dass jemand da ist, der Ihnen zuhört“, fasst Meyer das Gehörte zusammen. “Wer noch?”, fragt er weiter.
Oft benötigen Klienten Zeit, um sich intensiv mit einer Frage auseinander zu setzen und nicht nur schnell und oberflächlich zu antworten. Weitere Fragen drehen sich um ihre eigenen Leistungen, die dazu beigetragen haben, dass sie sich besser als bei null stehend fühlt. Und die Lösungsorientierung fragt auch nach Zufällen. Als Marcus Meyer nach möglichen Ausnahmen fragt, nimmt das Gespräch eine interessante Wende.
Gefühle sollte man nicht unterdrücken
“Frau Müller, gibt es Situationen, in denen es sich für Sie heute schon besser als drei anfühlt?” Bei dieser Frage muss die Klientin lange nachdenken. Berater Meyer gibt ihr die Zeit, die sie braucht. Am Ende sagt sie: “Ja, vor drei oder vier Wochen. Da war ich so sauer auf meinen Chef, da hab ich ihm das direkt gesagt, dass das so nicht mehr geht!”
Frau M. wird richtig wütend als sie das sagt. Hier hakt Meyer genauer nach: “Wow, ich kann jetzt noch spüren, wie aufgeregt Sie da waren. Wie haben Sie das gemacht, ich meine, wie haben Sie es geschafft, das Ihren Chef so direkt spüren zu lassen?”
Frau M. muss einen Moment lang nachdenken. “Ich konnte einfach nicht anders. Den ganzen Tag lang ging es schon hin und her, immer wieder kam er mit etwas Neuem zu mir. Kurz vor Feierabend ist mir dann der Kragen geplatzt. Ich war mit Anna verabredet und zehn Minuten bevor ich gehen wollte, sollte die Präsentation für den nächsten Tag zum x-ten Mal geändert werden.
Da bin ich richtig wütend geworden und habe gesagt: “Herr Huber, das geht wirklich zu weit. Das ist jetzt die x-te Änderung, ich kann nicht mehr, ich schaffe das nicht mehr. Ich komme morgen früh gerne eine Stunde früher und arbeite alle Änderungen, die Sie noch haben, ein. Aber jede halbe Stunde eine andere Änderung, das geht nicht. Dann schaffe ich nichts anderes mehr und alles andere bleibt liegen!” “Das haben Sie wirklich so gesagt?”. Marcus Meyer ist sichtlich überrascht. “Wie haben Sie das hinbekommen?”.
Man braucht gar nicht für alles eine Lösung
Berater Meyer geht an dieser Stelle einer wichtigen Spur nach. Klientin Müller hat hier offenbar etwas, das sehr hilfreich für sie sein könnte. Vermutlich ist sie sich dieser Sache jedoch nicht bewusst und deshalb möchte er ihr den Blick dafür öffnen.
“Ich musste das einfach mal loswerden”, so Iris Müller, “Ich hatte ein unglaublich schlechtes Gewissen, als ich am nächsten Morgen früher ins Büro kam. Ich hätte wirklich nicht mit meinem Chef so sprechen sollen. Auf meinem Schreibtisch lagen tatsächlich die Ausdrucke der Folien mit allen weiteren Änderungen. In 20 Minuten hatte ich das alles eingebaut und als Herr Huber um 8.30 Uhr ins Büro kam, war alles fertig.”
“Ich finde das ist doch eine wirklich gute Idee von Ihnen gewesen. Ich bin beeindruckt. Haben Sie öfters solche Ideen?” “Ja, schon, ich glaube ich kann ganz gut strukturiert denken und arbeiten. Wenn mich Herr Huber nur lassen würde…”
“Frau M. Sie haben eben gesagt, dass Sie auf der Skala zwischen null und zehn im Moment ungefähr bei drei stehen. Mal abgesehen davon, dass zehn perfekt wäre, womit wären Sie denn zufrieden?” Spontan kommt die Antwort: “Also sechs wäre schon toll.” In der Beratung kommt es oft vor, dass Klienten beim Erreichen ihrer Ziele sehr realistisch vorangehen. In den seltensten Fällen wird die Zehn als das zu erreichende Ziel genannt.