Das Restaurant auf dem Hügel, die einladende Küche von Freunden. Wer kennt sie nicht, diese Wohlfühl-Orte, die man gar nicht mehr verlassen möchte. Das könnte schlicht am Zufall oder einem ausgeprägtem Einrichtungs-Talent liegen. Vielleicht aber auch am guten Feng Shui. Diese aus China stammende Einrichtungs-Philosophie wird auch bei uns immer häufiger in Raumkonzepten angewendet. evidero-Bloggerin Inga Gebauer gibt einen Einblick in die Grundlagen und erzählt von ihrem Selbstversuch mit feng shui-gerechtem Wohnen.
Was ist Feng Shui eigentlich?
„Wind und Wasser“ heißt Feng Shui wörtlich übersetzt.
Dabei handelt es sich um eine Energie-Harmonisierungslehre, die sich in China aus der daoistischen Philosophie entwickelt hat. Grundsätzlich geht es darum, den Menschen und seine Umgebung miteinander in Einklang zu bringen. Früher wurden in China Bauplätze auch tatsächlich nach einem günstigen Zusammenspiel von Hügeln, Luftbewegungen und Gewässern ausgesucht.
Weil das in Zeiten von Mietwohnungen ziemlich unmöglich geworden ist, hat man die Feng-Shui-Prinzipien abgewandelt und gestaltet damit Wohn- und Lebensräume. So auch wir, meine Mitbewohnerin und ich in unserem kleinen Selbstversuch. Ich als Sinologin muss das ur-chinesische Konzept ja zumindest einmal ausprobiert haben.
Die Mitbewohnerin macht nach dem „Kann-ja-nicht-schaden“-Prinzip mit. Wir entscheiden uns für Einrichtungs-Maßnahmen, die uns sinnvoll erscheinen und gegen eine Feng-Shui-Komplettkur. Wer sich mit TCM (Traditionelle Chinesische Medizin) behandeln lässt, kann es ja auch bei der Akupunktur belassen und muss keine getrockneten Seepferdchen schlucken.
Das Qi im Feng Shui: So bewegt sich Energie durch die Wohnung
Die Grundannahme im Feng Shui: Wir sind stets und überall von Energien und Schwingungen, dem „Qi“ umgeben. Wir nehmen sie laut Ratgeberbuch (und meiner Erinnerung an Vorlesungen über den Daoismus) wahr als Atmosphäre, als Spannung im Raum, als Glücksgefühl, als ungute Vorahnung. Diese Energie fließt nach bestimmten Prinzipien uns lässt sich lenken.
Im günstigsten Fall wandert sie in sanft gewundenen Bewegungen durch den Raum, versorgt dort jede Ecke mit Licht und Luft, bis sie zum nächsten Fenster wieder hinausfließt. Im „worst case” stagniert die Energie in zugemüllten Ecken oder rast durch den Raum, ohne genutzt zu werden.
Feng Shui Prinzip Nummer eins: Aufräumen! Auch in den Ecken!
Schlechte Nachrichten für mich, die ihr kreatives Chaos immer verteidigt hat: Laut der Feng Shui-Lehre stagniert Energie überall dort, wo Unordnung herrscht. Besonders Zimmerecken, Schrankböden, Abstellkammern und Stauräume unterm Bett sind anfällig dafür. Um die Energie wieder ans Laufen zu bringen, putzen wir also erstmal was das Zeug hält — erst recht in den Ecken.
Auch Dinge, die ungenutzt herumliegen, bremsen den Energiefluss in Wohnungen.
Wir misten also aus. Kleiderschränke, Schreibtisch-Schubladen, Vorratskammern. Der Weihnachts-Schmuck bleibt, aber warum nochmal bewahre ich seit Jahren diesen reparatur-bedürftigen Wecker auf?
Feng-Shui-Grundsatz: Alles, was in einer Wohnung keinen festen Platz hat, kaputt oder tot ist oder ständig hin- und her geräumt wird, kann weg. Wir merken: Alles was man hat, das hat einen irgendwann. Und fühlen uns befreit, als wir zwei „Flohmarkt“-Kartons und einen „Sperrmüll“-Karton aus der Wohnung schleppen.
Für den Erlös vom Flohmarkt kaufen wir zwei Wochen später ein neues Schuhregal, damit kein Paar mehr im Flur herumliegen muss.
Wohnung einrichten: Fenster gegenüber Tür?
Die Energie soll sich im Raum bewegen, aber auch nicht als „Qi-Durchzug“ direkt wieder aus dem Raum rasen. Das ist zum Beispiel in langen, schlauchförmigen Fluren der Fall. Oder in Räumen, bei denen sich Tür und Fenster genau gegenüber liegen. Der Grundsatz zur Feng-Shui-Nothilfe: Das Qi fließt dahin, wohin wir unsere Aufmerksamkeit wenden.
Wir bringen daher in unserem langen Flur auf der einen Seite einen Spiegel und ein Bild an. Auf das neue Schuhregal stellen wir eine Friedenslilie und eine Lampe. Spiegel-Lampe-Bild-Pflanze, in der Reihenfolge wandert nun der Blick des Eintretenden. So haben wir hoffentlich das Qi in die gewünschte mäandernde Fließbewegung versetzt.
Schneidende Energie im Feng Shui: Scharfe Ecken und Kanten meiden
Nach der Feng Shui-Lehre senden spitze Gegenstände und scharfe Ecken und Kanten gemeine Energiepfeile aus. Das ist nachvollziehbar: Niemand setzt sich freiwillig so an einen Tisch, das die Ecke direkt auf den Bauch zeigt. In meinem Zimmer zeigt tatsächlich eine scharfe Regalkante genau auf den Schreibtischstuhl.
Laut Energielehre Ursache für meine häufigen Nackenschmerzen beim Tippen. Die fiese Kante wird durch eine Pflanze, die am Regal herunter rankt „entschärft“. Funktioniert hätte auch eine Lampe vor dem Regal, aber dafür ist kein Platz.
Die Einrichtung der Wohnung wirkt auf alle Lebensbereiche
Für uns skeptische Akademikerinnen hat die Beschreibung, man könne mit der richtigen Einrichtung seine Beziehung retten oder seine Finanzen sanieren einen durchaus esoterischen Beigeschmack. Eingefleischte Feng-Shui-Anhänger sind aber überzeugt, dass man durch die Gestaltung der eigenen vier Wände bestimmte Aspekte im Leben beeinflussen kann. Diese Annahmen stammen aus dem Daoismus.
Für Daoisten besaßen auch Gegenstände und Räume eine Seele, oder sagen wir einen Charakter. Je nach Eigenschaft werden sie im Feng Shui nach den fünf Elementen Holz, Feuer, Erde, Metall und Wasser kategorisiert. So sind Grün und Braun Holz-Farben, Wellenformen gehören zum Element Wasser, Keramik ist ein Erd-Material.
Im Feng Shui gehören gewisse Raumzonen zu verschiedenen Lebensbereichen
Außerdem gehören Raumzonen (nach Himmelsrichtungen) zu bestimmten Lebensbereichen: Karriere, Wissen, Freunde, Kinder bzw. Kreativität, Liebe, Anerkennung, Geld sowie Familie und Gesundheit. Im alten China wäre man übrigens niemals darauf gekommen, asymmetrische Grundrisse für Häuser zu verwenden, weil dann Zonen und Lebensbereiche fehlen. Die Feng Shui-Lehre geht davon aus, dass man diese Lebensbereiche positiv beeinflussen kann, indem man sie mit Dekoration oder Möbeln aus den jeweils passenden Farben und Materialien gestaltet.
Wir starten einen Versuch in homöopathischen Dosen. Ich tapeziere die (südwestliche) Geld-Ecke in meinem Zimmer mit einer grünen Blumentapete und stelle eine Bambuspflanze auf. Meine Mitbewohnerin erinnert die eher an das letzte Essen im China-Restaurant. Das darf sie auch. Viele Symbole kommen schließlich aus dem chinesischen Kulturkreis und wir Westler verbinden damit so gut wie nichts. Oder wussten Sie, dass Fische im Feng Shui ein Glückssymbol sind, weil man das chinesische Schriftzeichen für Fisch so ähnlich ausspricht wie „Wohlstand“?
Sie entscheidet sich für ein persönliches Symbol: Eine Fotogalerie mit Bildern von Freunden in der (nordwestlichen) Freundschafts-Zone.
Fazit: Feng Shui, die Ästhetik des aufgeräumten Flurs und Küchenpsychologie
Vier Wochen später: Wir halten uns beide nun viel lieber in der Wohnung auf, stolpern nicht mehr über herum fliegende Gegenstände und ärgern uns weniger über Kram, den man „eigentlich mal entsorgen“ müsste. Was die Lebensbereiche angeht: Ja, der Kontostand sieht besser aus als vor der Feng Shui-Kur. Ich weiß nicht, ob es am Bambus liegt.
Einige unserer Maßnahmen decken sich hervorragend mit aktuellen Erkenntnissen aus der Willensforschung: Wer Ordnung hält, der diszipliniert sich auch bei seinen Ausgaben. Erst recht, wenn man gerade mit viel Aufwand alles Unnötige ausgemistet hat.
Meine Mitbewohnerin lernt mehr neue und hilfreiche Menschen kennen als je zuvor. Wir bekommen auch mehr Besuch. Natürlich lädt man Freunde lieber in eine aufgeräumte, helle und freundliche Wohnung ein als in eine Chaos-Küche. Feng Shui oder Macht der Suggestion? Vielleicht gibt es da auch gar keinen so großen Unterschied.
Wir erklären uns das Phänomen so: Wer täglich Bilder vom fröhlichen Beisammensein mit Freunden sieht, signalisiert dem Unterbewusstsein, dass er genau dafür bereit und offen ist. Als nächstes persönliches Symbol stellen wir deshalb in der Küche unsere Kochbücher in die Gesundheits-Ecke. Wir wollen nämlich besser essen…