Alte Verletzungen sitzen manchmal so tief, dass man nicht weiß, wie man sie verzeihen soll. Ein Groll, der jahrelang fortbesteht, kann das eigene Glück blockieren und zu Unmut und Unzufriedenheit führen. Letztlich belastet man sich nur selbst, wenn man wütend auf jemanden ist. Mit diesen Anregungen kannst du lernen, auch tiefer greifende Verletzungen zu verzeihen.
1. Der Unterschied von Vergebung und Verzeihung
Auch wenn diese Wörter häufig synonym gebraucht werden – ebenso wie Versöhnung, Aussöhnen oder Ähnliches – verbirgt sich ein feiner Unterschied hinter ihnen. Zum Teil ist dieser schon an der Wortzusammensetzung zu erkennen, ein anderer Teil schwingt unausgesprochen mit.
- Ver-geben: Vergeben hat etwas mit “geben” zu tun, also mit “Gabe”. Man kann das Wort auch in völlig anderem Kontext nutzen, etwa “Ein Stipendium vergeben”. Es geht also darum, dass jemand etwas erhält. In diesem Fall erhält jemand, der irgendetwas falsch gemacht hat, den Erlass seiner Schuld.
- Ver-zeihen: “zeihen” ich eine alte Bezeichnung für “beschuldigen”. Verzeihen bedeutet demnach das Gegenteil einer Beschuldigung. Eine Anklage oder Bezichtigung wird zurückgezogen.
Man könnte also sagen: Wenn ich jemandem etwas verzeihe, dann werde ich ihn nicht wieder darauf ansprechen, ihn beschuldigen oder ihm etwas vorwerfen. Die Sache ist vom Tisch, auch wenn ich sie vielleicht nicht vergessen kann. Verzeihen ist ein Willensakt, etwas, das ich aussprechen kann, auch wenn ich es noch nicht im Herzen fühle.
Vergebung hingegen reicht tiefer. Wenn ich jemandem seine Schuld erlasse, dann ziehe ich nicht nur meine Anklage gegen diese Schuld zurück, sondern spreche ihn frei davon. Damit hat Vergebung jedoch auch immer einen leicht religiösen Touch, denn sie gilt in vielen Religionen als erstrebenswerte Tugend.
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Jeder von uns ist schon einmal von anderen Menschen verletzt worden. Andere sind schuldig an uns geworden, auf ganz unterschiedlichen Ebenen und je schwerer ein Vergehen wiegt, desto schwieriger ist es auch, es zu verzeihen. Dabei kommt es auch stark auf die eigenen Moralvorstellungen an.
Wie “falsch” findet man eine Lüge, einen Betrug oder einen Seitensprung? Wie verletzt ist man, wenn man belogen, bestohlen oder betrogen wird? Und wenn jemand mir wirklich weh getan hat, wieso sollte ich ihm überhaupt verzeihen? Es gibt Dinge, bei denen wir schnell denken “Das könnte ich nie verzeihen”. Dabei ist es vor allem für das eigene Wohl wichtig, etwas verzeihen und damit loslassen zu können.
Wie verzeihe ich anderen?
Stell dir vor, du hast einen Groll auf jemanden und dieser Groll manifestiert sich in einem Pfeilköcher auf deinem Rücken. Jedes mal, wenn du deinen Schuldiger triffst, wirst du wütend und schießt einen Pfeil auf ihn ab. Doch dein Köcher wird niemals leerer und deinem Schuldiger sind die Pfeile (dein Zorn, deine Tränen, deine Beschuldigungen) herzlich egal. Der einzige, der darunter leidet, bist du, denn DU musst die ganze Zeit das Gewicht des Köchers und der Pfeile schleppen.
Ständig wirst du an die Schuld erinnert, die dir angetan wurde, weil dein ganzer Fokus darauf ausgerichtet ist, deine Gedanken kreisen immer um die Pfeile auf deinem Rücken.
Du wirst diese Pfeile nicht los, indem du sie auf deinen Schuldiger schießt. Du wirst sie nur los, wenn du den Köcher und deine Munition ablegst. Mache dir klar, dass du das nicht für deinen Schuldiger tust (es ist ihm ja egal), sondern nur für dich. Du wirst das Gewicht los, das die ganze Zeit deine Schultern belastet hat. Das dich runter gedrückt, runter gezogen hat. Aber wie funktioniert das?
1. Du musst dir klar darüber werden, was sich in deinem Köcher befindet. Ist es Trauer? Wut? Verzweiflung? Angst? Enttäuschung? Dein Schuldiger hat irgendetwas in dir ausgelöst und das musst du identifizieren.
2. Schreibe deine Gefühle, Emotionen und Gedanken auf. Wenn du willst, bastele dir kleine Kärtchen, auf die du je ein Gefühl schreibst und einen Pfeil malst. Vernichte diese Karten anschließend auf eine dir angenehme Weise.
3. Sprich laut aus “Ich verzeihe X die Schuld Y”. Wahrscheinlich wird es nicht reichen, dir das einmal zu sagen. Vielleicht musst du es zehn mal tun, vielleicht hundert mal. Je nachdem, wie tief deine Verletzung sitzt, wird es nicht leicht, den Köcher abzulegen. Denke daran: Dies ist eine reine Willensentscheidung. Dein Herz muss erst verstehen, was dein Kopf schon entschieden hat.
Wenn du das Gefühl hast, dass sich keine Pfeile mehr in deinem Köcher befinden, dein Schuldiger also nicht mehr sofort starke negative Emotionen in dir auslöst, dann kannst du auch ihm selbst sagen, dass du ihm verzeihst. Damit gibst du deinen Köcher endgültig ab. Nun kannst du entscheiden, ob du mit deinem Schuldiger weiteren Kontakt wünscht oder nicht.
3. Sich selbst verzeihen lernen
Besonders schwer kann es sein, sich selbst einen Fehler zu verzeihen. Wenn man sein eigener Schuldiger ist, ist man quasi doppelt belastet: Mit der Schuld ansich, aber auch den Konsequenzen daraus.
Gerade die Konsequenzen, die man unter Umständen tagtäglich zu spüren bekommt, machen es schwierig und lassen einen glauben: “Ich kann mir nicht verzeihen“.
Betrachte eine Schuld dir selbst gegenüber nicht als Köcher, sondern als Rucksack. In diesem Rucksack befinden sich alle Fehler, die du jemals gemacht, aber dir nicht verziehen hast. Im Gegensatz zum Köcher, der immer nur eine bestimmte Anzahl von Pfeilen enthält, wird dein Rucksack von Tag zu Tag schwerer, denn jedes Mal, wenn du dir selbst Vorwürfe machst, belastest du dein eigenes Gemüt und fügst deinem Rucksack Gewicht hinzu. Was ist zu tun?
Wie verzeihe ich mir selbst?
1. Auch hier ist der erste Schritt, zu identifizieren, was sich in deinem Rucksack befindet. Welche Vorwürfe dir selbst gegenüber trägst du mit dir herum?
2. Sortiere aus! Bei manchen Entscheidungen oder Handlungen stellen wir im Nachhinein fest, dass sie ein Fehler waren. Doch in dem Moment, als du die Entscheidung getroffen hast, hast du nach dem entschieden, was du für das richtige hieltest. Solche Fehler deiner Vergangenheit solltest du direkt aus deinem Rucksack werfen, denn du wusstest es nicht besser. Achte einfach darauf, diesen Fehler nicht noch einmal zu machen.
3. Übrig bleiben die Gewichte (= Fehler), bei denen du weißt, dass du etwa entgegen deiner Moralvorstellungen gehandelt hast. Du wusstest, dass es falsch ist, was du tust, und hast es dennoch getan.
Hierbei musst du wiederum unterscheiden zwischen Fehlern, von denen nur du einen Nachteil hast, und welchen, von denen auch andere Menschen einen Nachteil haben. Sortierte diese. Wenn nur du einen Nachteil von deiner Entscheidung hattest, dann versuche, aus dem entstandenen Problem eine Herausforderung zu machen.
Für Herausforderungen kann man Lösungen finden. Vielleicht ist es schwierig und nicht so, wie du es dir eigentlich gewünscht hättest. Doch diese Verantwortung musst du nun tragen und das beste daraus machen. Wenn du eine Lösung für deine neue Herausforderung gefunden hat, kannst du das Gewicht aus dem Rucksack entfernen.
Wenn hingegen auch jemand anders Konsequenzen aus deinem Verhalten erfahren hat, dann ist dein nächster Schritt, diese Person um Verzeihung zu bitten.
Bevor du nicht weißt, dass der andere dir verzeihen kann, wird es dir sehr schwer fallen, deine Selbstvorwürfe loszulassen. Zeige, dass es dir wirklich leid tut. Wenn es schwerwiegend war, bitte nicht einfach um Entschuldigung, sondern tatsächlich um Verzeihung oder gar Vergebung. So machst du deutlich, dass du es wirklich ernst meinst.
4. Wenn alles nichts hilft und du deine Schuld nicht mit deinen Moralvorstellungen in Einklang bringen kannst, dann tue Buße. Suche dir etwa eine ehrenamtliche Tätigkeit und verwende Zeit darauf, anderen Menschen zu helfen und Gutes zu tun. Dies wird dein Gewissen erleichtern und dir die Möglichkeit geben, die letzten Gewichte aus deinem Rucksack abzugeben.
4. Nach dem Verzeihen kommt das Vergeben
Wenn du den Willensakt des Verzeihens vollzogen hast und deinen Köcher oder deinen Rucksack losgeworden bist, kann auch dein Herz nach und nach loslassen. Du wirst dich frei, erleichtert und erlöst fühlen und irgendwann aus vollem Herzen sagen können, dass du vergeben hast.