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Die Ur-Geschichte des Urban Gardenings: Am Anfang stand ein Kühl­schrank – die Erfolgs­geschichte der Green Guerilla

New York, im Frühling 1973: Liz Christy entdeckt einen Kühlschrank auf der Strasse. Zusammen mit Freunden entrümpelt sie ihn und gründet die Green Guerilla.
von Janine Otto
Urban Gardening stammt aus New York© Albachiaraa - Fotolia.com

*New York, im Frühling 1973: Liz Christy zieht die Türe ihres Ateliers hinter sich zu und macht sich auf den Heimweg. Die vermüllte und ölverschmierte East Houston Street würde man eher in der Bronx vermuten und nicht im südlichen Teil von Manhattan. Als Künstlerin besitzt Liz einen tiefen Sinn für Farbe und Komposition, Natur und Design. Hier jedoch lässt sie nichts erkennen, dass an diesem Ort einst der Landsitz des letzten niederländischen Gouverneurs von New Amsterdam, Peter Stuyvesant, stand – außer der Name des Viertels selbst: „Bouwerie“, der niederländische Name für Bauernhof. An diesem Tag ändert Liz Christy ihr Leben und damit das ihrer gesamten Stadt.

Seit fast 400 Jahren erlebt Manhattan einen ständigen Wandel: Einst ein Hafen für den Fellhandel und Anlaufstelle für die Einwanderer. Später wurden die Wallstreet Symbol für den Kapitalismus, der Broadway für das Theater und die einstürzenden Twin-Towers für den Terror. Neubeginn, Aufstieg und Untergang. An kaum einen Ort der Welt sind sie mehr verflochten als hier. Anfang 1970 war der südliche Teil New Yorks, die Lower East Side, geradezu entvölkert: Verlassene Häuser, Ruinen und Trümmerberge prägten das Stadtbild – die günstige Miete lockte viele Künstler an.

Im Vorbeigehen beobachtet Liz Christy vor einer Tankstelle an der Ecke Bowery und Second Avenue spielende Kinder. Einer der Jungs klettert in einen wild entsorgten Kühlschrank, um sich zu verstecken. Er zieht die schwere Türe von innen zu, das Schloss schnappt ein. Sofort begreift die Malerin die akute Gefahr. Sie befreit den Jungen und bringt ihn zu seiner Mutter:

„Können Sie Ihrem Kind nicht beibringen, sich nicht in alten Kühlschränken zu verstecken?“

„Und warum machen Sie nichts? Schließlich ist es auch Ihre Schuld, dass der Kühlschrank dort steht!“

„Ich habe ihn da nicht hingestellt.“

„Nein, aber Sie haben kein Haus voller Kinder. Ihr Künstler nutzt dieses Viertel doch nur für euren persönlichen Vorteil und habt euch von Dingen wie einem alten Kühlschrank auf der Straße moralisch doch schon lange befreit. Dass er hier herumsteht ist auch Ihre Verantwortung!“

„Warum wollen wir die Stadt nicht vom Müll befreien und Gärten anlegen?“

©iStockphoto.com / Alija
Die Größe des Central Park lässt schnell die Schönheit der fast tausend kleinen Gärten in New York vergessen.

Die nächsten 24 Stunden nimmt sich Liz Christy die Zeit zum Entrümpeln. Eine Vision, einen Plan und viele Freunde bringt sie gleich mit. Gemeinsam reinigen sie den Platz; besorgen Erde und klauen Bäume, Sträucher und Blumen von der Wallstreet – so erschafft die selbsternannte „Green Guerilla“ ein illegales, kleines Biotop mitten im dreckigsten Teil von Manhattan.

1973 stellte die Stadt nur wenig Platz für Gemeinschaftsgärten zur Verfügung; nur insgesamt fünf zählte die Parkverwaltung in den fünf Stadtbezirken Manhattan, The Bronx, Brooklyn, Queens und Staten Island. Die Entwicklung von neuen, kleinen Parks in Manhattan war nach dem Zweiten Weltkrieg drastisch gesunken. Neubaugebiete für Wohnkomplexe, Gewerbe- und Industriegebäude waren wichtiger. Freiräume zur Erholung wurden von den Stadtplanern nur in entfernteren Gebieten angelegt – weit weg von den sozialen Brennpunkten. Außerhalb der Stadt entstanden große und landschaftlich gestaltete Parkanlagen für die einkommensstärkeren Bevölkerungsschichten. Wenn die stickige Stadt unerträglich wurde, zog die Mittel-und Oberschicht sowieso aufs Land. Ein Luxus, den sich die Einkommensschwachen nicht leisten konnten – die Bouwerie verslumte immer mehr.

Legalisierung und Information

Kaum ist der erste Garten angelegt, arbeiten die Freiwilligen um Liz Christyauf anderen Grundstücken weiter: Sie schleppen Müll und Schutt fort, verteilen Mutterboden, installieren Zäune und bepflanzen die öden Stellen. Gleichzeitig wendet sich die Gruppe im Dezember 1973 an die Stadt, um einen Weg zur rechtmäßigen Nutzung des Ursprungsgartens an der Second Avenue auszuhandeln. Am 23. April 1974 willigt das Amt für „Wohnungswesen, Erhaltung und Entwicklung“ ein, das Grundstück der frisch gegründeten “Bouwery Houston Community Farm and Garden” für einen Dollar pro Monat zu vermieten. Kurz darauf werden sechzig Hochbeete mit Gemüse, Bäumen und Blumenrabatten angelegt.

Die Grüne Guerilla wird schnell stadtbekannt; die Aktivisten betrachten das mit Ruinen übersäte Viertel nicht mehr als Schutthalde, sondern als einen öffentlichen Raum, der viel Platz für neue Gärten bietet: Sie begrünen Balkone, bewerfen Baulücken mit Pflanzensamen in “Seed-Bombs” und pflanzen Bäume. Menschen aus allen fünf Stadtteilen New Yorks erleben mit, wie ein trostloses Viertel mit einfachen Mitteln wiederbelebt wird. Seit 1974 geben die Green Guerillas Workshops an Interessierte, welche Pflanzen unter den „lebensfeindlichen“ Bedingungen der Metropole New York angebaut werden können.
Der Garten an der Second Avenue ist zu einem Ort des Gedankenaustauschs geworden; noch heute kann man dort Pflanzen-Börsen besuchen, auf denen selbst angebaute oder gespendete Pflanzen in der gesamten Stadt verteilt werden.

Rückeroberung der öffentlichen Plätze

Karte mit Parks©evidero
 Unter www.gardenmaps.org findet man eine Karte mit allen öffentlichen Gärten New Yorks.

Liz Christys Forderungen gingen noch weiter. Freie Flächen sollten untrennbar mit dem wirtschaftlichen und sozialen Gemeinwohl verknüpft werden. „Wenn wir als Gesellschaft verletzt sind, können wir es ändern. Community Gardening ist dabei das Allheilmittel“, sagte die Aktivistin. Marty Gallent, der damalige stellvertretende Vorsitzende der Stadtplanungskonferenz, sah in ihrem Ansatz keine Zukunft und konterte auf der Community Open Space Greening Konferenz: “Bäume, Parks, Frei- und Brachflächen haben keine Stimme! Wo sind denn die interessierten Wähler bei Haushalts- und Planungssitzungen?“ Doch Gallent irrte. Heute gibt es über 500 gemeinschaftliche Freiflächen-Projekte in New York City. Die Bürger haben sich ihre Stadt zurückerobert und nach ihren Bedürfnissen geformt. Fast jedes Projekt ist anders: Gemüse- und Ziergärten, Mini-Parks, Sportplätze, Picknick- und Grillplätze, Theaterbühnen, begrünte Hinterhöfe – bis hin zu Landschaftsschutzgebieten.

1978 bildete sich GreenThumb (GT), heutzutage das größte Urban Gardening Programm der USA. Es zählt fast 20 000 Mitglieder allein in New York. GT-Gärten findet man heute in allen Vierteln der Stadt – die meisten in wirtschaftlich benachteiligten Stadtteilen. Die Ziele sind die selben wie einst von Liz Christy: Durch Gartenplanung und -projekte sollen Mitbestimmung und  bürgerliches Engagement gefördert werden. Heute bietet das GT-Programm vielfältige Unterstützung an: mit Materialien, technischer Hilfe und der Vermittlung von Freiwilligen. Ermöglicht wird dies durch die finanzielle Unterstützung des Bundes. So entstehen aktive Gärten, die eine stabilisierende Kraft im Moloch New York darstellen.

Von den Touristenfluten leicht übersehen, kann man auch heute noch den ersten Gemeinde-Garten New Yorks, den lizchristygarden, besichtigen. Er besitzt einen Fischteich mit Schildkröten, eine Wildblumenwiese, einen Birkenhain, Obstbäume, Gemüsegärten, Beeren, Kräuter und im Sommer Hunderte von blühenden Stauden. Liz Christy ist nicht mehr in der Lage, ihn zu besuchen – sie starb im Alter von 38 Jahren an Brustkrebs. Nach ihrem Tode wurde der Garten 1986 in „Liz Christy Bouwery-Houston Garden“ umbenannt. Gewiss ist er ein kleiner Park im Vergleich zum Central Park – jedoch einer mit einer großer Wirkung.

Offenlegung

*Zitate und Fakten in diesem Artikel basiert u.a. auf einem Interview mit Liz Christy, das bis zum 31.01.2012 auf  www.lizchristygarden.org zu finden war.

Weiterführende Links
Grüne Therapie- Gärten in den Slums von New York 1981

Autorin: Janine Otto
Studium: Biologie, Mathematik und Physik. Nach 5 Jahren als Lehrerin und Ausbilderin am Berufskolleg begann sie ihr Volontariat als Technische Redakteurin. Seit 2007 ist Janine Otto Redakteurin und freie Autorin - hauptsächlich für Technik und Naturwissenschaft. Ihre größte Leidenschaft ist das Kochen.