Zuhören, uns unserer Annahmen bewusst sein, bitten statt fordern. Das sind einige der Grundlagen, damit Kommunikation gelingen kann. Doch das alles nützt nichts, wenn wir uns nicht über unsere Bedürfnisse und damit unsere Motivation im Klaren sind. Im letzten Teil unserer Reihe erklären die Kommunikationstrainer Nayoma de Haen und Torsten Hardiess, wieso es nützlich ist, die eigenen Bedürfnisse zu kennen und wie wir sie herausfinden.
All unser Handeln und damit auch das, was wir mitteilen wollen, ist aus unserem Inneren motiviert und damit auf unsere Bedürfnisse ausgerichtet. Je genauer wir wissen, worum es uns im jeweiligen Moment wirklich geht, desto größer sind unsere Chancen, das auch zu erreichen.
Bedürfnisse prägen die Kommunikation in einer Beziehung
Solange wir leben, haben wir Bedürfnisse. Wenn wir keine Bedürfnisse mehr haben, sind wir tot. Manchmal kommen bestimmte Bedürfnisse in uns zu kurz und verlangen danach, befriedigt zu werden. Das können solche lebensnotwendigen Bedürfnisse sein wie Essen und Trinken, aber auch das Bedürfnis nach Nähe, Intimität oder Unterhaltung.
Angenommen, ich habe meine Partnerin gefragt, ob sie morgen Abend mit mir tanzen geht, und sie hat „nein“ gesagt. Sie möchte lieber zu Hause bleiben und Fernsehen gucken. Nun kann ich, je nach Perspektive und Bewertung der Situation, unterschiedlich reagieren. Worum geht es mir eigentlich? Und dazu ist es sinnvoll, meine Bedürfnisse zu kennen.
- Brauche ich Bewegung? Dann kann ich mit jemand anderem tanzen oder zum Sport gehen.
- Will ich einfach etwas gemeinsam erleben? Dann kann ich mit ihr fernsehen oder sie fragen, worauf sie sonst noch Lust hätte.
- Brauche ich einen Tapetenwechsel? Dann kann ich mich auch mit Freunden in der Kneipe oder zum Kino verabreden.
Was genau sind Bedürfnisse?
Unter Bedürfnissen verstehen wir allgemeine Qualitäten wie Entspannung, Geselligkeit, Unterhaltung oder Ruhe. Genau an diesem Tag unbedingt mit meiner Partnerin in diese Disco tanzen zu gehen, ist eine von vielen möglichen Strategien, mit der ich mir erhoffe, verschiedene Bedürfnisse zu erfüllen.
Bedürfnisse sind dementsprechend weder von Orten, noch von einer bestimmten Zeit, noch von einer Person abhängig.
Es kann sein, dass ich mir mein Bedürfnis nach Gemeinschaft heute Abend am liebsten mit meiner Partnerin erfüllen würde. Das nennen wir dann eine Lieblingsstrategie. Zum Glück für uns beide ist meine Partnerin jedoch nicht meine einzige Chance, heute Abend Gemeinsamkeit zu erleben. Ich kann auch einen Freund anrufen und mich mit ihm auf ein Bier verabreden.
Das Gute an Bedürfnissen ist, dass wir alle sie kennen. Selbst wenn meine Partnerin keine Lust auf Tanzen hat, kennt sie das Bedürfnis nach Bewegung oder Abwechslung. Wenn wir also auf einer Bedürfnis-Ebene kommunizieren, verstehen wir einander besser. Dadurch findet Verbindung statt.
Jeder Lebensbereich hat andere Bedürnisse
Natürlich ist die Art der Verbindung von Person zu Person unterschiedlich. Unserem Partner werden wir andere Bedürfnisse mitteilen als etwa dem Arbeitskollegen, der die Druckerpatrone nicht gewechselt hat. Auch mit Kindern reden wir sicher anders als mit Erwachsenen.
Tatsache ist jedoch: Es stärkt meine Verbindung zu mir selbst und meinen Mitmenschen, wenn ich mir über meine und ihre Bedürfnisse im Klaren bin. Nun fragen Sie sich vielleicht, woher Sie denn wissen können, was Ihre Bedürfnisse sind.
Hier kommen wieder unsere Gefühle ins Spiel. Diese können uns ganz gut zeigen, ob gerade ein Bedürfnis zu kurz kommt, oder ob es erfüllt wird. Die Faustregel lautet: Wenn Sie sich nicht gut fühlen, kommt irgendetwas zu kurz.
Um herauszufinden, was das ist, brauchen wir meistens ein wenig Zeit. Im Konfliktfall ist es oft ratsam, sich eine kleine Auszeit zu nehmen, bevor man ins Gespräch geht, um sich innerlich zu klären.
Gefühle erkennen, um Bedürnisse zu erfüllen
Wir sind es nicht gewohnt, unseren Gefühlen und Bedürfnissen auf die Spur zu kommen. Es ist sehr hilfreich, sich die Mühe zu machen, möglichst zutreffende Worte dafür zu finden. Es unterstützt die eigene innere Klarheit, die Klarheit der Mitteilung und macht den Kopf und das Herz frei, um zuzuhören.
Es reicht oft nicht, festzustellen, dass ich innerlich unruhig oder gereizt bin. Fehlt mir Austausch oder Verständnis oder Bewegung?
Meditation ist eine Möglichkeit, diese Verbindung zu sich selbst und die innere Klarheit zu stärken. Wenn ich darin geübt bin, äußere Eindrücke für einen Moment auszublenden und die Wahrnehmung nach innen zu richten, fällt es mir auch in alltäglichen Situationen leichter, zu spüren, was gerade in mir vor geht. Das mag jetzt zeitaufwändig klingen, und am Anfang und bei großen, seit Jahren schon existierenden Konflikten ist es das auch manchmal. Im normalen Alltagsgeschehen dauert dieser Prozess mit etwas Übung jedoch nur ein paar Augenblicke.
Selbst-Empathie geht vor Fremd-Empathie
Jeder, der schon mal geflogen ist, kennt den Satz: „Im seltenen Falle eines Druckabfalls in der Kabine fallen Sauerstoffmasken von der Decke. Ziehen Sie sich erst selbst eine Maske über und helfen Sie dann hilfsbedürftigen Mitreisenden“. Dasselbe gilt auch bei „Druckabfall“ oder meistens eher Druckzunahme in Konfliktsituationen: Wie gut kann ich für jemand anderen da sein, wenn ich selbst in Not bin?
Der erste Schritt ist, mit mir selbst in Kontakt zu kommen, mich mitfühlend mir selbst zuzuwenden. Erst dann sind meine Sinne, mein Herz und mein Bewusstsein wirklich offen dafür, wie es dem Anderen geht. Wenn ich mich dann im Umgang mit mir selbst oder mit anderen mal nicht so verhalten habe, wie ich es mir eigentlich wünschen würde, kann ich vielleicht freundlicher auf mich schauen und mir sagen: “Ich habe mich nicht so verhalten, wie es meinen Werten entspricht, und das bedauere ich. Aber ich weiß, warum ich mich so verhalten habe und kann mit Verständnis und Mitgefühl auf mich schauen.”
Aus dieser entspannteren, warmherzigeren Haltung heraus brauche ich mich dann nicht mehr zu verstecken oder zu rechtfertigen, sondern kann prüfen, welche Optionen ich jetzt habe, den Schaden auszubügeln oder das nächste Mal einen anderen Weg zu wählen.
Gewaltfreie Kommunikation (GFK) hilft im Alltag
Die Gewaltfreie Kommunikation kann ein äußerst hilfreicher Kompass durch den Kommunikations-Dschungel des Alltags und die Turbulenzen zwischenmenschlicher Beziehungen sein. Unsere Orientierung sind die vier Aspekte: Beobachtung (statt Bewertung), Gefühl (statt Gedanke), Bedürfnis (statt Strategie) und Bitte (statt Forderung). Aufrichtig und mitfühlend angewandt helfen sie uns, immer wieder zu einem Kurs zurückzufinden, der unsere Kommunikation wirksam, verbindend, bereichernd und beglückend machen kann.